Antifa-AG der Uni Hannover:


Im Folgenden bringen wir die Übersetzung des Dokumentes, mit dem Rifondazione Comunista eigenständig zu der “girotondo”-Großdemonstration am 14. September in Rom aufrief, an der dann mehrere Zehntausend Menschen teilnahmen. Die “girotondi” (direkt übersetzt: Ringelreihen / maximal positiv gewendet: demonstrative Umzingelungen) sind seit einigen Monaten stattfindende, von linksliberalen Schauspielern, Regisseuren und Intellektuellen organisierte Demonstrationen für eine unabhängige bürgerliche Justiz, bürgerlichen Medienpluralismus und gegen Korruption. Sie sind eine Reaktion auf gesetzliche (Cirami-Gesetz) und personalpolitische Attacken der Berlusconi-Regierung, die nicht zuletzt im - sehr persönlichen - Interesse von Berlusconi und dem Leitungspersonal seines FININVEST-Konzern und der von ihm gegründeten und geführten Partei Forza Italia liegen. Das Rifondazione-Dokument zur “girotondo”-Bewegung, das auch die Grenzen dieser "Bürgerbewegung" kritisiert, wurde erstmalig in der parteieigenen Tageszeitung “Liberazione” vom 6.9.2002 veröffentlicht.



Das Dokument, mit dem sich Rifondazione Comunista der Manifestation vom 14. September 2002 anschließt:


Formale Freiheit und soziale Gerechtigkeit


Die Regierung Berlusconi und die Mehrheit der Mitte-Rechten sind dabei das Regelsystem zu zerstören, das im Entwurf unserer Verfassung den Rechtsstaat hätte charakterisieren und die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz garantieren sollen.


Die bereits gebilligten gesetzgeberischen Maßnahmen und die präsentierten oder vorangekündigten Gesetzesprojekte, wie jene über die Amtshilfeersuchen, die anonyme Rückführung des <außer Landes geschafften> Kapitals, Bilanzfälschung, Steuererlasse, Wiedereinführung des berechtigten Verdachtes <bezüglich der Unvoreingenommenheit des Gerichtes>, umfassende Reform der Juristenordnung mit der Trennung der Karrieren von Richtern und Staatsanwälten, Unterstellung dieser Letzteren unter die Exekutive und Rückkehr zum alten System der Auswahl und der Laufbahn der Staatsanwälte, Entmachtung des CSM (Höchsten Richterrates), Wiedereinführung der parlamentarischen Immunität, Reform der Normen der Strafprozeßordnung, wie jenen über den sofortigen Ermittlungsbescheid oder die obligatorische Zubilligung allgemein mildernder Umstände für die 65jährigen <oder älteren> Angeklagten, haben nicht nur das offenkundige Ziel die juristischen Affären einer bestimmten Funktionärsschicht zu regeln, sondern auch den Forderungen nach Straffreiheit für jene sozialen Schichten entgegen zu kommen, die im Unerlaubten prosperierten.


Da können sie Steuern hinterziehen, die Umwelt verwüsten, verfälschte Staatsaufträge einheimsen, Bilanzen fälschen, sich die öffentlichen Reichtümer, wie die Schule, das Gesundheitswesen und die Ersparnisse für die Renten aneignen, offensichtliche Interessenkonflikte haben und <doch> ungestraft davonkommen, weil es sich nunmehr um legalisierte, von Strafe befreite oder mit lächerlichen Strafen belegte Verhaltensweisen handelt und in jedem Falle stets der auf dem Gesetzgebungsweg befindliche Normen-Komplex bliebe, der eine wirksame Repression verhindern würde.


Uns beunruhigt insbesondere der Angriff auf die Unabhängigkeit und die Autonomie der Richterschaft, für die Erhaltung des Systems der Garantien wesentlichen Werten, und daher können wir nicht anders als mit denjenigen solidarisch sein, die dafür kämpfen, daß jene Werte nicht geschwächt oder beseitigt werden.


Wir sind jedoch nicht davon überzeugt, daß ein allgemeiner Appell zur Verteidigung der Autonomie und der Unabhängigkeit der Richterschaft breite soziale Schichten mit einbeziehen kann und speziell die am stärksten benachteiligten Schichten nicht, für die das System der Garantien weiterhin absolut unwirksam ist. Es genügt an die Gefängnisse zu denken, die - trotz der Reformen seit dem Ende des 2.Weltkrieges - große Behälter der sozialen Ausgrenzung bleiben, mit 32% Migranten unter den Gefangenen, mit einem sehr hohen Prozentsatz von Personen, die ohne eine angemessene Schulbildung sind, von Drogenabhängigen und AIDS-Kranken.


Viele Gerichte sind außerdem nicht in der Lage die rechtlichen Fragen der Bürger zu beantworten oder sie geben erschütternde Antworten, wie z.B. die jüngste Anklage der Seeleute von Porto Palo <zeigt>, die “schuldig” sind, illegalen Flüchtlingen geholfen zu haben, die Gefahr liefen unterzugehen oder das Urteil aus Porto Marghera, das den für den Tod von Arbeitern durch PVC verantwortlichen Chemiekonzern Montedison freigesprochen hat.


Heute ist es mehr denn je notwendig, den Rechtsstaat gegen die Angriffe der Mitte-Rechten zu verteidigen, auch im Hinblick auf die großen sozialen Kämpfe des kommenden Herbstes und des Repressionsplanes, der bereits <bei den großen Antiglobalisierungsdemonstrationen im März und Juli 2001> in Neapel und Genua gut ausprobiert wurde und nun gegen die Arbeiter, die Gewerkschaft und die Bewegungen entfesselt werden könnte.


Um dieses Ziel zu erreichen, ist es jedoch notwendig die größtmögliche Anzahl von Frauen und Männern zu mobilisieren, was über einen Vorschlag möglich ist, der nicht nur die formalen Freiheiten berücksichtigt, sondern auch die Erfordernisse substanzieller Gerechtigkeit, die ihre und unsere Leben im Alltag aufweisen.


In einem solchen Kontext muß man mit Nachdruck fordern, daß die <rechtlichen> Garantien für alle wirksam gemacht werden und daß in vorrangiger Weise sowohl mit Gnadenerlassen wie mit demokratischen Reformen in puncto Soziales, Immigration und Gebrauch von Rauschmitteln die perversen Mechanismen zerbrochen werden, durch die die Gefängnisse wieder mit einer bedauernswerten Menschheit gefüllt werden, denen geholfen und die nicht mehr “aufbewahrt” / “bewacht” werden müßte.


Ebenso notwendig ist es wieder einen Straferlaß für die in den “bleiernen Jahren” verhängten Urteile mit dem Ziel zu fordern, eine mittlerweile definitiv abgeschlossene Zeit hinter sich zu lassen, die keinerlei Verbindung zu den jüngsten unnormalen Akten von kriminellem Terrorismus hat. Nur so wird man den repressiven politischen Plan der Rechten konstatieren können, jene Zeit mit diesen letzten Verbrechen und den sozialen, anti-wirtschaftsliberalen und demokratischen Kämpfen der Arbeiter, der Schüler und Studenten, der Ausgegrenzten und der Bewegungen zu verbinden.


Aus diesen Gründen und mit diesem Ansatz wird der Partito della Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Neu/be/gründung - PRC) an der Manifestation vom 14. September teilnehmen, der wir vollen Erfolg wünschen, während wir gleichzeitig alle ihre Aktivisten auffordern die Beteiligung an der nationalen Manifestation des PRC zu intensivieren, die am 28. September in Rom zur Lancierung der Plattform der Alternative zur Regierung der Rechten sowie für einen Herbst des Kampfes und der Beteiligung stattfinden wird.



Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover