Antifa-AG der Uni Hannover:


Das mitte-linke italienische Parteienbündnis “Ulivo” (Olivenbaum) ist in den letzten Wochen in eine tiefe Krise geraten. Anlässe dazu waren die Abstimmung über die Fortsetzung des Afghanistan-Einsatzes italienischer Gebirgsjäger und die Positionierung gegenüber dem von der CGIL gegen den Willen der beiden kleineren Gewerkschaftsbünde CISL und UIL, für den 18. Oktober 2002 ausgerufenen Generalstreik zur Verteidigung des Kündigungsschutzes und gegen den neuen Haushaltsentwurf. Während der im Unterbündnis “Margerite” organisierte rechte “Ulivo”-Flügel mit dem Spitzenkandidaten Francesco Rutelli offen für die Verlängerung der Militärintervention und gegen den Generalstreik eintritt, plädiert die breite Strömung (“correntone”) der verschiedenen Linken innerhalb der DS sowie die Grünen und die PDCI (kleine Rechtsabspaltung von Rifondazione Comunista aus dem Oktober 1998) für das genaue Gegenteil. Die Mehrheit der Linksdemokraten (DS) laviert derweil ziemlich konfus hin- und her.

Überwunden wurden diese tiefen Differenzen in zentralen Fragen bis heute nicht – eher eingefroren. Auch im Hinblick auf die Entwicklungen in den Mitte-Linken bzw. den sozialdemokratischen Parteien anderer wichtiger westeuropäischer Länder (beispielsweise Frankreich, Spanien oder Großbritannien) halten wir die Positionen des Führers der DS-Linken, Giovanni Berlinguer (ein Neffe des berühmten PCI-Genralsekretärs in den 70er Jahren, Enrico Berlinguer), zu diesem Thema für allgemein interessant. Daher im Folgendem die Übersetzung des Interviews, das er der großen, in Rom erscheinenden rechts-liberalen italienischen Tageszeitung “Il Messaggero” (in etwa der deutschen FAZ vergleichbar) vom 8.10.2002 gab:



Es spricht der Führer der internen Linken <innerhalb der Linksdemokraten – DS>:


Berlinguer: Absurd, daß derjenige bleibt, der 2001 gescheitert ist


Der correntone mißtraut Rutelli. “Keine Spaltung innerhalb der Linksdemokraten. Wir wollen die Einheit. Und wir sind nicht den girotondi hörig.”


Von Federica Re David


ROM – Giovanni Berlinguer besucht die Abgeordnetenkammer seit Jahren nicht mehr, aber er ist in <der Redaktion der Zeitschrift> “Transatlantico” gewesen, die gestern ihre Breitseite auf die Führungsgruppe des Olivenbaum-Bündnisses abgefeuert hat. “Ich will keine Namen nennen”, sagte er als er aus der Sitzung der Exekutive des correntone kam, “aber ich finde es absurd, daß eine bei den letzten Wahlen in aufsehenerregender Weise besiegte Koalition sich mit denselben Personen und denselben Methoden präsentiert.” Er nennt keine Namen, aber Rutelli und <DS-Generalsekretär> Fassino pfeifen die Ohren. Auch wenn der Führer der internen Linken dem Sekretär der Linksdemokraten doch Worte der Wertschätzung zuteil werden läßt: “Er arbeitet in positiver Weise für die Einheit – auch derjenigen zwischen den DS und der sie umgebenden Welt mit ihren Veränderungen, zwischen den DS und dem Volk. Es gibt allerdings diejenigen, die ihn zu bremsen versuchen.” Und er erklärt: “Es gibt Druck sowohl von der Margerite wie von einem Teil der DS zugunsten einer Verschiebung in die Mitte auf <noch> moderatere Positionen. Und es gibt diejenigen, die sogar an ein begrenzteres Olivenbaum-Bündnis denken, während es unseres Erachtens bereits bei der kommenden Versammlung breiter und für alle Oppositionen (Di Pietro-Anhänger und Rifondazione; Anm.d.Red.) offen sein muß. Und es muß einen klaren tagespolitischen Beschluß in bezug auf Inhalte wie den Haushalt und Süditalien geben und zwar ohne heimliche Versuche für Risse sorgende Regeln durchzusetzen. Wenn es Gefahren für die Einheit der DS gibt, so kommen die gewiß nicht von uns, sondern von denjenigen, die uns mit Bissigkeit attackieren und davon sprechen, uns zu verjagen.”


Und Ihr, Professor, wollt in jedem Fall in dieser Partei bleiben ?


“Ich bin – wenn wir ihre ‚Vorgänger‘ mit einbeziehen – seit fast 60 Jahren darin und ich hätte die Absicht weitere 20 Jahre drinnen zu bleiben. Ich hoffe, daß sich die Übergriffe und Ausschlüsse, die den alten PCI (Italienische Kommunistische Partei) charakterisiert haben, nicht wiederholen.”


Ihre Worte über die Führerschaft sind also nicht ultimativ ?


“Wenn überhaupt, dann ist es <DS-Parteipräsident und ex-Ministerpräsident> D’Alema, der Ultimaten stellt und ihnen nur eine Frist von 48 Stunden gewährt. Er sagt, daß – wenn man sich nicht darum kümmert – er in die Artemide-Gruppe <der fraktionslosen Abgeordneten> geht. Das ist das erste Mal in der Geschichte einer Partei, daß ihr Präsident damit droht, woanders hinzugehen. Ich habe sehr viel bescheidenere Ambitionen. Ich will zur Einheit beitragen."


D’Alema sagt auch, daß man nicht daran denken kann die Führung der Koalition zwei Abwesenden, wie Prodi und Cofferati, zu übergeben.


“Vielleicht stützt er sich auf das Sprichwort, wonach die Abwesenden immer Unrecht haben. Das Problem ist, daß er Personen von großer Kraft, großem Ansehen und großer politischer Bedeutung in Italien und im Ausland für abwesend erklärt. Ich habe den Eindruck, daß da jemand – mehr als an die Ausweitung und Erneuerung des Olivenbaum-Bündnisses – an die Eliminierung eventueller Konkurrenten denkt.”


Und Sie, wem würden Sie die Führung anvertrauen ?


“Ich nenne auch hier keine Namen. Aber man muß berücksichtigen, daß im letzten Jahr in Italien 5 bis 10 Millionen Menschen auf die Straße gegangen sind. Und unter ihnen gibt es Tausende natürlicher Führer, auf die man schauen muß, um die alte <Führungs->Schicht von der Basis bis zu den Spitzen grundlegend zu erneuern.”


Sie werden denjenigen nicht Recht geben wollen, die – ausgehend vom Bruch über <die Verlängerung des italienischen Militäreinsatzes in> Afghanistan – Euch dafür verantwortlich machen, die DS in Geiseln der girotondi <= wörtlich: Ringelreihen; Demonstrationen liberaler Bürger und Kulturschaffender gegen Korruption, für die Unabhängigkeit der bürgerlichen Justiz und öffentlich-rechtlichen Medienpluralismus> und Bewegungen verwandelt zu haben.


“Wer uns als Hörige einer unverantwortlichen piazza beschreibt, verbiegt die Tatsachen, um sie seinen Thesen anzupassen. Ich glaube nur, daß es das Beste, was die DS in den letzten Monaten getan haben, war, den Hinweisen, die von der Zivilgesellschaft kamen, Gehör zu schenken. Ich fand es gut, daß die Politiker beim girotondo von San Giovanni einmal nicht auf die Bühne gestiegen, sondern auf der piazza geblieben sind, um zuzuhören. Der ideale Weg ist der einer wechselseitigen und dauerhaften Kommunikation.”


Aber hat sich die Linie der DS, bezogen auf die vom Parteitag in Pesaro ausgegebene, verändert oder nicht ?


“Es ist die politische und internationale Situation, die sich verändert hat. Mit den Angriffen von Berlusconi auf Justiz und Sozialstaat und mit dem von Bush vertretenen ‚Enduring War‘. Eine linke Partei kann nicht anders als sich dem anzupassen, auch weil die Opposition im Lande wächst.”


Und jetzt gibt es die Frage des Generalstreiks am 18. Oktober. Rutelli hat bereits gesagt, daß er dagegen ist. Bereitet sich da ein weiterer Riß vor ?


“Die DS sind für die Einstimmigkeit und ich hoffe, daß die Ergebnisse des Streiks derart sind, daß sie alle zu einem Nachdenken veranlassen. Es ist wichtig, daß sich heute <auch die rechteren Gewerkschaftsbünde> CISL und UIL bereit erklären zu kämpfen, damit die Regierung die Verpflichtungen einhält. Ich bin mit Enrico Letta einer Meinung, daß wir wieder von der großen Menge der Übereinstimmungen ausgehen müssen, die es gibt. Ich denke an die Kritik am Haushalt, aber auch an das Nein zum Krieg im Irak, bezüglich dessen die Position im Moment einheitlich ist.”



Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover