Antifa-AG
der Uni Hannover:
Eine Woche nach dem knappen Wahlsieg der
von Ex-EU-Kommissionspräsident Romano Prodi geführten
Mitte-Links-Union in Italien am 9./ 10. April 2006 erschien die britische „Financial
Times“ mit der Prognose, die wirtschaftliche Situation Italiens sei derart
katastrophal, dass dem Land eine Finanzkrise wie 2000 / 2001 in Argentinien drohe
und es spätestens 2015 die Europäische Währungsunion verlassen müsse. Parallel
dazu brachte das Wochenmagazin „The Economist“
eine ähnliche Titelstory. Das kaum verhohlene Ziel beider Publikationen bestand
in der dringenden „Empfehlung“, einer Große Koalition
nach deutschem Vorbild den Vorzug zu geben – „zur Wahrung der Stabilität und
Beruhigung der internationalen Finanzmärkte“. Denn die Vertretung
(nominell) kommunistischer Parteien in der neuen Regierung sei eine Gefahr für
die „Stabilität“ und die „Sanierung“ des italienischen
Staatshaushaltes. Minimalziel war die Stimmungsmache und das weitere
Zurechtkneten der Mitte-Links-Union (inklusiver ihrer „radikalen Linken“)
für die anstehende „Schweiß & Tränen“-Politik, da die sofortige
Verabschiedung von jener Mitte-Links-Union und die Bildung einer Großen
Koalition eher unrealistisch war.
In einem Leitartikel der parteieigenen
Tageszeitung „Liberazione“ vom 18.4.2006
antwortet der Chefideologe von Rifondazione Comunista (PRC), Alfonso Gianni (der bereits in der 68er
Bewegung und ihren Ausläufern eine herausgehobene Rolle spielte), auf diese
Attacken. Wobei er neben der pflichtschuldigen Kritik, manchen Illusionen und
einer interessanten Analyse dieses publizistischen Manövers durchaus auch die
Bereitschaft Rifondaziones zu einer Realo-Politik zu
erkennen gibt.
Die
englischen Zeitungen schlagen aufgrund der politischen und elektoralen
Verschiebungen in Frankreich und Italien Alarm. Worin besteht die Gefahr? Dass
ernsthafte politische Reformen das wirtschaftsliberale Einheitsmodell zum
Scheitern bringen. Deshalb befürchten sie wirtschaftliche Desaster und lassen
Erpressungen aufblitzen.
Die europäische Rechte
fürchtet einen linken Prodi und macht Druck für die
Große Koalition
von Alfonso
Gianni
Erinnert Ihr Euch noch daran
wie Berlusconi vor einigen Wochen den angesehenen „Economist“ mit der
Bezeichnung „kommunistisch“ bedachte, weil er die desaströse
Bilanz seiner Regierung beklagte? Und der Großteil der Mitte-Linken schwor,
dass das nicht der Fall sei (denn sicherlich konnte das berühmte englische
Wirtschaftsmagazin nicht zu den Bolschewisten gezählt werden), sondern seine
Kritik sakrosant? Damals waren wir die Einzigen, die
sagten, dass wir es durchaus nicht merkwürdig fanden, dass sich der „Economist“
heftig in die italienischen Angelegenheiten einmischte, dies aber (und das ist
der Punkt!) von rechts aus tat. Das heißt von einer Position rigoroser Kohärenz
in der Unterstützung der neoliberalen Politik in Europa.
Wir hatten absolut Recht.
Zur Bestätigung erscheint der „Economist“ diese Woche pünktlich mit dem
Titel: „Lähmung in Italien, Kapitulation in Frankreich“. Im ersten Fall
unter Bezug auf das Ergebnis der Wahlen vom April, im zweiten unter Bezug auf
den Rückzug der Maßnahme in Sachen Kündigungsschutz in den ersten beiden Jahren
der Beschäftigung. Dem Londoner Wochenmagazin zufolge sei das vorbildliche
Modell das in Deutschland, wo das Wachstum wieder zunehme, die Arbeitslosigkeit
zurückgehe und die Große Koalition dem Land vor allem die ersehnte politische
Stabilität gäbe. Wer verstehen will, der versteht.
Die schärfsten Polemiken hat
allerdings der Leitartikel eines der beiden Chefredakteure der „Financial
Times“ entfacht, dem zufolge Italien geradewegs eine Insolvenz nach argentinischem
Muster riskiere und den Ausstieg aus dem Euro vor 2015. Sowohl das englische
Wochenmagazin als auch die englische Tageszeitung beharren außerdem darauf, der
künftigen Regierung Prodi, neben den geringen
parlamentarischen Mehrheiten, vor allem aufgrund der Präsenz der Kommunisten in
der Regierung, Schwäche vorzuwerfen.
Dieses Argument ist so frei
von Originalität, dass es in den italienischen Kommentaren (auch in den
internen Zirkeln der <Mitte-Links->
Union) sofort aufgegriffen wird. In <der kleinen rechtsozialdemokratischen Tageszeitung> „Il Riformista“ (der
nicht sehr angesehen, aber in jedem Fall einer der Meinungsmacher in den
moderaten Bereichen der Mitte-Linken ist) von heute liest man nach den
rituellen Klagen über die Aufdringlichkeiten der „altklugen Engländer“,
dass Rifondazione, die radikale Linke und der
Generalsekretär der <größten
Gewerkschaftszentrale> CGIL (wie um
mit wenig Eleganz zu sagen, dass der Rest der Gewerkschaft anders denkt!) die
Zukunft der Regierung Prodi durch ihren Extremismus
in wirtschaftspolitischen und arbeitsrechtlichen Fragen mit einer negativen
Hypothek versehen hätten.
In Wirklichkeit sind die
Argumente der englischen Wirtschaftstageszeitung nichts Besonderes. Es handelt
sich um eine Neuauflage der Terror-Propaganda, dass die Möglichkeit eines
Zahlungsverzugs unseres Landes bestehe, es zu einem Zusammenbruch seiner
Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Finanzmarkt und einem Wertverfall der
Staatsanleihen komme und Italien eventuell zum Objekt und zur Beute jeder Art
von Finanzspekulation werde.
Dass die wirtschaftliche und
vor allem die soziale Situation unseres Landes keine sehr gesunde ist und daher
einer großen Aufmerksamkeit / Rücksichtnahme bedarf, ist bekannt und haben wir
im Laufe dieses schrecklichen Wahlkampfes in unterschiedlichen Variationen
erklärt. Dass es um die Staatshaushalte (angefangen beim Verschwinden des
primären Überschusses) schlecht bestellt ist, ist etwas, das
vielleicht noch nicht genügend bekannt ist und nicht ausreichend betont wurde,
weshalb es in jedem Fall gut ist, dies zu tun. Dass unser Land, was seine
strukturellen Bedingungen anbelangt, schlechter dasteht als Deutschland und
Frankreich ist eine Wahrheit, deren Wurzeln sehr tief liegen und zwar noch in
der Zeit vor Berlusconi. Damit wir uns recht verstehen. Die Aufgabe, die auf
die künftige Regierung Prodi wartet, ist also sehr
hart und das knappe Wahlergebnis wird uns dabei keine Hilfe sein. Dass wir uns
aber in einer vor-argentinischen Situation befinden oder dass die
Staatsanleihen im Begriff sind auf den internationalen Märkten zu kollabieren
oder dass man einen Ausstieg aus der Eurozone, d.h. aus Europa, prognostizieren
kann, das ist falsch. Nicht nur aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit der
europäischen Ökonomien und Finanzen voneinander, sondern auch aufgrund des
erklärten politischen Willens, der das gesamte Lager der <Mitte-Links-> Union eint.
Warum dann also dieses
prompte Alarmschlagen? Vielleicht können die Motive in mindestens drei Gründen
zusammengefasst werden.
Der erste: In der Europäischen Union, d.h. auch in der EU der
15, sind nicht alle Länder gleich, haben nicht alle das gleiche Gewicht oder
zumindest meinen das diejenigen, die von sich behaupten, sie hätten es. Hier
gibt es diejenigen, die sich für die Schutzheiligen einer Auffassung von Europa
halten, die fest auf der neoliberalen Doktrin fußt und andere Länder als die
Peripherie der Europäischen Union betrachtet. Genau wie Emiliano
Brancaccio vor einigen Tagen in dieser Zeitung
behauptete, werden diese Letzteren zu einer Politik gedrängt, die zwischen dem
Schuldenabbau und der Senkung der Arbeitskosten schwankt (nicht zufällig
betrachtet die „Financial Times“ die Erhöhung der Letzteren als eine der
Hauptursachen der wirtschaftlichen Zerrüttung Italiens). Kurz: Tertium non datur.
(Etwas Drittes gibt es nicht.) Wenn dann eine Reformpolitik aufzutauchen
beginnt, die sich weigert, in dieser Zange gefangen zu bleiben, wie im Fall des
Programms der <italienischen
Mitte-Links->
Union, dann saust auf diese das Fallbeil der neoliberalen Zensur nieder. Ein
weiteres Motiv, um einen anderen Weg zu verfolgen und die Frage des
Schuldenabbaus nicht an die erste Stelle zu stellen, sondern auf die
Ankurbelung der realen Ökonomie zu setzen und die Haushaltspolitik des Staates
diesem entscheidenden Ziel unterzuordnen.
Der zweite Grund: Die englischen Kommentatoren zeigen, dass ihnen
weder die Präsenz alternativer und kommunistischer Kräfte in den Regierungen
der wichtigsten europäischen Länder, wie unserem, gefällt noch die
Entscheidungen für eine direkte soziale Auseinandersetzung. Vor allem dann,
wenn sie sich für die Regierungen, die sie praktizieren, (wie in Frankreich)
als Niederlage erweisen. Deshalb empfehlen sie mit aufdringlicher
Beharrlichkeit die Lösung der Großen Koalition, die eine größere Garantie für
Stabilität und die Absorbierung sozialer Konflikte geben würde und für die
Finanzmärkte daher beruhigender wäre.
Der dritte ist mehr eine Vermutung als ein Grund, da ich den
Eindruck hatte, dass sich im Denken und in der Wirtschaftspolitik, die die Ära
Blair kennzeichneten, immer deutlichere Risse auftun und die Möglichkeit einer
Ablösung Blairs durch den aufstrebenden Gordon Brown ins Spiel gebracht wird.
Vor allem aber angesichts des, wenn auch mühsamen Auftauchens eines kritischen
Denkens, das den Versuch unternimmt, das europäische Wirtschafts- und
Sozialmodell im Gegensatz zu dem, was bislang von Großbritannien praktiziert wurde,
mit einer neuen Qualität auszustatten und neu zu lancieren, kann man
berechtigterweise annehmen, dass sich die angesehenen englischen Zeitungen auch
an die eigene „Schwiegermutter wenden, weil sie etwas neues im Sinn hat“.
Also zu Hause und im Ausland diejenigen rügen, die in Frage stellen wollen,
dass der einzige Weg zum wirtschaftlichen Aufschwung Europas ein vollständiger
Freihandel ist. Die Zeit wird uns zeigen, ob wir richtig lagen.
Vorbemerkung, Übersetzung und
Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG
der Uni Hannover