Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Die Islamische Widerstandsbewegung (Hamas) tut sich schwer eine klare Position zu den in den Palästinensergebieten anstehenden Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu finden, da damit auch grundsätzliche politische Weichenstellungen verbunden sind. Ein Indiz dafür sind die widersprüchlichen Stellungnahmen zur Frage, wie sich Hamas bei einer Kandidatur des prominenten Fatah-Linken Marwan Barghuti verhalten wird. Mal heißt es, man würde ihn mit allen Kräften unterstützen, dann wieder verkündet ein anderer Sprecher, man werde die Präsidentschaftswahlen auf jeden Fall boykottieren. Die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ interviewte für die Ausgabe vom 19.11.2004 den Herausgeber der in Rafah (im Gaza-Streifen) erscheinenden Wochenzeitung „Al Risala“, Ghazi Hamad, zu diesem Themenkomplex. „Al Risala“ gilt in westlichen Medienkreisen als der Hamas nahe stehend. Wenn das zutrifft, dann hindert es Ghazi Hamad zumindest nicht daran ein unabhängiges und kritisches Urteil über die Hamas-Politik zu fällen.

 

Die politische Zweigleisigkeit der Islamisten

 

Interview mit Ghazi Hamad (Hamas-Experte):

„Sie bewegen sich zwischen Ideologie und Pragmatismus.“

 

Michele Giorgio

 

Hamas hat seine Unterredungen mit dem neuen Führer der PLO, Abu Mazen <alias Mahmud Abbas> abgeschlossen und zu verstehen gegeben, dass sie aktiver am politischen Leben Palästinas teilnehmen will. Wie zu erwarten war hat sie aber auch beschlossen, die Wahl des neuen Präsidenten der <palästinensischen Autonomiebehörde> ANP zu boykottieren. Über das Verhältnis zwischen den Islamisten und der Palästinensischen Nationalen Autorität (ANP) haben wir mit dem politischen Analysten in Gaza, Ghazi Hamad, einem Experten für islamische Bewegungen diskutiert.

 

Hamas ist dabei eine bedeutende Entscheidung zu treffen. Nicht klar ist jedoch die Entscheidung die von der ANP angesetzten Präsidentschaftswahlen zu boykottieren, sich die Tür zur Beteiligung an der Wahl der gesetzgebenden Versammlung, die doch zusammen mit der ANP entstanden ist, aber offen zu halten.

 

„Zweifellos liegt in dieser Entscheidung eine Dosis Ambivalenz, die Folge der internen Auseinandersetzung zwischen Ideologie und politischem Pragmatismus innerhalb der Hamas ist. Die islamische Bewegung weiß sehr gut, dass ihr Erfolg, ihre Popularität nicht von den prinzipiellen Positionen oder der absoluten Respektierung der religiösen Dogmen herrühren, sondern gerade aus ihrer Beteiligung an der Intifada und am gesellschaftlichen Leben. Ihre Führer versuchen daher zu manövrieren, einen Kompromiss zwischen Ideologie und Politik zu finden. Das Dilemma ist zerreißend. Wenn sie sich an den Präsidentschaftswahlen beteiligte, würde die Hamas de facto die Osloer Abkommen anerkennen, d.h. den Frieden mit Israel. Dieser Abschottung wollten die islamischen Führungskader jedoch eine Öffnung folgen lassen. In Bezug auf die Parlamentswahlen haben sie nämlich noch keine Entscheidung getroffen. Sie haben gesagt, dass die zukünftigen Schritte an die Antwort gebunden sind, die sie von Abu Mazen über die Einleitung einer neuen politischen Phase bekommen werden, die die Abschaffung der Osloer Abkommen, die graduelle Auflösung der ANP und die Bildung einer vereinten nationalen Führung vorsieht.“

 

Bedeutet das, dass – wenn Abu Mazen in diesen Punkten keine positive Antwort gibt – Hamas auch an der Wahl zum palästinensischen Legislative Council nicht teilnehmen wird ?

 

„Es ist schwer das jetzt zu sagen, aber ich glaube, dass Hamas so oder so an der Wahl der Legislative teilnehmen könnte, um eine gute Anzahl islamischer Abgeordneter ins Parlament zu bringen und eine unaufhörliche Oppositionsrolle gegenüber der ANP und ihren Führern zu spielen. Das hätte <dann> in jedem Fall die Bedeutung einer Wende: die volle Beteiligung am politischen Leben Palästinas unter der Ägide der ANP, die die Islamisten nicht mehr negieren könnten.“

 

Glauben Sie, dass es ANP und Hamas in Zukunft gelingen wird, eine gemeinsame politische Plattform zu finden, über die sie seit mehr als zwei Jahren debattieren ?

 

„Das glaube ich nicht. Die ideologischen Begründungen der beiden Seiten sind zu verschieden und in bezug auf die Staatsidee geradezu entgegengesetzt.“

 

Wird es den von Abu Mazen geforderten Waffenstillstand mit Israel am Ende geben ?

 

„Hamas könnte de facto eine Feuereinstellung akzeptieren, ohne das öffentlich anzuerkennen. Über den Waffenstillstand entscheidet aber nicht nur Hamas, sondern auch Israel. Gerade während der Regierung Abu Mazen wurde einer beschlossen. Die israelische Regierung führte allerdings zahlreiche Angriffe auf Gaza durch, tötete einen Hamas-Führer (Ismail Abu Shanab) und die islamische Bewegung trat den Rückmarsch an.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover