Antifa-AG
der Uni Hannover:
Als trickreichen aber auch riskanten Schachzug im
Machtkampf zwischen Al Fatah und der Hamas kündigte der Fatah-Chef und
Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas (alias „Abu Mazen“), in den letzten Wochen die Abhaltung eines (verfassungswidrigen!)
Referendums über das von ihm in eine Anerkennungserklärung Israels und ein
Gewaltverzichtsgelübde uminterpretierte sog. „Gefangenendokument“
(Kurzzusammenfassung unter: http://www.jungewelt.de/2006/06-07/017.php)
für den 26.Juli 2006 an. Ausgearbeitet worden war das Dokument von führenden in
Israel inhaftierten Gefangenen aus Fatah, Hamas, PFLP, DFLP und (mit
Einschränkungen) dem Islamischen Dschihad. Das Ganze
unter Federführung von Abbas’ parteiinternem Gegenspieler Marwan
Barghuti. Abbas’ Hintergedanken dabei fasste Knut Mellenthin in der „junge Welt“ vom 7.6.2006 treffend
so zusammen:
„Das »Dokument der Nationalen Versöhnung« stellt
in der politischen Praxis ein Instrument der Spaltung dar. Würde Hamas
zustimmen, könnte das 18-Punkte-Papier Grundlage einer neuen »Regierung der
nationalen Einheit« werden, in der die Außenpolitik von Abbas und seiner Fatah
bestimmt würde. Im wahrscheinlicheren Fall einer Ablehnung des Dokuments durch
Hamas rechnet sich Abbas aufgrund der Meinungsumfragen sichere Siegeschancen
für sein Referendum aus. Anschließend könnte er die Regierung für abgesetzt
erklären, das Parlament auflösen und Neuwahlen ansetzen. Der Widerstand der
Hamas richtet sich im wesentlichen nicht gegen den
Text des Dokuments, sondern gegen das Ultimatum des Präsidenten und seine
Referendumsdrohung. »Jeder in der Hamas sagt Ja zur Zwei-Staaten-Lösung«,
versicherte Parlamentssprecher Asis Dueik am Dienstag. »Das Problem kommt von den Israelis, die
bisher die 1967er Grenzen nicht akzeptieren wollen.«
Am 27.Juni 2006 einigten sich Fatah und Hamas nun
auf eine leicht veränderte Fassung des Papiers und verhinderten so ein
Referendum, dessen Ausgang, den in der „Süddeutschen Zeitung“
referierten Umfragen zufolge, keineswegs sicher war (75% grundsätzliche
Zustimmung, aber nur 47% Ja-Stimmen bei einem Referendum aus Protest gegen
Abbas’ Winkelzüge). Den erneuten Einmarsch der israelischen Soldateska in den
Gaza-Streifen und die Intensivierung des israelischen Besatzungsterrors
verhindert diese Einigung nicht. Und auch eine „Verbesserung der Beziehungen
zur westlichen Staatengemeinschaft“ ist zunächst nicht absehbar, wie Knut Mellenthin bereits in besagter Ausgabe der „jungen Welt“
hervorhob: „Eine Zustimmung der Hamas zu dem 18-Punkte-Papier würde auch
nicht zur Aufhebung der von den USA und der EU verhängten Finanzblockade
beitragen. Weder enthält das Dokument die geforderte explizite Anerkennung
Israels noch eine »Absage an die Gewalt«. Im Gegenteil: In Punkt 3 wird das
»Recht des palästinensischen Volkes auf Widerstand mit verschiedenen Mitteln«
bekräftigt.“
Da es sich aber um das zentrale Thema der letzten
Wochen in der palästinensischen Innenpolitik handelt, im Folgenden die Sicht
des palästinensischen Analytikers Ghassan Khatib. Der Direktor des Jerusalem Media and Communication Center (JMCC) ist nicht nur
Führungsmitglied der Palästinensischen Volkspartei (PPP), d.h. der nach 1989
zivilgesellschaftlich gewendeten ehemaligen KP, sondern war 1991 als Mitglied
der palästinensischen Delegation an der Madrider Nahost-Konferenz und von
1991-93 an den bilateralen Verhandlungen in Washington beteiligt und bis vor
zwei Jahren Arbeitsminister der Autonomiebehörde. Er galt damals als „Mitstreiter“
von Abbas im Kampf gegen den „unflexiblen“ Yasser Arafat, was seinen
Äußerungen bis heute anzumerken ist. Erwähnen sollte man auch, dass Khatib zusammen mit dem ehemaligen Mossad-Offizier
Yossi Alpher (Leiter des Jaffee Center for Strategic Studies der
Universität Tel Aviv und nicht unbedingt ein Linker), das auf „strategische
Studien“ zum palästinensisch-israelischen Konflikt spezialisierte,
englischsprachige Online-Wochenmagazin „Bitterlemons.org“ (www.bitterlemons.org) betreibt. Das
folgende Interview mit Ghassan Khatib
erschien in der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“ vom 11.6.2006.
„Das Referendum: Eine finstere Wette
für Abu Mazen“
Interview mit dem palästinensischen
Analytiker Ghassan Khatib
vom Ost-Jerusalemer Medien- und Kommunikationszentrum.
MICHELE GIORGIO – JERUSALEM
Präsident Abu Mazen legt nicht den Rückwärtsgang ein und besteht auf der
Abhaltung des Referendums über das von den palästinensischen Gefangenen
ausgearbeitete Dokument zur „Nationalen Versöhnung“, das de facto die
Existenz Israels anerkennt. Die Palästinenser in Cisjordanien,
Gaza und Ost-Jerusalem werden am 26.Juli abstimmen und in der Zwischenzeit ist
ein langer politischer Kampf zwischen dem Präsidenten und der Regierung
absehbar. Nicht wenige fürchten, dass diese Konfrontation in eine gewaltsame
Auseinandersetzung münden könnte. Darüber sprachen wir mit dem
palästinensischen Analytiker Ghassan Khatib vom Ost-Jerusalemer Medien- und
Kommunikationszentrum.
Nun ist es offiziell. Abu
Mazen hat das Präsidentendekret unterzeichnet und die
Palästinenser werden über das Dokument der Gefangenen abstimmen. Hamas hat
diese Nachricht sehr ungehalten aufgenommen. Was wird in den kommenden Wochen
geschehen?
„Es ist möglich, dass die
Gewaltakte zwischen Hamas und Fatah (der Partei Abu Mazens;
Anm.d.Red.) weitergehen. Im Unterschied
zu vielen Anderen glaube ich allerdings nicht an den Beginn eines Bürgerkrieges.
Ministerpräsident Hanija und die Spitzen der Hamas
werden das Mögliche tun, um dem Plan des Präsidenten entgegenzuwirken.
Allerdings nur auf der politischen Ebene und aller Wahrscheinlichkeit nach
werden sie zum Boykott der Abstimmung aufrufen und deren Illegalität betonen,
zumindest auf der Grundlage dessen, was das Statut der Palästinensischen
Autonomiebehörde vorsieht.“
Würde ein Sieg Abu Mazens den automatischen Sturz der Hamas-Regierung
bedeuten?
„Das ist eine Möglichkeit,
aber nicht notwendigerweise die einzige. Hamas hat die
Wahlen gewonnen, genießt im Parlament eine solide Mehrheit und wird versuchen,
die Bedeutung eines eventuellen Erfolges des Präsidenten herunterzuspielen. Abu
Mazen wird im Fall eines Sieges versuchen, die Hamas
dem Volkswillen gegenüberzustellen, aber es ist nicht gesagt, dass es ihm
gelingt, das zu erreichen, was er versucht. Die innenpolitische Lage in
Palästina ist sehr flüssig und deshalb wäre es verfehlt, eindeutige Schlussfolgerungen
zu ziehen.“
Abu Mazen
ist überzeugt, dass er seine Position in den innerpalästinensischen
Angelegenheiten nur durch einen Sieg beim Referendum stärken kann und es ihm –
vor allem – nur dadurch gelingen wird, Israel an den Verhandlungstisch zurückzubringen.
Was veranlasst ihn dazu zu glauben, dass er dieses Ziel erreichen kann? Hat er
vielleicht Zusicherungen von amerikanischer Seite erhalten?
„Zusicherungen glaube ich
nicht. Vielleicht irgendein interessantes Signal. Washington wird dem positiven
Ausgang eines Referendums gegenüber, auf das Abu Mazen
mit Entschiedenheit hinarbeitet, das er gewonnen hat und das darauf
ausgerichtet ist, die Hamas zur Anerkennung der Existenz Israels zu zwingen,
nicht gleichgültig bleiben können. Gleichzeitig ist klar, dass Abu Mazen nichts sicher in der Tasche hat und die jüngsten
Erklärungen Olmerts über die geringe Bedeutung der
Abstimmung und die Schwäche des palästinensischen Rais
<d.h. Führers> zeigen, dass die israelische Regierung die Absicht
hat den einseitigen Plan umzusetzen und die Palästinenser beiseite zu lassen.“
Es stimmt auch, dass Abu Mazen mit leeren Händen dastehen könnte, nachdem er für
einen großen Bruch zwischen den palästinensischen Fraktionen gesorgt hat, die
für und denen, die gegen ihn sind…
„Das ist wahr. Gleichzeitig
ist es allerdings nötig, etwas zu unternehmen, um zu versuchen, die Blockade
der politischen Situation zu beseitigen. Sonst werden die israelischen Pläne
ohne irgendeine Opposition vorangetrieben.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in
eckigen Klammern:
Antifa-AG der
Uni Hannover