Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Zu der von harten internen Auseinandersetzungen um die weitere politische Linie des größten italienischen Gewerkschaftsbundes gekennzeichneten Tagung der Nationalen Leitung der CGIL brachte die linke Tageszeitung „il manifesto am 23.11.2006 auch den folgenden Leitartikel.

 

Editorial:

 

Die Gewerkschaftsfrage

 

Loris Campetti

 

Es wäre übertrieben, zu sagen, dass die CGIL, wie wir sie nach dem G8-Gipfel in Genua, <bei der Großkundgebung> im Zirkus Maximus zur Verteidigung des <Kündigungsschutz-> Artikels 18 oder bei der Sammlung der 5 Millionen Unterschriften gegen die Prekarität oder auf den Friedensdemonstrationen erlebt haben, eine Phase beendet hat. Das wäre so als ob man sagen würde, dass die bedeutendste italienische Massenorganisation ihre Antriebskraft verloren habe. Das heißt jene Kraft, die in den dunklen Jahren des Berlusconismus einen Damm darstellte, einen Ausweg für die Mehrheit eines nicht befriedeten Landes. Eines durch den Wirtschaftsliberalismus und die Verwandlung der die Arbeit beseitigenden Politik in ein Spektakel verletzten Landes, wobei die Männer und Frauen aus Fleisch und Blut gedemütigt, aber nicht befriedet wurden. Mehr als um einen Traum (es ist nicht die Zeit für Träume) stellte sie ein gemeinsames Haus und ein Laboratorium der Demokratie dar.

 

Vielleicht (wir hoffen es) ist diese Antriebskraft nicht erschöpft. Aber die politische Phase hat sich geändert, erklären sie uns. Berlusconi haben wir nach Hause geschickt und an der Regierung sind jetzt die demokratischen Kräfte. Keine Nostalgie gegenüber der Vergangenheit, außer vielleicht für die Stärke und die Autonomie, mit der die CGIL als Motor der sozialen Rekonstruktion funktioniert hat. Die Frage ist sehr einfach: Ist der politische Wille und damit die Mobilisierungsfähigkeit der CGIL, die zu dieser Veränderung verholfen haben, in der neuen politischen Phase nicht mehr notwendig? Diese Frage ist nicht ideologisch, sondern sehr materialistisch. Sie betrifft die Antworten, die die neue Regierung auf die gestrigen Probleme der Arbeit, der Prekarität und der Demokratie gibt. In welche Richtung geht der von Prodi, Padoa-Schioppa und Damiano eingeschlagene Kurs? Ist eine Umkehrung der Tendenz zu erkennen?

 

Darüber wird in der CGIL diskutiert. Die auf der gestern zu Ende gegangenen Tagung der Nationalen Leitung geäußerten Positionen sind alle legitim, auch wenn sie unterschiedlich sind und manchmal gegeneinander stehen. Der „Skandal“, der zu der Auseinandersetzung führte, ist die Beteiligung von Teilen der CGIL an der Demonstration vom 4.November gegen die Prekarität. Ein Slogan (oder eine Werbeanzeige oder ein Transparent, wie man will) der COBAS gegen den Arbeitsminister Damiano <von den Linksdemokraten (DS)>, der als „Unternehmerfreund“ bezeichnet wurde, genügte, damit das Sekretariat der CGIL alle ihre Aktiven aufforderte zu Hause zu bleiben. Als ob der Kampf gegen die Prekarität zu etwas Zweitrangigem werden könnte. Denjenigen, die nicht zu Hause blieben (wie die FIOM und die programmatischen Bereiche <der Gewerkschaftslinken> Lavoro e Società und Rete 28 Aprile) wurde der Prozess gemacht – mit unterschiedlichen Anklagepunkten. Wie in schrecklichen Jahren wurde wieder von Gewalt geredet, wenn nicht von Schlimmerem und es war so als ob deren Ablehnung durch einen Verzicht auf den sozialen und gewerkschaftlichen Konflikt begleitet werden sollte. In den vergangenen Jahren war die CGIL in der Lage mit der gesamten Linken in Dialog zu treten und dabei die Inhalte in den Mittelpunkt zu stellen. Ist eine sogar hegemoniale Operation nur dann möglich, wenn die Gegner an der Regierung sind?  Die in der Vorstandssitzung der CGIL registrierten Töne einer Stierkampfarena, die Versuchung mit der FIOM abzurechnen und dann sogar noch die bürokratische Bezugnahme auf die Disziplinarmaßnahmen für diejenigen, die – wie Giorgio Cremaschi – ganz andere Positionen vertreten, lassen für die Zukunft einiges befürchten. Dann nämlich, wenn mit der Regierung und den padroni (Bossen) über die Renten und über die Prekarität verhandelt wird, wenn die <Industriellenvereinigung> Confindustria versucht das Tarifvertragssystem zu begraben und bei der Arbeitszeitregelung einen Durchbruch zu erzielen.

 

Das Spiel ist nicht aus, aber die CGIL muss sich entscheiden, ob sie sich wieder als gemeinsames Haus anbieten will oder ob sie die Erholungspause als beendet betrachtet und zu jenem tristen 21.Juli 2001 zurückkehren will, als nur einige Teile der CGIL auf den Straßen von Genua demonstrierten. Dieselben, die am 4.November gegen die Prekarität demonstrierten.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Gewerkschaftsforum Hannover