Von Knut Henkel, Bogotá
Vier oder fünf Bodyguards
begleiten Tovar, wenn er in der gepanzerten Limousine
in Bogotá unterwegs ist, denn er steht auf Todeslisten der Paramilitärs.
Seit Jahren verweist er auf deren gute Verbindungen zu Wirtschaft und Politik. In
den letzten Monaten hat es dafür reichlich Beweise gegeben. Reihenweise mussten
kolumbianische ParlamentarierInnen zurücktreten, weil
ihre Beziehungen zu Paramilitärs bekannt geworden
sind. Tovar macht die Paramilitärs
verantwortlich für die meisten Morde an CUT-Mitgliedern.
400 Morde
Grosse Bündel Blumen stapeln sich auf dem
Sortiertisch von María Mercado
Alvárez. Tausende Nelken sortiert die 32-jährige Frau
jeden Tag nach Länge, Farbe und Qualität. Rote, gelbe, weisse,
rosa-, orange- oder limonenfarbene Nelken erntet Colibri
Flowers en gros, verpackt und verschickt sie. Rund
zwanzig verschiedene Farben und ein gutes halbes Dutzend unterschiedlicher
Nelkenarten werden in den weitläufigen Treibhäusern nahe der kolumbianischen
Hauptstadt Bogotá gezogen. Sortiert wird im Akkord. Kaum eine der Frauen blickt
auf, wenn jemand ihren Sortiertisch passiert. Fünf Millionen Nelken verarbeitet
das Unternehmen pro Monat mit seinen sechshundert MitarbeiterInnen.
Colibri Flowers geniesst einen guten Ruf in der Branche, denn in den
Gewächshäusern wird fair und umweltschonend, also mit wenig Pestizideinsatz,
produziert.
Das hat dem Unternehmen das Siegel von Max Havelaar eingebracht und eine ganze
Reihe neuer KundInnen. Colibri
Flowers setzt auf ein positives Image und das Fair Trade-Label, um sein duftendes Produkt in alle Welt zu
exportieren. Mit Erfolg, das Unternehmen verschickt den Grossteil der
Produktion nach Europa und Japan - und nicht in die USA, die wichtigsten
Abnehmerinnen von Schnittblumen aus Kolumbien. Doch selbst in einem Vorzeigebetrieb
wie Colibri Flowers
reagieren die Frauen an den Sortiertischen zurückhaltend auf die Frage, ob sie
denn gewerkschaftlich organisiert sind. María Mercado Alvárez lacht nur, ihre
Kollegin am Nachbartisch zuckt die Schultern und blickt zur Umweltbeauftragten María Fernando Rojas. «Ein Arbeiterkomitee gibt es, das die
Interessen der Angestellten vertritt», erklärt diese schnell und setzt den
Rundgang durch Sortierhalle und Gewächshäuser fort.
Gewerkschaft
unerwünscht
Nicht ein einziges Gewerkschaftsmitglied findet sich in der Belegschaft von Colibri Flowers. «Kein Einzelfall im kolumbianischen
Blumensektor mit seinen rund 500 Plantagen», sagt Beatrix Fuentes. Die
junge Frau ist die Vorsitzende von Sintrasplendor,
der Gewerkschaft der ArbeiterInnen von Splendor Flowers, einer der grössten Blumenproduzentinnen Kolumbiens. Sintrasplendor gehört zu der 2001 gegründeten Unión Nacional de Trabajadores de las Flores, kurz Untraflores, und ist gemäss
Fuentes mit 930 von rund 1400 Untraflores-Mitgliedern
das Rückgrat dieser ersten unabhängigen Branchengewerkschaft im Blumensektor. «El Corzo ist die grösste Blumenplantage von Splendor
Flowers», so die 31-jährige Gewerkschafterin. 2000
Menschen arbeiteten in den Gewächshäusern der Plantage, bevor der Betrieb 1998
an den US-amerikanischen Dole-Konzern überging. Der hat sich damals in den
Markt eingekauft und gleich die fünf grössten
Blumenunternehmen des Landes übernommen. «Gleichwohl
taucht der Name von Dole im kolumbianischen Handelsregister nicht auf»,
sagt Beatriz Fuentes. Sie ist nicht gut auf den
multinationalen Konzern zu sprechen, denn der will zwei Plantagen in Kolumbien
schließen: El Corzo und Porcelain
Flowers.
Allein ökonomische Gründe seien dafür ausschlaggebend gewesen, sagte John Amaya, Chef der Dole-Blumensparte, bei einem Besuch in
Kolumbien im letzten Jahr. 2600 ArbeiterInnen sind
betroffen, und lange nicht alle glauben Amaya. So
auch Aura Rodríguez, Direktorin der nichtstaatlichen
Organisation Corporación Cactus:
«Es wäre nicht das erste Mal, dass eine
unabhängige Betriebsgewerkschaft durch die Schließung des Betriebs
ausmanövriert wird.» Seit über zehn Jahren kämpft sie für bessere
Arbeitsbedingungen im Blumensektor und hat Dole immer wieder erfolglos
aufgefordert, seine Besitzverhältnisse in Kolumbien offenzulegen.
«Mindestens 13 Plantagen gehören zum
Dole-Konzern, doch wir glauben, dass es rund 25 sind, die von Dole direkt oder
indirekt gemanagt werden.» John Amaya hat zudem
öffentlich eingeräumt, dass es bei El Corzo
Arbeitskonflikte gibt. Das ist ungewöhnlich, denn auf der Plantage existierte
bis zur Gründung von Sintrasplendor 2004 keine
Gewerkschaft. «Drei Wochen später kamen
die Funktionäre von Sinaltraflor und gründeten eine
Gegengewerkschaft. Das ist der Versuch uns auszubremsen», sagt Beatriz Fuentes. Kein Einzelfall, denn die seit 32 Jahren
existierende Sinaltraflor sei immer wieder im
Auftrag und Interesse der UnternehmerInnen aktiv
geworden.
Dumping beim
Arbeitsrecht
Durch die so genannten gelben Gewerkschaften – wie die den Unternehmen nahe stehenden
Gewerkschaften genannt werden – sind die Arbeiterrechte in vielen Branchen
ausgehöhlt worden. Oscar Tascón ist Spezialist für
Menschenrechte bei Sinaltrainal, der Gewerkschaft im
Nahrungsmittelsektor. «Für uns sind die
gelben Gewerkschaften ein Phänomen, mit dem wir erst seit 2005 zu kämpfen
haben», sagt der 47-jährige ehemalige Nestlé-Arbeiter. So habe Sinaltrainal eine ganze Reihe Mitglieder an die gelbe
Gegengewerkschaft in den Abfüllanlagen von Coca-Cola verloren.
Doch noch entscheidender für den Mitgliederschwund bei Sinaltrainal
und anderen Gewerkschaften ist, dass Arbeitsbereiche ausgegliedert und die
gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen bedroht
werden. Bei Sinaltrainal ist der Rückgang der
Mitgliederzahlen dramatisch: «1990 hatten
wir 5200 Mitglieder, derzeit sind es noch rund 1600», sagt Tascón. So haben Nestlé, Coca-Cola oder die kolumbianische
Sodawasserfirma Postobón gewisse Arbeitsbereiche
ausgegliedert. Die betroffenen ArbeiterInnen werden
dann von Subunternehmen der oftmals gleichen Firmen wieder eingestellt, aber zu
veränderten Konditionen. «Die
Angestellten der Subunternehmen dürfen sich jedoch nicht gewerkschaftlich
organisieren. Sie erhalten oft nur den gesetzlichen Mindestlohn von umgerechnet
210 Schweizer Franken <d.h. 140 Euro> und bei
einer Entlassung nicht mal eine Abfindung», sagt Tascón. Dieses Modell ist in Kolumbien
mittlerweile in allen Branchen verbreitet.
Beispiel Nestlé
«Ich habe in Valledupar und Bucaragrande
bei Nestlé gearbeitet. In beiden Werken hat das Unternehmen die Rechte der
Arbeiter abgebaut», erzählt Oscar Tascón. Im Oktober
2002 wurde er gemeinsam mit neun Kollegen, darunter Luciano Enrique Romero,
entlassen. Laut Nestlé-Pressesprecher François-Xavier Perroud
haben die neun Gewerkschafter an einem illegalen Streik in Valledupar
teilgenommen. «Wir haben damals eine Protestversammlung außerhalb des
Fabrikgeländes organisiert, keinen Streik», sagt Tascón.
«Vom Arbeitsministerium wurde das aber
als illegale Arbeitsniederlegung gewertet und galt als Grund für unsere
Entlassung.» Oscar Tascón und seine Kollegen
haben sich erfolglos dagegen gewehrt. Er selbst musste nach mehreren
Morddrohungen Valledupar verlassen und arbeitet jetzt
in der unscheinbaren, aber hoch gesicherten Sinaltrainal-Zentrale
in Bogotá. Auch seine Kollegen mussten sich in Sicherheit bringen. Luciano
Enrique Romero hatte nach der Entlassung längere Zeit in Europa gelebt, bevor
er nach Kolumbien zurückkehrte. Im September 2005 wurde seine gefesselte, mit
Folterspuren und vierzig Messerstichen übersäte Leiche gefunden.
Die Witwe Romeros hat zusammen mit Sinaltrainal und
dem in Washington ansässigen International Labor Rights
Fund letzten Oktober in Miami in den USA eine Klage gegen Nestlé eingereicht. Der
Konzern sei mitverantwortlich für den vermutlich von Paramilitärs
begangenen Mord. Als Motiv für den Mord nennt die Klage, dass Luciano Enrique
Romero entscheidend an der Aufdeckung eines Skandals von 2002 beteiligt war. Damals
wurde bekannt, dass Nestlé in Kolumbien längst abgelaufenes Milchpulver
verwendet und umetikettiert hatte. Die Klage gegen Nestlé hat Romeros Witwe
inzwischen zurückgezogen. «Frau Mendoza Mejía wollte nicht zur Märtyrerin werden», so der
Anwalt vom International Labor Rights Fund.
Nestlé-Pressesprecher Perroud bestreitet auf Anfrage
der „WOZ“, dass der Schweizer
Lebensmittelkonzern verfallenes Trockenmilchpulver verwendet habe. Genauso
verneint er die Mitwirkung Romeros bei der Aufdeckung des Skandals. Der Konzern
gewähre Drittpersonen generell keinen Zugang zu den Nestlé-Fabriken in
Kolumbien selbst. Auch gegenüber den VertreterInnen
der kolumbianischen Gewerkschaft verhält sich der Multi zugeknöpft. Mehrfach
wurden Delegationen am Stammsitz in Vevey nicht empfangen. Anders in Kolumbien.
Dort gibt es gemäss Sinaltrainal
immerhin Gespräche mit Nestlé, unter anderem über die Sicherheit der GewerkschaftsvertreterInnen.
In den letzten zwanzig Jahren wurden neben Romero neun weitere organisierte Nestlé-ArbeiterInnen ermordet. Kolumbien gilt für GewerkschafterInnen als gefährlichstes Land der Welt. «2005 sind 70 Arbeitervertreter ermordet
worden», sagt Domingo Tovar, «und bis Mitte November 2006 wurden schon 71 tote
Gewerkschaftsmitglieder registriert.» Der Fünfzigjährige ist Beauftragter
für Menschenrechte der CUT, des grössten der drei
Gewerkschaftsdachverbände des Landes. Tovar gilt als
einer der am besten bewachten Männer Kolumbiens.
Jagd auf
Gewerkschaften
Vier oder fünf Bodyguards begleiten Tovar, wenn er in
der gepanzerten Limousine in Bogotá unterwegs ist, denn er steht auf Todeslisten
der Paramilitärs. Seit Jahren verweist er auf deren
gute Verbindungen zu Wirtschaft und Politik. In den letzten Monaten hat es
dafür reichlich Beweise gegeben. Reihenweise mussten kolumbianische ParlamentarierInnen zurücktreten, weil ihre Beziehungen zu Paramilitärs bekannt geworden sind. Tovar
macht die Paramilitärs verantwortlich für die meisten
Morde an CUT-Mitgliedern. «Seit 1991 wurden nicht weniger als 2.205 Kollegen ermordet», sagt Tovar. Das ist einer der Hauptgründe für die schwache gewerkschaftliche
Organisation in Kolumbien. Dafür mitverantwortlich sind laut Tovar aber auch die multinationalen Unternehmen: «Sie
zeichnen sich nicht gerade durch grossen Respekt für
die Menschen- und Arbeitsrechte aus», sagt er. «Es gibt Indizien für die Kooperation zwischen Paramilitärs
und den multinationalen Unternehmen wie Coca-Cola, Nestlé, dem
US-amerikanischen Bergbaukonzern Drummond und British Petrol.»
Diese Indizien wie auch die Dokumentation von Drohanrufen, den
Einschüchterungsversuchen, Flugblättern gegen die Gewerkschaften und
Zeugenaussagen werden von den Gewerkschaften zusammengetragen und bildeten die
Basis für diverse gerichtliche Klagen. Allerdings nicht nur in Kolumbien, wo
kaum einer der Morde an GewerkschafterInnen je
aufgeklärt wurde und die Klagen oft im Sand verlaufen, sondern auch in den USA.
Dort wurden die Klagen gegen Coca-Cola, Drummond und Nestlé medienwirksam
eingereicht. «Die Internationalisierung des Widerstands ist die einzige Chance,
die wir haben», sagt Domingo Tovar. Der Boykott der
Koffeinbrause an mehreren US-amerikanischen Universitäten wegen der ermordeten GewerkschafterInnen stört den Konzern genauso wie die
internationale «Coke
Kills»-Kampagne in Europa. Immerhin scheinen die
Klagen Wirkung zu zeigen. So hat Coca-Cola Kontakt mit Sinaltrainal
aufgenommen, um über die Klagen und Vorwürfe zu verhandeln - wenn auch unter
Ausschluss der Öffentlichkeit.
Weniger Lohn
Die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Menschen in Kolumbien nimmt seit
Jahren kontinuierlich ab. Bei 42 Millionen EinwohnerInnen
gibt es nur eine Million Gewerkschaftsmitglieder, davon sind 600 000 im größten
Dachverband CUT organisiert. Doch nicht nur die Gewalt gegen GewerkschafterInnen, auch die Veränderung der
Beschäftigungsverhältnisse lässt den Einfluss der ArbeiterInnenvertretungen
schwinden. So arbeiten 62 Prozent der kolumbianischen Erwerbstätigen
mittlerweile im informellen Sektor. Diese Veränderung der Arbeitsverhältnisse
hat auch eine Senkung des Durchschnittslohns zur Folge, der laut CUT von 600
auf derzeit 120 US-Dollar gefallen ist.
(Quelle: Alternative Infogruppe Kolumbien -18 Feb
2007; siehe: http://www.nuevacolombia.de/cute_ru/index.php)
Einfügung in eckigen Klammern: Gewerkschaftsforum
Hannover