Antifa-AG der Uni Hannover:
Nach Bekanntgabe des äußerst knappen
Wahlsieges der italienischen Mitte-Links-Union unter Ex-EU-Präsident Romano
Prodi über die regierende Rechts-Koalition von Silvio Berlusconi brachte die
unabhängige linke Tageszeitung „il manifesto“ am 12.4.2006
den folgenden Leitartikel ihres Direktors Gabriele Polo:
Editorial:
Das Gespenst von
Arcore
GABRIELE POLO
Silvio Berlusconi hat die
Wahlen, die er in ein Referendum über sich selbst verwandelt hatte, verloren.
Er ist allerdings nicht von der Bühne verschwunden. Sein Schatten wird die
italienische Politik weiter beeinflussen. Das sah man auch gestern als er die
Legitimität des Votums nicht anerkannte und bei den anschließenden
Schmeicheleien zugunsten von Gesprächen beider Lager. Ein Schatten kann
gefährlicher sein als ein Körper. Er nimmt dem Gegner die Materie, auf die er
sich stürzen und die im Hintergrund aktiv werden kann. Ein Schatten ist ein
Alptraum unverarbeiteter Erinnerungen, wie es für Hamlet das Gespenst des
Vaters war.
Es wäre ein Fehler, den
knappen Wahlsieg der Mitte-Linken als politischen Erfolg zu verkaufen und zu
meinen, dass eine Handvoll Stimmen und ein paar südamerikanische Senatoren auf
einen Schlag zwei Jahrzehnte auslöschen können, in denen Egoismen, Angst und
Klasseninteressen gerannen, denen Berlusconi Gestalt verlieh. Die jüngste
Autobiographie eines Landes, das sich in Tausenden von individuellen Impulsen
(in einer unkontrollierbaren Detonation sozialer Aggregate) auflöst, ist in
einem Wahlergebnis kulminiert, das dem Mann aus Arcore, der die Niederlage
nicht akzeptieren wird, ohne dass ein Preis dafür bezahlt wurde, „unerwarteterweise“
eine beneidenswerte Stärke verliehen hat. Das ist die Konditionierung, mit der
der Berlusconismus gegenüber der künftigen Mitte-Links-Regierung aufwartet.
Es bedürfte einer Wende in
Inhalt und Methode. Die Führungen der Mitte-Linken, die nicht aus eigener
Kraft, sondern nur aufgrund der Anstrengung von Millionen Menschen, an die
Regierung kommen werden, glänzen nicht gerade durch Kühnheit. Sie tun so als
hätten sie mit großem Vorsprung gewonnen, gehen über die Misserfolge ihrer
Parteien hinweg und werden sie sogar dazu benutzen, um sich in ihren Ämtern zu
bestätigen. Es besteht die konkrete Gefahr, dass sie es mit der Suche nach
Kompromissen (moderazione) übertreiben, dass sie sich von Berlusconis
Gespenst peinigen lassen, um das Autonomiedefizit der nationalen Autobiographie
durch eine Zentralisierung der Entscheidungen und politische Vorsicht
auszugleichen.
Der erste Schritt, um dieser
Falle zu entgehen, ist der nahe liegendste und relativ gesehen „einfachste“.
Wenn, wie Prodi sagt, „es nur eine Mehrheit gibt“, dann muss diese in
die Lage versetzt werden, sofort zur Regierung zu werden, ohne die Wahl des
neuen Präsidenten der Republik abzuwarten. Sonst besteht die Gefahr eines
schrecklichen Vakuums von ein paar Monaten Dauer, in denen die Regierung des
Gespenstes <Berlusconi> weiterhin ihre Macht in einem Land ausüben wird, in
dem – wie auch die jüngsten Wahlen verdeutlichen – der großen Nachfrage nach
Politik eine Repräsentanzkrise gegenübersteht. Da sich die Repräsentanz nicht
nur im Wählerauftrag ausdrückt, verlangt dies eine Kohäsion <einen Zusammenhalt>, den es heute offenkundig nicht gibt. Wobei die sog.
„starken Mächte“ (sogar die Kirche) immer weniger zählen und die großen
(politischen, gewerkschaftlichen und sozialen) Organisationen nicht einmal mehr
sich selbst kontrollieren. In einer derartigen Situation kann jede
Zweideutigkeit und jede Verzögerung gefährlichen oder (etwas schärfer gesagt)
obskuren Beziehungen den Weg ebnen. Zwei Gefahren, an die sich das Land noch
gut erinnert. Deshalb sollten Prodi und seine Koalition den Mut haben von <Staatspräsident> Ciampi so schnell wie möglich einen
Regierungsauftrag zu erhalten, denn eine Verzögerung zu akzeptieren, wäre
falsch.
Es gibt aber noch einen
zweiten Schritt, der einen längeren Atem erfordert. Die Mitte-Linke muss sich
in der Sache vom drohenden Gespenst Berlusconi freimachen. In der Außenpolitik
(Krieg, Mittlerer Osten, Verhältnis zu den USA), bei den sozialen
Entscheidungen (Schule, Gesundheitswesen, gemeinsame Kulturgüter), bei den
Problemen der Wirtschaft und der Arbeit (Rolle des Öffentlichen, Steuern,
prekäre Beschäftigung), in Sachen ziviles Leben (Immigration, Weltlichkeit,
Rechte) bei all dem ist eine Kluft <zur bisherigen Regierung> notwendig. Das verlangt das Wahlergebnis vom Sonntag
und Montag und darauf setzen (durch die Umkehr der wirtschaftsliberalen und
individualistischen Logik des Berlusconismus) diejenigen, die für die
Mitte-Linke gestimmt haben. Und das ist auch der Sinn ihres Wahlsieges, der in
der Praxis in der konkreten Überprüfung dessen, was in einem zu allgemein
gehaltenen Programm geschrieben steht, mit Leben erfüllt und woran sich die
Möglichkeit, die nationale Autobiographie zu ändern, messen lassen wird. Und
(in unserem kleinen Bereich) auch die Beziehungen zu einer noch neu zu
(be)gründenen Linken.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover