„Intifada“ Nr. 20 (29.9.2005)
"Gaza wird zu einem großen Gefängnis unter israelischer
Kontrolle"
Interview
mit Ahmad Saadat, Generalsekretär der Volksfront zur Befreiung Palästinas
(PFLP)
Ahmad Saadat ist seit der gezielten Tötung seines
Vorgängers, Abu Ali Mustafa, durch einen israelischen Raketenangriff am 27. August
2001 Generalsekretär der PFLP. Seit April 2002 ist er in Jericho, in einem von
der palästinensischen Autonomiebehörde betriebenen Gefängnis unter
US-amerikanischer und britischer Aufsicht, inhaftiert. Saadat wurde 2002 von
den Sicherheitskräften Arafats, auf Geheiß Israels verhaftet. Israel sieht
Saadat als Drahtzieher des tödlichen Anschlags auf den rechtsextremen
israelischen Tourismusminister Rehavam Ze’evi. Als Gegenleistung versprachen
die Israelis Arafat mehr Bewegungsspielraum in Ramallah, das 2002 vom
israelischem Militär besetzt wurde und unter ständigem Beschuss stand.
Intifada: Warum sind Sie in einem
palästinensischen Gefängnis?
„Ich bin hier inhaftiert, weil die israelische Regierung,
die palästinensische Autonomiebehörde dazu veranlasst hat. Israel macht mich
für die Tötung des ehemaligen israelischen Tourismusministers Rehavam Ze’evi
verantwortlich und beschreibt dies als terroristischen Akt. Wie allgemein
bekannt, war Zeevi für viele palästinensische Tote vor 1948 und 1973 im Sinai
verantwortlich. Er stellte sich aktiv gegen eine politische Lösung des
Konfliktes. Darüber hinaus war er an der israelischen Entscheidung, den
unschuldigen Abu Ali Mustafa zu töten, mitbeteiligt. Weil also Israel meine
Inhaftierung forderte, wurde ich 2002 verhaftet und hier nach Jericho gebracht,
ein Gefängnis, das auf Grund eines Abkommens der Fatah von britischen und
US-amerikanischen Truppen kontrolliert wird.“
Wie ist ihre persönliche Situation? Bekommen
Sie Familienbesuche?
„Meine persönliche Situation hier in Jericho ist die
eines politischen Gefangenen, das heißt, dass meine Möglichkeiten als
Generalsekretär der PFLP hier natürlich eingeschränkt sind. Familienbesuche
werden aber gestattet. Es gibt in Israel über 6000 politische Gefangene. Die
beste Hilfe für die politischen Gefangenen, so wie mich, ist die Unterstützung
des palästinensischen Volkes in seinem Kampf um Befreiung.“
Zurzeit werden einige politische Gefangene
aus den Gefängnissen entlassen. Glauben Sie, dass auch Sie bald entlassen
werden?
„Wann ich entlassen werde, ist absolut ungewiss. Ich bin
eigentlich durch ein Urteil des Obersten Gerichtshofes freigesprochen worden,
aber auch andere Gefangene, deren Haftstrafe bereits vor einem Jahr abgelaufen
ist, sind immer noch inhaftiert, so zum Beispiel Fuad Shubaki, [Mitglied des
Fatah-Zentralkomitees], den Israel des Waffenschmuggels bezichtigt. Wenn ich
aber freigelassen werden sollte, so muss dies die PNA tun, die mich schließlich
inhaftiert hat.“
Was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür,
dass die PFLP auf die so genannten Schwarzen Listen der USA und der EU gesetzt
wurde und inwieweit beeinflusst das die Arbeit der Volksfront?
„Die Schwarzen Listen sind an sich nicht das Problem,
sondern der Kontext, in dem sie stehen, nämlich die Verteufelung des gesamten
palästinensischen Kampfes als Terrorismus. In diesem Kontext wird dann auch der
Irak-Krieg zur „Verteidigung“, der besetzte Irak zur „Demokratie“, und aus
Widerstandskämpfern werden „Terroristen“. Und damit nicht genug, werden auch
aus jenen, welche den Widerstand unterstützten bald „Terroristen“ werden.“
Glauben Sie, dass der israelische Rückzug aus dem Gaza-Streifen ein erster
Schritt in Richtung eines lebensfähigen palästinensischen Staates ist, wie dies
Fatah-Kräfte behaupten?
„Der israelische Gaza-Abzug ist ganz klar auf den
bewaffneten Widerstand zurückzuführen. Aber es ist kein vollständiger Abzug. Die
israelische Armee wird weiterhin die Grenzen, das Meer und den Luftraum
kontrollieren. Entgegen dem Völkerrecht wird Gaza zu einem großen Gefängnis
unter israelischer Kontrolle werden.
Wollte man wirklich die palästinensische Frage lösen, verliefe der schnellste
Weg darüber, dass die Vereinten Nationen Israel dazu zwingen, die
verabschiedeten Resolutionen umzusetzen. Aber Sharons Plan hat nichts mit dem
internationalen Recht zu tun. Er will nicht das Ende der Besatzung, sondern die
wichtigsten Siedlungen in der Westbank behalten. Die Mauer tut dann ihr
übriges, indem sie die Westbank in Kantone zerteilt.
Und auch die Road-Map, über die so viel geredet wird, führt letztlich nur nach
Oslo zurück, und das Ergebnis von Oslo kennen wir, weshalb wir die Road-Map
ablehnen. Das Problem der Road-Map ist, dass sie die nach internationalem Recht
gegebenen palästinensischen Rechte nicht anerkennt und somit nur den Israelis
hilft. Es bräuchte eine internationale Konferenz unter Schirmherrschaft der UN
und Friedenstruppen, um die Palästinenser zu schützen, denn die Israelis
verhalten sich, als ob sie über dem Gesetz stünden. Frieden wird es nur ohne
Besatzung und ohne Schwarze Listen geben, wenn also Israel endlich nicht mehr
als Opfer, sondern als Aggressor angesehen wird.
Ein gutes Beispiel ist der Waffenstillstand, an den die Israelis sich nicht
halten. Er dient dazu die Road-Map durchsetzen und wird uns doch nur zum
Ausgangspunkt der Zweiten Intifada zurückbringen.“
Aber die PFLP hat sich am Waffenstillstand
beteiligt?
„Wir haben den Waffenstillstand zu Beginn nicht
akzeptiert, denn eine Voraussetzung für einen Waffenstillstand wäre das Ende
der Besatzung der 67er Gebiete. Aber schließlich haben wir, aus Rücksicht auf
alle anderen Gruppen, die den Waffenstillstand wollten, eingewilligt. Vor dem
Abkommen gab es zwei Möglichkeiten, die Israelis hätten es gerne gesehen, dass
wir beginnen uns gegenseitig zu bekämpfen. Die andere Möglichkeit, um mit
unseren internen Problemen fertig zu werden, bestand darin, sie demokratisch zu
lösen. Wir einigten uns darauf an den Wahlen teilzunehmen und die PLO als
Dachorganisation aller palästinensischen Organisationen zu erneuern.“
Wie beurteilen sie die momentane politische
Situation unter der Führung von Mahmoud Abbas?
„Mahmoud Abbas ist die Fortsetzung von Arafat und somit
politischer Stellvertreter der Bourgeoise. Fatah hat nicht nur Oslo und die
Road-Map akzeptiert und damit die Interessen des palästinensischen Volkes
verkauft, sondern agiert auch intransparent, vor allem in Bezug auf die
Verwendung von Geldern. Die Autonomiebehörde ist nicht demokratisch und ehrlich
in Bezug auf die palästinensische Frage.“
Wird die PFLP sich an den kommenden
Parlamentswahlen beteiligen? Und wenn ja, wird die PFLP alleine antreten oder
ist es denkbar, dass die PFLP sich an einer Koalition oder Wahlallianz mit
Hamas oder anderen islamischen politischen Kräften beteiligt?
„Ja, wir werden uns an den Parlamentswahlen beteiligen. Ich
erwarte, dass die Fatah die stärkste Kraft nach den Wahlen sein wird, dicht
gefolgt von Hamas, und wir als wichtigste Kraft der palästinensischen Linken
die dritte Kraft sein werden. Letztendlich werden wir zwischen Hamas und Fatah
das Zünglein an der Waage sein und hoffen so auch die Linke innerhalb der Autonomiebehörde
wieder zu stärken.
Generell sind alle Gruppen in Palästina in derselben Situation, sie führen
einen Kampf gegen die israelische Besatzung, seien sie links oder islamisch. Es
gibt aber natürlich im politischen Programm, in den sozialen Vorstellungen
einer künftigen Gesellschaft große Unterschiede zwischen uns und den
islamischen Kräften. Die Hamas ist vom politischen Spektrum her gesehen weit
rechts, während wir ein demokratisch-kommunistisches Programm vertreten.“
Warum hat die PFLP bei den vergangenen
Präsidentenwahlen Mustafa Barghouti unterstützt?
„Wir haben Mustafa Barghuti unterstützt, weil er mit
einem Programm angetreten ist, das auch unseres hätte sein können und de facto
einige Punkte beinhaltete, die wir angemahnt haben. An der Wahl haben wir uns
aber nicht direkt beteiligt, da sie auf den Vereinbarungen von Oslo basierte,
die wir ablehnen. Insofern war Barghuti eine Alternative, auch wenn wir nicht
in allem mit ihm übereinstimmten. Dass wir ihn unterstützt haben, heißt aber
nicht unbedingt, dass wir dies in Zukunft noch einmal tun werden.“
Es wird allgemein von Veränderungen in der
Strategie und Taktik der PFLP gesprochen, deren historische Position die einer
demokratischen Ein-Staatenlösung auf dem <ehemaligen britischen> Mandatsgebiet Palästina auf der Grundlage
der Zerschlagung Israels war. Können Sie die taktischen Veränderungen
beschreiben?
„Ja es gibt einen Wechsel in der Taktik, aber keinen
programmatischen Wechsel. Wir streben nach wie vor eine Ein-Staatenlösung an,
da die Zwei-Staatenlösung niemals alle Probleme lösen kann. Schauen wir nur
nach Südafrika, dort wäre eine Zwei-Staatenlösung auch nicht möglich gewesen. Generell
wollen wir auch nach wie vor einen säkularen Staat, denn ein Staatswesen auf
der Basis der Religion ist äußerst schädlich. Der Wechsel in der Taktik zeigt
sich zum Beispiel darin, dass wir uns nun im Gegenteil zu 1996 an den kommenden
Wahlen im Januar beteiligen werden.“
Nach den weltpolitischen Veränderungen 1989
und dem Ende der Sowjetunion 1991 hat sich das Kräftegewicht weltweit
verändert. In wie weit hat sich das auch auf die Situation in Palästina ausgewirkt?
„Ganz allgemein natürlich, dass die islamischen Kräfte
stärker geworden sind. Sie wuchsen in dem Vakuum, das der Niedergang der Linken
insbesondere in den arabischen Ländern hinterlassen hatte, weshalb wir eine
Balance mit diesen Kräften versuchen. Wir haben seit 89 viele Bündnispartner
und Freunde in der Welt und in den umliegenden arabischen Ländern verloren,
weil die USA seitdem sehr mächtig geworden sind.
Aber wir glauben auch von den Fehlern der Sowjetunion gelernt zu haben. Nach
wie vor sind wir Kommunisten und halten eine internationale Revolution für die
zentrale Perspektive zur Lösung der weltweiten Konflikte und Probleme.“
Das Interview führte Martin Kaschube im Rahmen der Solidaritätsdelegation „Risse in der Mauer“.
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sich online unter http://www.antiimperialista.com/
Anmerkung in eckigen Klammern: Antifa-AG der Uni Hannover