Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Nach dem Massaker am Strand von Sudanya im Gaza-Streifen, wo am Freitag, den 9.Juni 2006
eine israelische Granate 8 Palästinenser (darunter eine 7köpfige Familie)
tötete und mehrere weitere verletzte, nahm die Weltöffentlichkeit diese
regelmäßigen „bedauerlichen Irrtümer“ des israelischen Besatzungsterrors zum
ersten Mal seit langem wieder zur Kenntnis. Die unabhängige linke italienische
Tageszeitung „il manifesto“ fragte den
bekannten Vertreter der israelischen radikalen Linken, Anti-Kriegs-Aktivisten
und Leiter des Alternativ Information Center (AIC; siehe: www.alternativenews.org), Michael
Warschawski, nach den Gründen für diese
Gleichgültigkeit und der Reaktion der israelischen Mitte-Linken. Das Interview
erschien am 22.6.2006.
INTERVIEW:
Gaza: Das Abschlachten der
Unschuldigen
MICHELE GIORGIO – JERUSALEM
An der israelischen
Luftoffensive klebt erneut das Blut unschuldiger Palästinenser. Gestern wurden
eine schwangere Frau und ihr Bruder getötet sowie 14 weitere Palästinenser bei
einem neuen Angriff in Khan Yunis (Gaza) verletzt
(drei davon sind Kinder). Eine von einem Flugzeug (oder einem Hubschrauber)
anscheinend auf ein Auto, in dem sich Mitglieder der Komitees des
Volkswiderstandes (PRC) befanden, abgefeuerte Rakete, traf stattdessen ein
Wohnhaus. Ein erneuter „tragischer Irrtum“, ein neuer „Kollateralschaden“ des militärischen Feldzuges, den
Israel gegen die palästinensischen Aktivisten gestartet hat, die beschuldigt
werden, selbst gebaute Raketen auf die Stadt Sderot
abgefeuert zu haben. Die verbitterten Bewohner der israelischen Kleinstadt
protestieren nun mit einem gegen den Staat gerichteten Streik. Der
Verteidigungsminister und ihr Mitbürger Amir Peretz
(von der Arbeitspartei Avoda) versucht sie zu
beruhigen, indem er grünes Licht für Luftangriffe und Kanonenbeschuss gibt und
(wie man sagt) bald auch für eine umfangreiche Bodenoffensive. Die
Palästinenser antworten darauf mit neuen Raketenangriffen.
Eine Abfolge von Angriffen
und Repressalien, für die die palästinensischen Zivilisten teuer bezahlen,
während Peretz, der israelischen
Presse zufolge die Eliminierung von Hamas-Führern genehmigt hat. Die <große konservative> Tageszeitung „Yediot Ahronot“ veröffentlichte gestern die Profile der acht
möglichen Ziele des israelischen Feuers, darunter Ministerpräsident Ismail Hanija, Außenminister Mahmud Zahar
und Innenminister Said Siam. Israel bezeichnet das als „gezielte
Exekutionen“ von Führern und Militanten. Es sterben aber auch Unschuldige.
Gestern nahmen Hunderte
Palästinenser in Jabaliya an der Beerdigung zweier
Brüder im Kindesalter und eines Heranwachsenden teil, die von einer
israelischen Rakete getroffen wurden, die auf ein Auto abgefeuert worden war,
in dem sich zwei Aktivisten der Al-Aqsa-Märtyrer-Brigaden
befanden. In den vergangenen Tagen wurden bei verschiedenen israelischen
Militäroperationen weitere palästinensische Kinder getötet. Die internationale
Gemeinschaft aber schweigt weiter oder beschränkt sich darauf, die beiden im Konflikt
liegenden Parteien zur „Mäßigung“ aufzurufen. Über diese
Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der unter der Besatzung lebenden
Palästinenser und das jeden Tag fließende Blut diskutierten wir mit Michael „Mikado“
Warschawski, einem der bedeutendsten Vertreter der
israelischen Friedensbewegung und Autor des Buches „Israele
– Palestina. La sfida binazionale“ („Israel – Palästina. Die binationale Herausforderung“).
Tödlich getroffene
Unschuldige. Jeden Tag erreichen uns aus Gaza dramatische Nachrichten, die die
Weltöffentlichkeit erschüttern. Bis vor einiger Zeit war das allerdings nicht
so.
„Der Hauptgrund für die
Gleichgültigkeit liegt darin, dass es den amerikanischen Neokonservativen und
ihren Verbündeten in aller Welt gelungen ist die These zu verbreiten, dass in
dem stattfindenden ‚Kampf gegen den internationalen Terrorismus’ ein
Tribut in Form von Menschenleben Unschuldiger unvermeidlich, ja fast notwendig
ist. Jeden Tag erfahren wir von zivilen Opfern bei amerikanischen Luft- und
Bodenoperationen in Afghanistan oder im Irak. Das alles erschüttert die
Weltöffentlichkeit (vor allem im Westen) allerdings nicht. Diesen Leuten ist es
gelungen, Hunderte Millionen Menschen glauben zu machen, dass die Besetzung
bestimmter Länder, der Einsatz verheerender Waffen und der daraus folgende Tod
von Männern, Frauen und Kindern, die ohne irgendeine Verantwortung sind, den
Preis darstellt, der für unsere Sicherheit bezahlt werden muss. Das alles
trifft auch und vor allem in Israel zu, wo zunächst Sharon und dann Olmert alles dafür getan haben, die Bevölkerung glauben zu
machen, dass unsere Armee ‚die Moralischste der Welt’ ist und dass immer
die Palästinenser schuld sind, auch wenn unsere Soldaten Frauen und Kinder am
Strand abschlachten oder während sie auf der Straße herumlaufen. Diese Toten –
erklären uns Politiker und Militärs – sind Teil der humanen Kosten, die unsere
Sicherheit garantieren. Natürlich werden sich diese Leute nach jeder Tötung
beeilen, ihr Bedauern über den ‚Fehler’ auszusprechen, dabei aber
gleichzeitig betonen, dass dafür immer nur die militanten Palästinenser
verantwortlich sind.“
Und die israelische
Mitte-Linke? In den letzten Jahren haben die Mitglieder der Arbeitspartei (Avoda) und die <“links“-sozialdemokratische> Meretz den von der Rechten
entwickelten Unilateralismus akzeptiert, ohne dies
zuzugeben.
„Die unilateralen Pläne von
Sharon und Olmert gefallen einem großen Teil der
traditionellen israelischen Linken, wie dem Meretz
oder der Arbeitspartei sehr gut. Das sind politische Kräfte, die sich
öffentlich für die Wiederaufnahme der Verhandlungen aussprechen, aber in
Wirklichkeit die Mauer, die in Cisjordanien gebaut
wird, und all das, was auf dem Terrain derzeit einseitig umgesetzt wird,
akzeptieren. Man darf nicht vergessen, dass die Idee einer eindeutigen Trennung
von den Palästinensern zuallererst eine der Arbeitspartei ist. Und wenn der Unilateralismus okay ist, dann ist für diese politischen
Kräfte auch all das in Ordnung, was die militärischen Befehlsstäbe beschließen,
auch wenn es unschuldige Palästinenser sind, die dabei ihr Leben verlieren.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover