Antifa-AG der Uni Hannover:
Nach der ersten Londoner Anschlagswelle
am 7.Juli 2005 befragte die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ den
Anfang Mai bei den Parlamentswahlen überraschend im Londoner Wahlkreis „Bethnal
Green and Bow“ mit 15.801 Stimmen (=35.91%) gewählten einzigen Abgeordneten des
neuen linken britischen Wahlbündnisses RESPECT, George Galloway, zu diesen
Ereignissen und den Hintergründen. Wir bringen hier die Übersetzung dieses
Interviews, obwohl wir verschiedene direkte oder indirekte Aussagen des
ehemaligen Labour-Party-Abgeordneten Galloway (z.B. zur IRA, zum
Nordirland-Abkommen, seine den britischen Geheimdienste erteilte
Generalabsolution und die Mystifizierung Bin Ladens als irrationalem,
fanatisiertem Glaubenskrieger) nicht teilen und ihn und RESPECT auch ansonsten
in vielen Dingen durchaus kritikwürdig finden. Zum Beispiel seinen Anspruch auf
das volle opulente Gehalt eines Unterhaus-Abgeordneten, da „ich diesen
Lebensstil nun mal gewöhnt bin“. Oder das Bekenntnis zur Monarchie, das von der,
RESPECT wesentlich mit tragenden, Socialist Workers Party (SWP), der
Mutterpartei des bundesdeutschen „Linksruck-Netzwerkes“, gegen die linke
Minderheit des Wahlbündnisses durchgedrückt wurde. Begründung: RESPECT habe nur
dann eine Chance, wenn sie „sozialdemokratisch und nicht sozialistisch“ sei.
Da mit Galloway zum ersten Mal seit
Jahrzehnten in England und Schottland ein Kandidat links der Labour Party ins
Unterhaus gewählt wurde und RESPECT bei seiner Kandidatur in 26 Wahlkreisen gut
68.000 Stimmen (= durchschnittlich 6,85%) bekam, haben seine Äußerungen für die
Linke auf der Insel allerdings eine nicht geringe Bedeutung. Das „il
manifesto“-Interview erschien am 9.7.2005.
INTERVIEW:
„Die englische Außenpolitik bedarf
einer Rundum-Erneuerung“
Der von Blair aus der Labour Party
verjagte Abgeordnete George Galloway: „Der Premierminister handelt
unverantwortlich.“
NICOLA SCEVOLA – LONDON
„Wenn wir die Anderen
bombardieren, werden die Anderen <auch> uns
weiterhin bombardieren.“ Vor Monaten wurde George Galloway aus der Labour Party
verjagt, weil er Tony Blair und seine Irak-Politik kritisierte. Nachdem er
seine eigene Partei <RESPECT> gegründet und Labour bei den letzten Wahlen eine
historische Hochburg entrissen hat, ist Galloway noch mehr von seinen Ansichten
überzeugt und bereit, sie „il manifesto“ zu erläutern: „Die einzige Art,
diesen Zyklus der Gewalt zu durchbrechen, ist uns aus dem außenpolitischen
Schlamassel herauszuziehen, in das uns Blair und Bush getrieben haben. In
seiner Rede <beim
G8-Treffen> in Gleneagles hat der
Premierminister die gestrige Grausamkeit als eine Rechtfertigung für seinen Krieg
gegen den Terrorismus beschrieben, während dieser gerade die Ursache für den
Hass auf uns ist. Wenn wir erlauben, dass diese grauenvollen terroristischen
Akte dazu benutzt werden, um weitere Gewalt von unserer Seite zu rechtfertigen,
dann werden diejenigen, die hinter diesen Grausamkeiten stecken, versuchen,
erneut zu töten und der Zyklus von Tod und Zerstörung wird weitergehen.“
Welchen Unterschied gibt
es zwischen dem, was gestern hier in London passiert und dem was vor Monaten in
Falludscha geschehen ist ?
„Keinen. Ein Mensch, der von
einer Bombe getötet wird, stirbt denselben Tod, ob er nun hier, in Madrid, in
Falludscha oder in Bagdad getötet wird. Es gibt keine Rechtfertigung für ihren
Tod. Genauso wie es keinen Unterschied zwischen einem auf Lügen basierenden
illegalen Krieg und dem grauenvollen Terroranschlag gibt, der gestern hier
stattgefunden hat.“
Denken Sie, dass, wenn
die ausländischen Truppen aus Afghanistan und aus dem Irak abgezogen würden, es
keine Anschläge mehr gäbe ?
„Nein. Aber gleichzeitig
setzen wir, indem wir unsere Politik weiter betreiben, weiterhin das Leben
unserer Bürger aufs Spiel. Sowie wir die Politik ändern, werden wir anfangen,
sicherer zu sein.“
Wie könnte die
terroristische Bedrohung dem zufolge besiegt werden ?
„Osama Bin Laden ist ein
barbarischer Obskurantist und wäre in der islamischen Welt vollkommen isoliert,
wenn es unter den Leuten keinen Vorrat an Hass gäbe, den er nutzen kann. Bin
Laden wird niemals ein Mann des Friedens sein, aber wenn es diesen See des
Hasses (um eine Metapher von Mao zu verwenden) nicht gäbe, würde Bin Laden zu
einem Fisch auf dem Trockenen und würde austrocknen und sterben. Angesichts der
Tatsache jedoch, dass wir diesem See weiter Blut zuführen, wird Bin Laden
weiterhin ein Element haben, in dem er schwimmen kann.“
Könnte man nicht die bei
der IRA gelernten Lektionen anwenden und mit den Terroristen verhandeln ?
„Nein. Es gibt keine
Möglichkeit, mit Al Qaida zu verhandeln. Was wir tun müssen, ist den See, in
dem Al Qaida schwimmt, trocken zu legen. Dann wird Bin Laden zu einem
gestrandeten Wal. Um das zu schaffen, müssen wir die palästinensische Frage
lösen, die Besetzung des Irak und Afghanistans beenden und korrupten Regimen,
die in einem Großteil der islamischen Länder an der Macht sind, unsere
Unterstützung entziehen. So wird Bin Laden gestoppt. So wie es bei der IRA
geschah, die gewalttätig und voller Hass geblieben ist, aber ohne Gefolgschaft
dasteht.“
Was meinen Sie zu der
Tatsache, dass die britischen Geheimdienste kurz vor den Anschlägen das Niveau
der Alarmbereitschaft gesenkt haben ?
„Ich kritisiere die
Geheimdienste nicht. Ich glaube nicht, dass sie schuld sind. Es sind die
Politiker, die an dem schuld sind, was geschehen ist. Der Nachrichtendienst
hatte ausdrücklich vor den Risiken eines Kriegseintrittes gewarnt.“
Welchen Eindruck hatten
Sie als Sie gestern und heute durch die Londoner Straßen liefen ?
„Das die Londoner derzeit
einen sehr hohen Preis für die besondere Beziehung bezahlen, die Tony Blair und
George Bush verbindet. Gestern habe ich eine große Wut empfunden, weil es mir
schien, dass sich alles, was die Anti-Kriegs-Bewegung vorausgesagt hatte,
bewahrheitet hat. Wir hatten gesagt, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen
gab, dass es dort keine Al Qaida gab und dass wir dort nicht willkommen wären.
Wir hatten gesagt, dass die Welt dadurch unsicherer würde und auch da hat man
gestern gesehen, dass wir Recht hatten. Deshalb habe ich Wut empfunden. Das mal
beiseite gelassen, habe ich auf den Straßen die Größe der Menschen dieser Insel
gesehen. Ich habe den stoischen Willen gespürt, sich normal zu verhalten und
das eigene Leben weiter zu leben.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover