Hartz V“ findet bei VW statt

oder Vorwärts in die Vergangenheit

 

Information und Diskussion mit Stephan Krull (Betriebsrat bei VW und Mitglied im Ortsvorstand der IG Metall Wolfsburg) und Klaus Wessels (Betriebsrat bei Daimler-Chrysler Bremen und IG Metall-Vertreterversammlung Bremen)

Dienstag, 26.10.2004, 19.30 Uhr, Freizeitheim Linden

 

„Seit Jahren versuchen uns Regierungen, Unternehmerverbände, Medien und auch manche Gewerk-schaftsfunktionäre weiszumachen, `unsere´ Arbeitsplätze und damit `unser´ Wohlstand seien nur durch `unseren´ Verzicht zu sichern.“ Diese in unserem Flugblatt zu den Hartz-Gesetzen beschriebene Politik setzt sich in den Tarifauseinandersetzungen 2004 bruchlos fort. Nach der Niederlage des Streiks im Osten erleben wir nun sogar die bisher schärfsten Angriffe der Unternehmerseite gegen Flächentarife, Tarifautonomie, Lohnstandards und Arbeitsbedingungen.

 

In der Tarifrunde im Frühjahr wurde versucht, eine generelle Öffnungsklausel durchzusetzen, die es den betrieblichen „Sozialpartnern“ ermöglicht hätte, ohne Zustimmung der Tarifvertragsparteien die wöchentliche Arbeitszeit auf 40 Stunden zu erhöhen, selbstverständlich unbezahlt. Die IG Metall wäre vom Verhandlungstisch ausgeschaltet worden.  Der Großangriff des Kapitals kam zwar wegen der ansteigenden Mobilisierung und Warnstreiks nicht durch, aber weitere Öffnungsklauseln in Richtung 40-Stunden-Woche wurden festgeschrieben. „Die würde ich als Bomben mit Zeitzündereffekt betrachten, die nicht unmittelbar einen Erdrutsch in der Fläche hervorrufen. Es sind aber Bohrungen in einem Damm, die in der Summe irgendwann einmal dazu führen, dass er bricht.“ So Tom Adler, Betriebsrat bei DaimlerChrysler in Stuttgart, am 16.2.2004.  Seitdem fällt im „Häuserkampf“ eine Bastion nach der anderen.

 

Siemens besorgte den ersten Streich:

Mit der Drohung der Standortverlagerung wurde die Belegschaft der Handy-Werke in Bocholt und Kamp-Lintfort vor die „freie Wahl“ gestellt: Entweder längere Arbeitszeiten und einschneidende Lohnkürzungen oder Arbeitslosigkeit. Vor dem Hintergrund der Hartz IV-Gesetze zeigte sich das ganze Ausmaß der Erpressbarkeit der Belegschaften, wenn bei Verlust des Arbeitsplatzes tatsächliche Verarmung droht. Geeinigt wurde sich dann auch: vorerst keine Verlagerung des Betriebes nach Ungarn, dafür länger arbeiten für weniger Geld. Dazu Umwandlung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes in eine niedrigere, erfolgsabhängige Gewinnbeteiligung sowie Kürzung der Schichtzulagen. Eine solche Verschlechterung der Tarifbedingungen, die ca. 30% Lohnkürzung bedeuten, hat es in einem Großbetrieb in Westdeutschland noch nicht gegeben. Die IG Metall rechtfertigte den Abschluss in einer Broschüre als „ein Einzelfall, keineswegs ein Präzedenzfall, weder für Siemens noch für die Metall- und Elektroindustrie“. Und konnte so behaupten, den Flächentarifvertrag gerettet zu haben.

 

Doch der zweite Streich folgte sogleich:

Schon während der Tarifrunde im März 2004 hatte der DaimlerChrysler-Vorstand eine Erhöhung der Arbeitszeit auf 40 Stunden gefordert. Und der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Erich Klemm, der schon 2003 während des Streiks im Osten für die 35-Stunden-Woche den Streikenden in den Rücken gefallen war, kündigte öffentlich die teilweise Einführung der 40-Stunden an. Im Juni wird eine McKinsey-Studie veröffentlicht, die 10% „Produktionsreserve“ bei Mercedes feststellt, ca. 10 000 von 104 000 Arbeitsplätzen sind gefährdet. Nun droht der Vorstand, die neue C-Klasse nicht in Sindelfingen montieren zu lassen, sondern in Südafrika oder in Bremen. Er setzt den Betriebsrat mit einem Kostensenkungskonzept um 500 Millionen Euro unter Druck und verlangt längere Arbeitszeiten, niedrigere Löhne, die Streichung von Schichtzulagen und bezahlten Pausen. Doch die versuchte Spaltung scheitert. Nicht nur in Süddeutschland und in Bremen, sondern an vielen Standorten gab es von insgesamt über 60 000 DaimlerChrysler-Beschäftigten Proteste am Aktionstag am 15. Juli. In Mettingen bei Stuttgart machen 2000 Arbeiterinnen die sechsspurige B 10 dicht und gehen die 4 Kilometer zu Fuß zur großen Kundgebung nach Untertürkheim. Die Kampfbereitschaft der Belegschaft ist hoch.

 

Trotzdem: „Starker Kampf – mattes Verhandlungsergebnis!“  so das Infoblatt von Kolleg(inn)en aus Stuttgart. Der Vorstand hat gegen kleine Zugeständnisse in Verhandlungen mit der Gewerkschaftsspitze die 500 Millionen Einsparungen erreicht. Wer lieber schnell Verzichtsangebote macht statt das Eisen zu schmieden, solange es heiß ist, verspielt eine historische Chance und enttäuscht die kampfbereiten Kollegen kritisierten DaimlerChrysler- Beschäftigte in einem Flugblatt unmittelbar nach dem Abschluss. Jürgen Drieling, Betriebsratsmitglied bei DaimlerChrysler Bremen und Mitherausgeber des „Kollegeninfos“, schreibt: „Das Ergebnis dokumentiert die Stärken oder eben auch die Schwächen unserer Belegschaften und der Betriebsräte, der Vertrauensleute und der IG Metall als Organisation. Es drängt sich schon die Frage auf, warum wir uns als Gewerkschafter noch an die Friedenspflicht gebunden fühlen, wenn hingegen unsere ´Vertragspartner` in den Vorstandsetagen diese mit Füssen treten.“ Zudem haben die Kampfaktionen der Belegschaften im Süden noch ein Nachspiel. Der Protestmarsch auf der B 10 ist nun nicht nur Inhalt von Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft, sondern steht auch in der Kritik leitender Funktionäre der IG Metall. Der Bezirksleiter Jörg Hoffmann fordert, man solle prüfen, ob das Verhalten der für die Aktionen verantwortlichen Funktionäre die Ausübung dieser Funktion zulässt, wirft ihnen Spaltung vor und droht mit Entzug von gewerkschaftlichem Rechtsschutz.

 

Und nun folgt der dritte Streich:

Das gleiche Spiel, diesmal bei VW. „Bravo Daimler. Und jetzt Volkswagen“ titelte das „Handelsblatt“. „Wenn sich die IG Metall nicht bewegt, wird für Volkswagen die Vergabe neuer Fahrzeugmodellreihen an deutsche Standorte zunehmend schwierig, wenn nicht unmöglich“, so der Konzernvertreter. Wohin sich die Gewerkschaft bewegen soll, ist klar: Absenkung der Personalkosten um ein Drittel bis 2011, flexiblere Arbeitszeiten, Nullrunden, niedrigere Löhne für zukünftig Neueingestellte, insgesamt ein 7-Punkte-Programm. Die Belegschaft demonstriert und fordert. „Keine Abzocke – Jobs und Mäuse“. Jedoch scheint die Gewerkschaft wie viele Betriebsräte geneigt, den Forderungen des Konzerns nachzukommen – gegen eine „Beschäftigungsgarantie“. Das Projekt 5000 x 5000 scheint zum Vorbild für den gesamten Konzern zu werden.

 

Wie war das noch mit dem „Einzelfall“ bei Siemens?

Erpressung funktioniert, hatte die Konzernspitze festgestellt und geht in die nächste Runde: Die Beschäftigten von Siemens Communications in Baden Württemberg müssen nach Tarifverhandlungen empfindliche Einbussen in der Lohnhöhe hinnehmen, „Gegenleistung“ ist eine Beschäftigungsgarantie bis 2007. Bei Bosch-Siemens Hausgeräte sollen 248 der rund 650 Arbeitsplätze von Nauen nach Polen verlagert werden. Da lägen die Kosten pro Stunde bei rund einem Viertel, so die Begründung. Die Beschäftigten in Nauen arbeiten ohne Tarifbindung 40 Stunden und bekommen im Schnitt 10% weniger als z.B. ihre Kolleg(inn)en in Berlin.

 

Mit kompromissbereiter Politik ist die Kapitaloffensive nicht zu bremsen, geschweige denn zu stoppen und von dem angeblichen „Hardliner“ Jürgen Peters an der Spitze der IG Metall wenig zu sehen. Bei dieser Offensive geht es dem Kapital darum, das Lohnniveau insgesamt zu senken und die Löhne zu individualisieren. Die Strategie des Co-Managements der Betriebsräte mit der Akzeptanz des „kleineren Übels“ kann nur durch den entschiedenen Widerstand der Belegschaften selbst gebrochen werden. Jedes Nachgeben zieht einen weiteren Akt in der Abwärtsspirale nach sich. Dagegen kann nur eine Strategie gesetzt werden, die die Zersplitterung der Beschäftigten in den Betrieben, den Branchen und den Staaten überwindet, den Widerstand miteinander verbindet und auch vor unkonventionellen Kampfformen nicht zurückschreckt. Es wird höchst Zeit, dass die Gewerkschaften den Widerstand gegen Sozialkahlschlag und Lohnraub, der sich sowohl in Berlin wie auch in Wolfsburg unter dem Namen Hartz verbindet, entwickeln.

 

Informationen, Hintergründe und Perspektiven am

Dienstag, 26. 10. 2004 um 19.30 Uhr im Freizeitheim Linden (Windheimstrasse 4)

 

 

Gewerkschaftsforum Hannover

 

(E-Mail: gewerkschaftsforum-H@web.de)