Hier die Übersetzung eines Analyse- und Strategiepapiers der Führung
der Giovani Comunisti (GC - Junge Kommunisten) vom 14.12.2000
, das im Original auf ihrer Internetseite (www.rifondazione.it/giovani/)
veröffentlicht wurde. Die Giovani Comunisti sind nicht nur die Jugendorganisation
des Partito della Rifondazione Comunista (PRC - Partei der kommunistischen
Neu/be/gründung) sondern waren und sind zusammen mit den besetzten und
selbstverwalteten centri sociali (Soziale Zentren), in denen viele von ihnen
auch aktiv sind, Hauptträger der Anti-Globalisierungsmobilisierungen
in Bologna, Prag, Nizza und Neapel sowie im Sommer in Genua.
Globalisierung
und Bewegungen
Seit einiger Zeit ist ein neues und schwieriges Wort wie “Globalisierung”,
das bis vor einiger Zeit ausschließlich von wenigen mit den Arbeiten
Beschäftigten und einigen politischen Avantgarden benutzt wurde, in
den gemeinsamen Wortschatz von Hunderttausenden von Leuten aufgenommen worden.
Noch mehr als von vielen wichtigen Konventen, die es in den letzten Jahren
verstanden haben, die Beziehung zwischen der Liberalisierung der Märkte
und den Ausgrenzungs- und Verarmungsprozessen hervorzuheben, ist dies das
Verdienst der Entstehung und Entwicklung bedeutender globaler Mobilisierungen
gewesen, die die Unantastbarkeit der “Mächtigen der Welt” erschüttert
haben. Die Tage von Seattle und die nachfolgenden europäischen Mobilisierungen,
die für viele überraschend und doch die Frucht einer oftmals wenig
sichtbaren, aber unerläßlichen Arbeit waren, waren das sichtbarste
Zeichen dafür. An dem Punkt, an dem wir uns heute befinden, können
wir sagen, daß wir es mit einer neuen, gegliederten, pluralen Bewegung
zu tun haben, die reich an Differenzen ist und auch deshalb ein großes
Potential besitzt. Und sie ist - vielleicht zum ersten Mal - fähig,
die Widerstände und sozialen Kämpfe zu internationalisieren, die
auch in den Jahren der Schwierigkeiten und der Krise der Linken in Wahrheit
niemals aufgehört haben zu existieren. Auch indem sie diese von den
Mächtigen als den neuen Sonnenaufgang der Humanität verkaufte Globalisierung
als etwas denunziert, das “stattdessen den materiellen Interessen einer Gruppe
von 225 Personen oder Familien dient, die 47% des weltweiten Reichtums besitzen”,
um die Worte des <Literatur-> Nobelpreisträgers <und Mitgliedes
der Kommunistischen Partei Portugals> José Saramago zu verwenden.
In Wahrheit ist es kein Zufall, daß die ersten Etappen dieser Bewegung
(Seattle, Davos, Prag und Nizza sind jene von denen man am meisten gesprochen
hat, aber wir dürfen nicht vergessen, daß die Mobilisierungen
auch andere Länder der Welt - von Kanada bis Australien - durchzogen
haben) in Gegenwart von Regierungen, Staatschefs oder den berüchtigten
internationalen Organisationen (WTO, IWF) veranstaltet wurden, die - auch
wenn sie ohne Repräsentativität und Volksmandat sind - die Schicksale
und die Erfolge eines Gutteils der Welt bestimmen.
Es existiert ein Gegner
Wir können sogar sagen, daß die Fähigkeit diese Treffen und
vor allem diejenigen, die sie initiieren (d.h. den “gemeinsamen Gegner”,
der anzugreifen ist), zu analysieren, vielleicht einen ersten Qualitätssprung
dieser Bewegung dargestellt hat. Jenseits des unzweifelhaften medialen Erfolges
der Mobilisierungen, der in einer Epoche, in der die Medien fast alles verschwinden
lassen können, durchaus kein zweitrangiges Element ist, und ohne zu
vergessen, daß es in Zukunft notwendig sein wird, über den Protest
gegen die Termine der Anderen hinaus eigene Termine anzuberaumen, ist es
wichtig diese Tatsache zu unterstreichen. Unterschiedliche Subjekte, Streitfragen
und Forderungen, die verbreitet, aber (weil extrem zersplittert) unfähig
waren, zusammenzukommen, haben sich zum ersten Mal in der gemeinsamen Kritik
an den supranationalen Organen und an der Vorstellung, daß die Welt
von wenigen Dutzend Personen und von den starken Mächten, die diese
repräsentieren, regiert werden könne, vereint. Und obwohl in den
Augen der Meisten der Zusammenhang, der - um ein Beispiel zu geben - die
Kritik an der Welthandelsorganisation mit der von der Europäischen Union
abgestimmten “Charta der Rechte” verbindet (um nur die erste und letzte der
vorhandenen Mobilisierungen zu nehmen), noch dünn, wenn nicht sogar
inexistent ist, können wir sagen, daß das Thema der Wiedervereinigungen
der Streitfragen, wenn es auch weit von einer vollen Verwirklichung entfernt
ist, so doch zumindest benannt wird. Und wir können auch hinzufügen,
daß wir zu anderen Zeiten selbst mehr Schwierigkeiten gehabt hätten,
einen Leitfaden zwischen, auf die europäische Vereinigung und anderen
auf die Herrschaft der Multinationalen <Konzerne> oder auf die genetisch
veränderte Nahrung bezogenen, Kämpfen zu finden. Eine natürlich
nicht gelöste, aber durch die Ereignisse der letzten Monate einfacher
gemachte Schwierigkeit.
Von diesem Standpunkt aus erscheint die “Identifizierung des Gegners” und
die Fähigkeit die verschiedenen Forderungen wieder auf die “Kritik des
Kapitalismus” zurückzuführen als ein Schlüsselargument und
ein erstes erreichtes Ergebnis. So wird nicht der eine oder der andere Aspekt
des neoliberalen Kapitalismus, sondern dieses Entwicklungsmodell zum “großen
Angeklagten” des Volkes von Seattle. Die Chroniken der amerikanischen <Aktions->
Tage sind das Zeugnis dessen und unterstreichen gerade wie in Seattle das
Sich-Kreuzen der Umweltfrage mit der Klassenfrage, die Forderung nach einer
gesunden Ernährung mit derjenigen nach einem gerechten Lohn in Wirklichkeit
an einem fortgeschritteneren Punkt waren als die traditionellen Schwierigkeiten.
Eine neue Rolle der Gewerkschaft
Wie von Bruno Cartosio richtig geschrieben wurde, “stellten die gewerkschaftlich
organisierten Arbeiter auf den Demonstrationen gegen die Welthandelsorganisation
die Mehrheit der Demonstranten. Es waren <aber> nicht sie, die die
Hauptaufmerksamkeit der Medien auf sich zogen, weil ihre Kampftechniken im
allgemeinen wenig grell und provokativ sind. Es sind nicht die Hafenarbeiter,
nicht die LKW-Fahrer und auch nicht die Stahlarbeiter gewesen, die die Eingänge
des Versammlungssaales blockierten oder die sich auf den Boden setzten und
den Tränengasschwaden der Polizei trotzten. Es sind nicht sie gewesen,
die die Schaufenster zerschlugen. Dennoch, die Anwesenheit einiger Zehntausend
Arbeiter an der Seite weiterer Tausender Demonstranten sehr unterschiedlicher
ideologischer und sozialer Herkunft ist eine Tatsache von enormer Bedeutung.”
Diese Tatsache, die sich als eine sicherlich nicht unbedeutende Neuheit darstellt,
ist in Wirklichkeit bei den amerikanischen Mobilisierungen sehr viel präsenter
gewesen als bei den europäischen, wo noch eine Schwierigkeit der Interaktion
der Welt der Produktion mit derjenigen der bei den Mobilisierungen präsenten
Jugendavantgarden deutlich wird. In den Vereinigten Staaten hat es die Gewerkschaft
in den letzten Jahren verstanden, den Schwerpunkt der eigenen Intervention
an die Veränderungen des Kapitalismus anzupassen, indem sie das eigene
Handeln von der Fabrik und der stabilen Arbeit auf jenes soziale Hinterland
verlagerte, das von Prekarität und Unterbeschäftigung gebildet
wird, die heute die Mehrheit der jungen Amerikaner betrifft. Und diese mutige
Entscheidung hat - wie man gesehen hat - begonnen, Ergebnisse zu zeitigen
und drängt der europäischen Gewerkschaft<sbewegung>, vor
allem in ihren linken Komponenten, zumindest eine gleiche Anstrengung auf.
In Wahrheit stehen wir bei den Mobilisierungen, die sich auf unserem Kontinent
entwickelt haben - jenseits leichter Enthusiasmen - noch nicht einem ähnlichen
Geist gegenüber. Bei den Mobilisierungen gegen den Internationalen Währungsfond
in Prag ist die Abwesenheit der Welt der Produktion beinahe total gewesen.
Und in Nizza, das doch einen weiteren Schritt in diese Richtung hätte
darstellen können, hat sich das gewerkschaftliche Auftreten (und die
entsprechenden Forderungen) auch wenn es zahlreich und “von links” inspiriert
war, relativ mit dem der Jugend und der Arbeitslosen gekreuzt, angefangen
bei der Schwierigkeit, die durch die substantielle Akzeptanz der Charta der
Rechte zumindest von Seiten der Spitzen des EGB hervorgerufen wird. In diesem
Sinne ist die Verspätung vieler Parteien der europäischen Linken,
die erst vor kurzem begonnen haben, die auf die Globalisierung bezogenen
Thematiken in differenzierterer und detaillierterer Weise zu diskutieren,
eine Begrenzung, die definitiv zu überwinden ist.
Global denken, lokal handeln
Tatsächlich muß - und die amerikanische Erfahrung bezeugt das
- ein Prozeß der Wiedervereinigung von <gesellschaftlichen> Streitfragen
und Kämpfen geschaffen werden, ohne ihn als eine einfache Addition verschiedener
sozialer Subjektivitäten zu verstehen. Stattdessen geht es darum zu
versuchen, die analytischen Anlagen an die tiefgreifenden Veränderungen
der Arbeitsorganisation, der Schule, der Gesellschaft anzupassen, indem die
neuen sozialen Figuren analysiert werden, die vor allem in den jungen Generationen
- zumindest in den reichsten Ländern - die traditionelleren ersetzen.
Das bedeutet nicht das Terrain des Widerstandes zu verlassen, auch weil es
falsch wäre, die Krise des fordistischen Systems mit seinem Aussterben
zu verwechseln, sondern die Multizentralität als neues Paradigma zu
übernehmen, den Zusammenhang Produktion - Territorium zu untersuchen
und eine Forschungsarbeit zu leisten, um die Realität, in der man lebt,
besser kennenzulernen. Und weiterhin ist es notwendig, daß diese neue
Bewegung, die die kapitalistische Globalisierung auf’s Korn nimmt, sich nicht
darauf beschränkt, Demonstrationen, Mobilisierungen und internationale
Termine zu organisieren, sondern sich stattdessen - bei den lokalen Dimensionen
beginnend - mit den großen, durch die Krise der Politik gestellten
Fragen auseinander zu setzen. Wie eine politische Vertretung wiederherstellen
? Wie der Globalisierung eine Idee entgegensetzen, die nicht einerseits
in der Neulancierung der nationalen Identitäten und andererseits in
der “Rückkehr in die (protektionistische) Vergangenheit” besteht?
Und weiter: Wie die territoriale Selbstregierung verstehen, ohne daß
dies bedeutet, die Idee der Gesamttransformation zu verdrängen ?
Das sind alles noch offene Fragen, die für die Entwicklung der Kämpfe
entscheidend werden können.
Die Termine der nächsten Monate, angefangen beim Forum von Porto Alegre,
das gerade ein Moment der Reflektion und darüberhinaus des (Aufeinander-)Treffens
der vielen Erfahrungen sein wird, können neue Stimulanzen bieten und
auch für diejenigen nützlich sein, die - wie wir - im eigenen Land
versuchen, zur Schaffung dieser Bewegung beizutragen.
Unsere Rolle
Auch in Italien haben wir in den letzten Monaten einem Qualitätssprung
beigewohnt, zumindest was die Sichtbarkeit der Kämpfe anbelangt. Die
Demonstrationen von Genua und Bologna, die Erfahrungen der Züge nach
Prag und nach Nizza sind von einer Anzahl Jugendlicher geteilt worden, die
höher war als die normalerweise von den politischen Strukturen (den
Giovani Comunisti und den Centri Sociali) organisierte, die einige der Termine
initiiert haben. Aber trotz dessen dürfen wir den noch vorhandenen Charakter
der Mobilisierungen als “von Avantgarden” getragenen nicht verbergen, sondern
müssen uns anstrengen, herauszufinden wie das Lager der Bündnispartner
zu verbreitern ist.
Der “jugendliche” Charakter der italienischen Mobilisierungen kann ein Element
positiver Neuheit darstellen, auch im Lichte einer insgesamt im Verhältnis
der jungen Generationen zur Politik vorhandenen Unzufriedenheit. Aber 10
Jahre nach der studentischen Bewegung der Panther, die vielleicht die letzte
Jugendbewegung von einem gewissen Umfang / einer gewissen Festigkeit in Italien
war, ist es nötig zu versuchen, der möglichen neuen Bewegung Beine
zu geben, indem die Thematiken der Globalisierung ausgehend von den “Orten
des Konfliktes” angegangen werden. Diese Herausforderung verlangt von denjenigen,
die in den Schulen, in den Universitäten und auf der Arbeit engagiert
sind, zu versuchen, die politische Initiative in bezug auf die in den letzten
Monaten aufgeworfenen Themen zu ergreifen. Die Biotechnologien, die Herrschaft
der Multinationalen, die Rolle der Politik sind Fragen, die nicht nur auf
den Demos thematisiert werden können. Ist es also, um ein Beispiel zu
geben, möglich von den studentischen und Schüler-Strukturen (Vereinigungen,
Kollektiven, Gewerkschaft) einen Qualitätssprung auch in der Analyse
zu fordern, um die Frage des Wissens und des Verhältnisses Wissen -
Produktion zum Thema zu machen und um zu versuchen, den Zusammenhang zur
Globalisierung der Ökonomie dabei zu untersuchen ? Ist es weiter
möglich, wieder dazu zurückzukehren, daß man sich fragt,
“was studiert wird und für welche Ziele studiert wird”, ohne den Kampf
auf die Verteidigung des Wenigen zu beschränken das übrigbleibt,
wie es in den letzten Jahren obligatorischerweise häufig gemacht worden
ist ?
Wahrscheinlich verläuft die Schaffung einer verbreiteten und pluralen
Bewegung, die fähig ist, sich die großen offenen Fragen dieser
Phase des Kapitalismus zu stellen, auch hierüber. Wir Junge Kommunistinnen
und Kommunisten haben nicht die Absicht uns dieser Herausforderung zu entziehen.
Übersetzung, Vorspann und Anmerkungen <in den eckigen Klammern>:
Antifa-AG der Uni Hannover