Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Im März 2005 findet der 6.Parteitag des Partito della Rifondazione Comunista (Partei der Kommunistischen Neu/be/gründung – PRC) statt. Dabei werden sich 5 verschiedene Leitanträge gegenüberstehen, die von den 5 verschiedenen Hauptströmungen eingebracht werden, für die seit Ende November auf zahllosen Treffen der lokalen Parteizirkel um Unterstützung geworben wird. Die Entsendung der Delegierten entspricht dem jeweiligen Stimmenanteil, den die einzelnen Anträge dort erreichen. Neben dem Antrag Nr.1 der Parteiführung um den Generalsekretär Fausto Bertinotti handelt es sich um die Motionen des eher traditionalistisch ausgerichteten Flügels um die Zeitschrift „l’Ernesto“ (wichtigste Vertreter: Grassi, Burgio, Sorini; auf dem letzten Parteitag 29%), der größere Teil der Parteilinken um die Zeitschrift „Progetto Comunista“ (Ferrando, Grisolia, Rizzi; zuletzt 10%), die italienische Sektion der offiziellen 4.Internationale um die Zeitung „ERRE“ (Malabarba, Cannavò, Cirillo; zuletzt ca.6%) und den kleineren Teil des eindeutig linken Flügels um die Zeitschrift „Falce Martello“ (Bellotti, Giardiello, Sarti, zuletzt gut 2%). Die Mehrheit der Parteiführung ist – zumindest auf dem Papier – im Vorfeld des Parteitages sehr knapp, trotzdem hatte Bertinotti jeden Kompromiss abgelehnt und es direkt auf einen Parteikongress mit mehreren entgegen gesetzten Leitanträgen angelegt. Dabei setzt er offenkundig auf die seit ca. einem Jahr in Italien wieder dominierende politische Passivität, die damit verbundenen Hoffnungen auf einen Wahlsieg der Mitte-Linken im Frühjahr 2006 und eine Reihe von Wahlerfolgen, die er mit seinem Rechtskurs der bedingungslosen Beteiligung an der neu gegründeten „Großen Demokratischen Allianz“ (GAD) in den letzten Monaten errungen hat.

Wir werden uns, im Rahmen unserer Möglichkeiten, bemühen in den kommenden Wochen die unterschiedlichen Positionen vorzustellen und beginnen hier mit der Übersetzung des Leitartikels, den Marco Ferrando für „Progetto Comunista“ Nr. 9 (neue Serie) vom Dezember 2004 verfasste.

 

Große Allianz oder großer Betrug ?

 

von Marco Ferrando

 

Bis vorgestern war es „der Käfig“, den man „zerbrechen“ musste, weil er eine Zwangsjacke für die Bewegungen darstellte. Heute ist er der Käfig, in den man – im Namen der Bewegungen und ihrer Anliegen – freudig eintritt und dabei das Emblem wechselt. Das ist im wesentlichen die Große Demokratische Allianz (GAD)-Operation: der Eintritt des PRC in die Mitte-Linke als ihr organischer „linker“ Flügel – unter dem Kommando von Romano Prodi. Das ist eine schwerwiegende Tatsache, die nicht nur den sozialen Anliegen der Partei, sondern den Anliegen einer Kampfperiode widerspricht.

 

Der Prodi-Bertinotti-Kompromiss

 

Die Verwandlung des PRC in den linken Flügel der Mitte-Linken besitzt paradoxerweise eine <gewisse> Rationalität. Angesichts der liberalen Mutation der Linksdemokraten (DS) und der fehlenden Cofferati-Partei <siehe Anm.1> bemüht sich die Führungsmehrheit des PRC darum in der Koalition mit den Liberalen den freigewordenen Raum auf der Linken zu besetzen. Das Ping-Pong-Spiel von Bertinotti und Prodi bewegt sich in diesem Rahmen. Bertinotti hilft Prodi bei seinem plebiszitären und präsidentialistischen Kurs in der liberalen Mitte des Olivenbaum-Bündnisses. Umgekehrt hilft Prodi Bertinotti bei dem Versuch, die Linke der Koalition zu hegemonisieren. Was aber hat das alles nicht nur mit der „Rifondazione Comunista“ (der kommunistischen Neu/be/gründung) zu tun, sondern auch nur mit einer kohärenten klassenbewussten Politik ?

 

Es handelt sich um die Neuauflage des politischen Kompromisses zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie, der das 20.Jahrhundert solange durchzogen hat. Jener Kompromiss, demzufolge die Liberalen (in Vertretung der Bourgeoisie) die Regierung führen, ihr Programm und ihren Charakter prägen und die Sozialdemokraten mit ein paar Ministern als Mitgift die Vertretung und die Kontrolle der Arbeiterbewegung, zwecks Aufrechterhaltung des sozialen Friedens, einbringen.

 

Eine von der Geschichte dementierte Linie

 

Man entgegnet, dass „die Regierung für uns nur ein Instrument für die gesellschaftliche Alternative ist und kein Zweck“ und dass das, was zähle, in jedem Fall das Programm sei. Aber alle Vertreter des historischen Reformismus haben über ein Jahrhundert lang die Regierung als Mittel und niemals als Zweck reklamiert – angefangen bei Bernstein. Die kleine Besonderheit ist, dass in der Geschichte die materielle Realität der Dinge zählt und nicht der Name, den man ihnen geben will. Und in der Realität waren diese Regierungen, ohne eine einzige Ausnahme, das „Instrument“ der gegnerischen Klasse gegen die Arbeiterbewegung. In einer anderen Epoche ein Instrument gegen die Revolution im Austausch für eine Handvoll Reformen. Und heute, in der Epoche der kapitalistischen Krise und nach dem Zusammenbruch der UdSSR, ein Instrument für Gegenreformen und natürlich sozialpartnerschaftlich umgesetzte soziale Einschränkungen (siehe die Prodi-Regierung von `96 –`98, die Regierung Jospin, die Regierung Lula und die gegenwärtige indische Regierung). Kann man auch nur ernsthaft der Meinung sein, dass eine Regierung der Großen Demokratischen Allianz (GAD) andere Programme durchführen könnte ? Übrigens wurde die GAD am 11.Oktober <2004> vor irgendeiner Art von programmatischem Abkommen ausgerufen und ohne dass es auch nur den Anschein eines gemeinsamen Programms gab. Ist das vielleicht nicht der Beweis dafür, dass das einzige wirklich gemeinsame Programm des GAD das gemeinsame Regieren Italiens also des italienischen Kapitalismus ist ?

 

Das wirkliche Programm der GAD

 

In unterschiedlicher Form fordern sowohl die Führer von „l’Ernesto“ als auch von „ERRE“ „in kritischer Weise“ eine echte programmatische Auseinandersetzung zwischen der alternativen Linken und der Mitte-Linken. Die einen, indem sie eine zwingendere Auseinandersetzung am Verhandlungstisch verlangen. Die Anderen, indem sie fordern, man solle mehr Gewicht auf den Druck der Bewegungen legen. So landen die Einen wie die Anderen allerdings dabei, dass sie das Wesentliche verbergen: den Klassencharakter der liberalen Mitte des Olivenbaum-Bündnisses, d.h. die materielle Grundlage, auf die es sich stützt. Ein Regierungsprogramm ist keine literarische Auflistung von Punkten, Ziffern und Zusätzen, die unbegrenzt verhandelbar sind und das in veränderter Zusammensetzung – den Erfordernissen der Propaganda entsprechend. Ein Regierungsprogramm ist in der bürgerlichen Gesellschaft das materielle Anliegen des Kapitals innerhalb eines Rahmens selbstverständlich variabler Bedingungen, allerdings mit einer strukturell sehr festen Wurzel. Wenn man das Regierungsprogramm von Romano Prodi herausfinden will, sollte man nicht auf die Wische mit seiner humanistischen Rhetorik schauen, sondern die Antrittsrede von Luca di Montezemolo <dem Aufsichtsratsvorsitzenden von FIAT und Chef des Industriellenverbandes> vor den Spitzen der Confindustria, die Austeritäts-Programme der Banca d’Italia oder die Stellungnahme der Banca Intesa, des Banco San Paolo und des Banco Monte dei Paschi lesen. Das sind diejenigen, die das wirkliche Programm der Mitte-Links-Regierung für die Dauer von 5 Jahren schreiben, unabhängig von irgendeinem formalen Programm.

 

Übrigens sind die Karten bereits heute ungleich verteilt, was jedem auffallen wird, der die Realität sehen will. Es genügte nach der Bildung der GAD die Veröffentlichung mit dem Titel „Neue Worte für den Olivenbaum“ zu lesen, in der Romano Prodi das Programm einleitet und anpreist, das <der ehemalige PSI-Chef, Zentralbanker und letzte mitte-linke Ministerpräsident> Giuliano Amato für die jüngsten Europawahlen verfasst hat, und es als „das Programm“ präsentiert, „von dem für die Regierung Italiens auszugehen ist“. Diese Anthologie (auf die wir auf Seite 12 näher eingehen) in Sachen Gegenreform des Wohlfahrtsstaates, europäischer Militarismus, steuerliche Entlastung der Gewinne, Freihandel im Bankwesen… sollte jeden Zweifel beseitigen. Kann man <ernsthaft> der Ansicht sein, dass ein stärkerer Verhandlungs“druck“ oder „Druck“ vonseiten der Bewegung diesen Rahmen verändern kann ?  Sollte die elementare Aufgabe der Kommunisten nicht darin bestehen, die Massen von diesen Illusionen zu befreien anstatt sie zu nähren ?

 

Eine Koalition für die Niederlage zum Vorteil von Berlusconi und den Liberalen

 

Indem sie Werktätige und Bewegungen den Interessen der Unternehmerschaft unterordnet, bildet die GAD einen tödlichen Käfig für alle Anliegen einer Kampfperiode. Auf Kosten nicht nur der Alternative, sondern selbst der Opposition gegen Berlusconi. Als die Regierung Berlusconi im Juni und Juli todkrank war, hat die demokratische Koalition mit den Liberalen jede Kampfaktion blockiert und die Regierung damit de facto gerettet. Nach der Verabschiedung eines Blut & Tränen-Haushaltes, der eine prompte und radikale Mobilisierung erfordert hätte, hat die Koalition mit Prodi die Aushöhlung und Verschiebung der Mobilisierung bewirkt und der Regierung de facto eine Erleichterung verschafft.

 

Angesichts der andauernden Kolonialmission im Irak, die eine Massenkampagne für den sofortigen und uneingeschränkten Truppenrückzug erfordert hätte, hat die GAD den Verzicht auf dieses Ziel zugunsten einer selbst von Berlusconi unterstützten internationalen Konferenz bewirkt. Und das nicht bevor noch einer Kriegsregierung während der Entführung der beiden Simonas <Anm.2> humanitäre Glaubwürdigkeit bescheinigt wurde.

 

Das Ergebnis all dessen war und ist eine enorme Desorientierung der Bewegungen und eine Vergeudung ihrer Energien. Was einerseits das Überleben einer reaktionären Regierung ermöglicht und andererseits dafür sorgt, dass aus ihren fortbestehenden Krisenelementen (siehe die Nachwahlen <von 7 direkt gewählten Parlamentsabgeordneten Ende Oktober 2004, die ins Europaparlament überwechselten und deren Sitze allesamt an die Mitte-Linke gingen>) die liberale Alternanz und ihre aus dem Unternehmerlager stammenden Kandidaten Kapital schlagen. Um gar nicht daran zu denken, dass das Profil eines Zara (Präsident der Industriellen Genuas) oder eines D’Antoni <halbrechter sizilianischer Christdemokrat und vorletzter Chef des christdemokratischen Gewerkschaftsbundes CISL> das Gesicht der ‚möglichen neuen Welt’ sind. Oder dass eine gesellschaftliche Alternative der Leitung von Marrazzo <DS>, Burlando <DS>, Cardini und der neuen liberal-padronalen Nomenklatura anvertraut werden kann, die die GAD bei den Regionalwahlen <2005> als Spitzenkandidaten aufstellt.

 

Mit der liberalen Mitte brechen – der Alternativvorschlag für den 6.Parteitag des PRC

 

Mit den Liberalen und der GAD brechen, auf dem Gebiet der Kämpfe alle Kräfte der Arbeiterbewegung und der <anderen> Bewegungen vereinen, um Berlusconi mit dem Ziel einer wirklichen Alternative zu verjagen. Das ist der politische Vorschlag, den der PRC öffentlich und überall äußern sollte und damit alle politischen und gewerkschaftlichen Vertretungen der Bewegung vor die Notwendigkeit einer klaren Antwort stellen, damit ihre Widersprüche der eigenen Massenbasis vor Augen führen und die alternative Hegemonie der Kommunisten herstellen.

 

Das ist der einfache und klare Vorschlag, den Progetto Comunista für den 6.Parteitag präsentiert. Es ist der einzige wirklich alternative Vorschlag zur GAD, der auf Klassenprinzipien beruht und Orientierung für eine grundlegende strategische Wende des PRC sein kann. Die führenden Vertreter von „l’Ernesto“ und „ERRE“ haben ihn zurückgewiesen oder fallengelassen, weil sie gegenüber der Klarheit eines Alternativvorschlages die Zeugenrolle der subalternen „Kritik“ und die Kultivierung ihrer Nischeninteressen bevorzugen. Ein solcher Vorschlag liegt <nun> aber auf dem Tisch und steht der Unterstützung aller Genossen der Partei offen (unabhängig von allen alten antragsmäßigen Trennlinien), die die Kommunistische Neu(be)gründung wiederbeleben und ihr soziales Anliegen bewahren wollen.

 

 

Anmerkungen:

1:  Der im September 2003 aus Altersgründen als Generalsekretär des größten italienischen Gewerkschaftsbundes abgetretene heutige Bürgermeister von Bologna, Sergio Cofferati, erweckte während seiner radikalen Phase von Anfang 2002 bis Mitte 2003 (als er auch Galionsfigur des linken DS-Flügels war) immer wieder den Eindruck, eine „Partei der Arbeit“ gründen zu wollen (ähnlich der später in Deutschland ins Leben gerufenen „Wahlalternative für Arbeit und Soziale Gerechtigkeit“ – WASG). Er weichte seine Positionen dann aber spürbar auf, ließ sich von der DS-Führung als Bürgermeisterkandidat in der (bei den vorletzten Wahlen an Forza Italia verlorenen) Hauptstadt der Emilia Romagna aufstellen und wurde im Juni 2004 mit deutlichem Vorsprung gewählt.

2:  Es geht hier um die Entführung der beiden freiwilligen italienischen NGO-Helferinnen Simona Torretta und Simona Pari Anfang September 2004 in Bagdad. Sie wurden Ende September, offenbar nach Zahlung eines Lösegeldes, unversehrt freigelassen.

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:

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