Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Eingehendere Berichte über das 4. Europäische Sozialforum, das
Anfang Mai 2006 am Rande von Athen stattfand, gab es kaum und noch weniger
solche, die auch die (zunehmenden) Schwächen und Schattenseiten dieses Treffens
beleuchteten. Genau dies zeichnete allerdings die Berichterstattung in der
unabhängigen linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“
aus. Das macht sie auch gut einen Monat nach Veröffentlichung noch lesenswert. Der
folgende Artikel des „il manifesto“-Korrespondenten
Angelo Mastrandrea aus der Ausgabe vom 6.5.2006
beschäftigt sich (zuweilen leicht ironisch) vor allem mit der zu beobachtenden
Zersplitterung und dem Charakter der „autonomen“ Konkurrenz- bzw.
Gegenveranstaltungen.
Fruchtbares Sozialforum
Fünf von 8.000 Polizeibeamten
eskortierte Demonstrationszüge treffen sich vor der US-Botschaft.
Polizeieinsatz gegen den Anti-Sammellager-Protest.
ANGELO MASTRANDREA – aus Athen
Kratz, kratz, sieh nur: die
Mutter Sozialforum hat mehr als ein Kind geboren. Eines frecher als die anderen
und ein weiteres, das noch nicht vollständig die Nabelschnur durchtrennt hat,
obwohl es bereits das Alter erreicht hat, um ein eigenes Leben zu führen. Sie
nennen sich „Autonome Räume“ und im Innern des Hangars des ehemaligen
Flughafens Hellinikon, der die vierte Ausgabe des ESF
beherbergt, wissen nur Wenige davon. Einer von ihnen (ein imperialistisches
Netzwerk) hat „Autonome Räume“ innerhalb des Forums ausgehandelt. Andere
sind völlig außen vor geblieben. Und so hat die nie überwundene Spaltung in sogenannte „Horizontale“ und „Vertikale“,
d.h. in traditionellere und vertikalere Organisationen und in die
Selbstorganisierten ohne irgendeine Hierarchie, das Wunder vollbracht. Ein
alternatives Forum wie in London vor 1 ½ Jahren? Fünf getrennte
Veranstaltungen, auch wenn sie in einem einzigen Informations-Network
miteinander verbunden waren, die heute, an dem Tag, an dem die Bewegung im
Zentrum Athens auf die Straße gehen wird, zusätzlich zur „offiziellen“,
vier verschiedene Demonstrationen verheißen, auch wenn es – was die Dimension
anbelangt – erlaubt ist, Zweifel zu äußern und davon auszugehen, dass sie mehr
oder minder in den Marsch zur amerikanischen Botschaft einfließen werden. Nicht
schlecht, dass ein antiimperialistisches Network
daran gedacht hat, „autonome Räume“ innerhalb des offiziellen Forums
auszuhandeln, sonst hätten wir noch eine weitere Spaltung erlebt.
Ein kleine Tour durch die anderen Sozialforen kann nicht
anders als am Athener Politechnikum zu beginnen. In
der Universität, die die Polizei seit der Repression des Obristenregimes im
Jahre 1973, aufgrund der Verfassung, nicht betreten darf, findet die Versammlung
der Anarchisten und in einem anderen Gebäude die der Autonomen und der Disobbedienti (Ungehorsamen) statt. Eine ruhigere
und entspanntere Atmosphäre, in der über die heutigen
Demonstrationen und Aktionen geredet wird. Ein Mädchen (eine Anarchistin), die
einem Netzwerk angehört, das sich VOID nennt („weil wir die totale Freiheit
wollen“) spricht über die Street Parade der Anarcho Raver, die am Nachmittag von der Universität aus
starten wird. Der Ausgangspunkt ist klar, das Ziel allerdings noch unsicher.
Gemeinsam mit dem Sozialforum gibt es die Idee zur amerikanischen Botschaft zu
ziehen. Unklarer ist <jedoch> die Demoroute. „Wir werden vor Ort darüber
entscheiden, ob wir uns der Hauptdemo anschließen oder unsere eigene
Demonstration machen.“
Mit Sicherheit auf anderen
Wegen zur Botschaft gelangen wird hingegen der antikapitalistische und
antiimperialistische Block der radikaleren marxistisch-leninistischen Gruppen,
die sich in diesen Tagen in der dezentraler gelegenen Panteios-Universität
treffen. Ein weiteres anarchistisches Netzwerk hat sich hingegen für 12 Uhr
mittags verabredet und möchte sich im Grunde mit der Hauptdemo vereinen,
während sich die Galaxie der Autonomen und Disobbedienti
um 13 Uhr im Stadtzentrum zu einigen Aktionen gegen Mc
Donalds und Starbuck treffen will. „Gegen die
massenhafte Nutzung prekärer Beschäftigung und die Ausbeutung der Arbeit durch
diese multinationalen Konzerne. Außerdem verwendet Starbuck
genetisch veränderten Kaffee“, berichtet die gerade 19jährige Universitätsstudentin
Valentina. Und dann? „Wir werden für alle ähnlich gelagerten Gruppen
irgendwie entscheiden, wo wir hingehen“, fügt Costas
(ein 35jähriger „Autonomer“, der als Elektriker im Nationalmuseum
arbeitet) hinzu.
Keine Linie, kein Sprecher,
jeder spricht für sich persönlich. Einige werden mit den wütendsten
Anarchisten gehen, andere mit dem Sozialforum. Die kandierte Kirsche auf der
Torte sind die Anti-Prohibitionisten, die auch hier
(genau wie in Rom und in Dutzenden anderen Städten auf der ganzen Welt) den Million
Marijuana March begehen
werden. In diesem Kontext wirkt ihr „Protestival“,
wie sie es genannt haben, allerdings marginal.
Es ist mehr dieses Wuchern
von Aktionen, das die griechische Regierung mittlerweile seit einigen Tagen in
Aufregung versetzt als ein Sozialforum, auf dem man bislang noch nicht den
Schatten eines Polizeibeamten gesehen hat. Im Übrigen endete bereits vor gut 10
Tagen der Anti-US-Protest, anlässlich der Ankunft der amerikanischen Außenministerin
Condoleezza Rice, in
Zusammenstößen mit der Polizei. Deshalb werden heute 8.000 Polizisten die
Botschaft der Vereinigten Staaten bewachen, die wegen der Proteste gegen den
Irak-Krieg aufs Korn genommen wird. Für ein Land wie Griechenland ist das eine
Unmenge und hat dazu geführt, dass man gezwungen war das Fußball-Pokalfinale
zwischen Olympiakos Piräus und AEK Athen, das auf
Kreta hätte stattfinden sollen, aus Sicherheitsgründen (d.h. aus Mangel an
verfügbaren Kräften) zu verschieben.
Einen ersten Vorgeschmack
gab es gestern Morgen als eine Gruppe von Aktivisten des „Autonomous Playground“
(Autonomer Spielplatz), einem weiteren autonomen Raum, und Andere, die vom
Forum kamen (insgesamt nicht mehr als 200 Personen) symbolisch ein
Polizeirevier besetzten, das wegen Misshandlungen festgenommener Immigranten
bestens bekannt ist. Die Anwesenheit einiger Abgeordneter, insbesondere des Rifondazione Comunista-Vertreters
Giusto Catania und Panajotis
Lafasanis von der griechischen Synaspismos,
der Mitgliedspartei der Europäischen Linkspartei und eine der Initiatoren
dieses Sozialforums, bewirkte da wenig. Ein kurzer aber gewalttätiger Einsatz
gegen eine kleine Gruppe von Demonstranten am Eingang des Polizeireviers und
die mehrere Stunden dauernde Ingewahrsamnahme der
Abgeordneten sowie von ca. 30 Aktivisten beendeten die
friedliche Aktion. Drei Personen (2 Griechen und der aus Bologna stammende Ya Basta-Aktivist Vittorio Sergi) mussten mit blauen Flecken und ausgerenkten Gelenken
die Zeche für die Gewalt der Beamten bezahlen, die der Presse gegenüber
besonders ruppig auftraten. Eigentlich wollten sie nur die Aufmerksamkeit der
griechischen Politik auf das Thema Einwanderung lenken, das aus Sammellagern,
Schiffbrüchen in der Ägäis und Immigranten besteht, die in den zahllosen
verminten Lagern an der Grenze zur Türkei landen. Dabei ist es ihnen allerdings
nicht sehr gut ergangen.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover