Antifa-AG
der Uni Hannover:
Eine der brisanten und politisch
bedeutsamen Fragen beim gegenwärtigen Krieg Israels gegen den Libanon lautet,
ob, wie und wann im Kolonialstaat Israel wieder eine bedeutende Anti-Kriegs-Bewegung
entstehen kann. Das ist eine der Voraussetzungen für ein Ende des Massakers im
Libanon, ein Ende der Besetzung der Shebaa-Farmen,
der Golan-Höhen, Gazas, des Westjordanlandes und Ost-Jerusalems und einen
gerechten Frieden in diesem Teil des Mittleren Ostens, der ein Ende des
Apartheidregimes, eine Beseitigung der Mauer, die Gründung eines vollständig
souveränen palästinensischen Staates in den 1967 besetzten
Palästinensergebieten und die Lösung der Flüchtlingsfrage umfassen muss.
Die von der italienischen Rifondazione Comunista (PRC)
herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“
befragte dazu den in Jerusalem lebenden Veteranen der israelischen radikalen
Linken und Co-Direktor des Alternative Information Center (AIC; www.alternativenews.org), Michael Warschawski. Das Interview erschien am 21.7.2006.
Zu der von ihm angesprochenen Anti-Kriegs-Demonstration am Samstag, den 29.Juli
2006, kamen zwar nicht die erhofften 3.000 Leute, doch zogen laut dem Bericht
des AIC immerhin knapp 2.000 jüdische und palästinensische Bürger Israels vom
Rabin Square zur King George Street im Zentrum von Tel Aviv (Fotos unter: www.alternativenews.org/index.php?option=com_content&task=view&id=471&Itemid=1).
Es spricht Michael Warschawski
vom Alternative Information Center:
Die israelische Friedensbewegung vom Clash
der Kulturen in die Ecke gedrängt
Haifa (Unser Dienst)
Michael Warschawski
ist ein israelischer Pazifist, der in den Sozialforen mitarbeitet und
Co-Direktor des Alternative Information Center, einer
israelisch-palästinensischen Organisation.
Vor 20 Jahren
demonstrierten die israelischen Pazifisten gegen den Krieg im Libanon. Heute
scheint das Land (von einer kleinen Minderheit einmal abgesehen) an der Seite
der Regierung zu stehen. Warum?
„Die traditionelle
Friedensbewegung (wie ‚Peace Now’,
damit wir uns richtig verstehen) hat im Juli 2001 aufgehört zu existieren. Der
radikale Flügel ist stärker und geeinter. Im Moment lautet die Position des ‚Mehrheitslagers’,
dass Israel angegriffen wurde und wir daher reagieren müssen. Zu der
Anti-Kriegs-Demonstration, die wir am vergangenen Sonntag <den 16.7.2006> organisiert haben, kam der ehemalige Sekretär von ‚Peace Now’, Mossi Raz, als Einzelperson und
genau wie er kamen mehrere hundert Leute.“
Diejenigen, die in Tel
Aviv waren, behaupten, sie hätten ca. 300 Teilnehmer gesehen.
„Das stimmt nicht. Wir waren
mindestens 700 und wir waren alles Juden. Es war eine in aller Eile organisierte
Demonstration. Wir hoffen, dass am kommenden Sonntag auch aus dem Norden Leute
kommen. Wir haben die arabischen Parteien kontaktiert und rechnen damit
mindestens 3.000 zu werden. Es werden die Refusniks
(Kriegsdienstverweigerer), das Frauenbündnis gegen den Krieg, Gush Shalom, Ta’ayush, die Rabbiner für die Menschenrechte und
die Anarchisten gegen die Besatzung dabei sein.“
Rechnet Ihr damit
irgendeinen Effekt in der öffentlichen Meinung zu erzielen?
„Wir haben nicht die
Illusion diese Gesellschaft zu verändern. Wie das Räderwerk einer Uhr waren wir
einmal das kleine Rad, das in der Lage war, das große in Bewegung zu setzen,
das der Resonanzboden war, um sich an die öffentliche Meinung zu wenden. Jetzt
drehen wir uns im Leerlauf.“
Im Moment scheint der
größte Teil der Israelis sich nicht vor den Konsequenzen zu fürchten, die die
Ausweitung des Konfliktes in der Region auch für Israel haben könnte. Handelt
es sich dabei um Überzeugung oder um Desinformation?
„In Israel haben wir ein
Sprichwort, dass besagt: Wenn wir an der Brücke ankommen, werden wir darüber
nachdenken, wie wir sie überqueren. Es existiert die Wahrnehmung, Teil eines
globalen Krieges zu sein, der die jüdische und die christliche Kultur
verteidigt. Also hat man keine Wahl sofern die israelische Gesellschaft sich
als Teil des sogenannten ‚Clashs
der Kulturen’ sieht. In diesem Konflikt gibt es kein Ziel. Das ist der
präventive und permanente Krieg gegen all das, was man als Terrorismus
darstellen kann. Mit dem Iran kann diese Phase – meiner Ansicht nach – in einen
Konflikt ausarten. Wir befinden uns in einer extrem gefährlichen Situation,
deren Konsequenzen wir nicht kalkulieren können und die sofort beendet werden
muss, bevor sie sich in einen regionalen Konflikt entlädt. Als ich diese meine
Position im Radio geäußert habe, sagte mir ein Journalist, dass wir uns bereits
mit dem Iran im Krieg befänden und fragte mich, ob es – unter diesen
Bedingungen – nicht besser wäre, die Sache lieber früher als später in Angriff
zu nehmen. Vor 20 Jahren als die Soldaten an der Front starben, klagte man die
Regierung an, unsere Soldaten nicht geschützt zu haben. Jetzt werden die
Raketen auf Haifa als ein unabwendbares Ereignis angesehen und nicht als ein
Scheitern der Regierung.“
Bekommen diejenigen, die
über keine Satellitenschüssel verfügen und nur die in jüdischer Sprache
erscheinende Presse lesen angemessene Informationen über das, was mit den
Zivilisten im Libanon geschieht?
„Man kann die israelische
Presse nicht als ‚militarisiert’ betrachten. In der gegenwärtigen Phase
existiert eher eine Militarisierung der Mentalität. Die sich auch in der
Information widerspiegelt. Es genügt da an die Stimmen zu denken, die sich aus
der Linken von Yossi Beilin
und anderen erhoben. Ich habe Yeoshua reden hören wie
einen Rechten. <Der Führer der ehemals linkssozialdemokratischen Meretz, Beilin, sprach sich noch.
am 21.7.2006 für die Bombardierung von militärischen Zielen in Syrien aus!> Es ist nicht
die Regierung, die den linken Zeitungen sagt, was sie schreiben sollen. Die
israelischen Medien spiegeln eher die öffentliche Meinung wider, die im Moment,
mit den Raketen bei sich zuhause den Toten auf der anderen Seite gegenüber
gleichgültig ist. Wir müssen diese Mentalität des ‚Clashs
der Kulturen’ aber zurückweisen / zurückdrängen. Stell’ Dir vor, welche
Konsequenzen der Eintritt anderer Staaten in diesen Konflikt hätte.“
Fr. Mar.
Vorbemerkung, Übersetzung und
Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG
der Uni Hannover