Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Zum Stand und den Aussichten des Tarifkampfes der Beschäftigten im italienischen Nahverkehrssektor befragte die linke Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 7.7.2004 das zuständige Sekretariatsmitglied der Branchengewerkschaft FILT, die zum größten italienischen Gewerkschaftsbund CGIL (ehemals PCI- und heute Linksdemokraten-nah) gehört. Franco Nasso befindet sich dabei in der unangenehmen Situation desjenigen, der zwischen den Forderungen der Straßenbahn- und Busfahrer einerseits und der skrupellosen Befriedungspolitik der Chefs der Gewerkschaftsbünde (auch der CGIL !) hin- und hergerissen ist. Und dabei zu allem Überfluss mit einem Unternehmerverbandschef (Mingardi / ASSTRA) konfrontiert ist, der den schwarzen Peter an die Regierung Berlusconi weiterreicht und – aus taktischen Gründen – als lautstarker Streikunterstützer auftritt.

 

Interview:

 

„Jetzt müssen die Unternehmen verhandeln“

 

Franco Nasso (Mitglied des Sekretariates der FILT-CGIL): Schluss mit den Konflikten zwischen Staat und Regionen.

 

Manuela Cartosio

 

Franco Nasso (Mitglied des Sekretariates der FILT-CGIL) ist der Verantwortliche für den Nahverkehrsektor.

 

Ein Ergebnis hat der Streik bereits gehabt. Bis gestern verharrte die ASSTRA bei 52 Euro Lohnerhöhung. Nun ist ihr Präsident Mingardi bereit zu einer Zahl „zwischen 80 und 100 Euro“ zu kommen.

 

„Das hat er in der Pressekonferenz gesagt. Verhandlungen führt man aber nicht über die Zeitungen. Er soll uns einladen und direkt mit uns sprechen. Unsere Forderung lautet 131 Euro, einschließlich der im letzten Tarifvertrag fehlenden 25 Euro. Die müssen für alle 120.000 Beschäftigten im Nahverkehr zurückerobert werden – inklusive der Wenigen, die jene Summe durch die betrieblichen Verträge als Produktionsprämie in der Lohntüte hatten.“

 

Einige behaupten, dass Ihr, indem Ihr sofort einen 24stündigen Streik ausgerufen habt und nicht bloß einen 4stündigen die Regeln bereits verlassen habt.

 

„Die irren sich, weil es zwischen dem Arbeitskampf Ende letzten Jahres und diesem keine Diskontinuität gibt, auch wenn die Tarifverträge verschieden sind. Das Abkommen vom 20.Dezember sah vor, dass die Unternehmen sofort die Verhandlungen über den neuen Tarifvertrag mit 4jähriger Laufzeit eröffneten. Bis gestern sind sie jedoch davor geflohen. Es sah <weiterhin> vor, dass die Regierung in Sachen Regeln und Ressourcen Verhandlungen mit der ASSTRA, den Regionen und den Kommunen eröffnete. Das hat sie nicht getan. Die Auseinandersetzung ist dieselbe, weil niemand die Verpflichtungen eingehalten hat.“

 

Die Regierung hat das Kernproblem der Ressourcen nicht gelöst, daher – sagen die Betriebe – haben wir nicht das Geld, um den neuen Tarifvertrag abzuschließen. Die Behauptung der ASSTRA scheint begründet.

 

„Zum Teil ist sie es. Wir sind die Ersten, die dafür eintreten, dass der Verkehrsfond refinanziert wird. Die ASSTRA jedoch ist nur in der Lage über Geld zu reden und schweigt über die Notwendigkeit, Ordnung in das normative Chaos zu bringen, in dem die Reform des Nahverkehrs versandet ist. Sie nutzt den sozialen Konflikt, das Auslaufen der Tarifverträge, um Kasse zu machen.“

 

Und die Regierung erteilt eine abschlägige Antwort. Wenn Berlusconi seinen Traum verwirklicht, die Steuern für die Reichen zu kürzen, werden die Gelder, die für den öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung stehen, noch weniger.

 

„Es steht außer Frage, dass sich all das, was öffentlich ist, unter Feuer befindet. Wir dürfen uns dem nicht fügen. Sich in den Städten zu bewegen, ist für das Leben der Leute, aber auch für die Wirtschaft und die Umwelt ein Bedürfnis ersten Ranges. Eine Regierung, auch wenn sie rechts ist, kann am öffentlichen Nahverkehr nicht desinteressiert sein.“

 

Was sind – über das Ausfindigmachen der Ressourcen hinaus – die drängendsten Probleme, die zu lösen sind ?

 

„Man muss dem Streit zwischen Staat und Regionen ein Ende setzen. Bei den durch den sog. Föderalismus ausgelösten Streitereien begreift man nicht mehr, wer denn nun die Verantwortung für den öffentlichen Nahverkehr trägt. Man muss das vereinfachen: In Italien sind in diesem Sektor 1.200 Betriebe tätig. Einige sind mikroskopisch klein, können sich nicht halten, müssen sich zusammentun, sich zusammenschließen. Man muss Klarheit über die Wettbewerbsbedingungen schaffen, da dieser auch ausländischen Unternehmen offen steht. Die Regionen haben die Gesetze erlassen, aber die Wettbewerbe <um die Lizenzvergabe> beginnen nicht. Und nicht, weil die Gewerkschaft schuld daran ist, die die Garantie der Sozialklauseln fordert.“

 

Nach den Ferien, droht die Gewerkschaft, wird es einen wilden Streik geben.

 

„Wir drohen niemandem. Den heutigen Streik haben wir extra gemacht, um zu verhindern, dass sich das Drehbuch dieses Winters wiederholt. Es hängt vom Unternehmen ab. Verhandeln sie, gibt es keinen Bedarf, außerhalb der Regeln zu streiken.“

 

Alle, die den Schlichterspruch vom 20.Dezember unterschrieben haben (und insbesondere die CGIL), sagten: „Nie wieder ein Abkommen wie dieses.“ Ist das sicher ?

 

„Den Tarifvertrag wollen wir Branchengewerkschaften abschließen. Die Anomalie des von der Regierung und den Gewerkschaftsbünden unterzeichneten Schlichterspruches darf sich nicht wiederholen.“

 

Die direkte Intervention von CGIL, CISL und UIL war nicht die einzige Anomalie jenes Abkommens. Davon ging ein objektiver Schub zugunsten der territorialen <d.h. lokalen und regionalen> Tarifverhandlungen aus. Das, was beim nationalen Tarifvertrag fehlt, fügt, wer kann, mit Hilfe lokaler Abkommen hinzu. Dario Balotta (Sekretär der lombardischen <christdemokratischen Branchengewerkschaft> FIT-CISL) geht bereits zum Angriff über: Der Nahverkehr sei lokal, also bedürfe es lokaler Tarifverträge.

 

„Balotta soll sich mit der nationalen FIT einigen. Mir ist nicht bekannt, dass sie nicht daran interessiert ist, einen guten nationalen Tarifvertrag abzuschließen. Den Schiedsspruch vom 20.Dezember haben wir gerade deshalb unterschrieben, um das Abdriften in Richtung der lokalen Tarifverhandlungen zu stoppen. Die betrieblichen Abkommen hat es immer gegeben. Sie dürfen allerdings den nationalen Tarifvertrag nicht ersetzen.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover