Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Polizeieinsätze und Festnahmen von Demonstranten, zu denen es im Vorfeld und
während der Abschlusskundgebung der ESF-Demonstration am 17.Oktober 2004 kam,
stehen mittlerweile – zu Recht – im Mittelpunkt einer europaweiten Diskussion
innerhalb der Antiglobalisierungsbewegung. Dabei geht es nicht nur um die
Verurteilung des Vorgehens von Tony Blairs Ordnungshütern, sondern mehr noch um
die Frage, wie abhängig von neoliberalen bürgerlichen Staatsorganen die
Bewegung bzw. ihre Organisatoren eigentlich sind.
Die
konkreten Informationen über die Ereignisse sind noch immer wenig bekannt und
z.T. nur stückweise zu bekommen. Daher halten wir den entsprechenden Artikel
aus der linksunabhängigen italienischen Tageszeitung „il manifesto“
vom 19.10.2004 für sehr wichtig, weil er im wesentlichen auf dem
Bericht der Betroffenen beruht und eine Bewertung der Geschehnisse durch die
italienischen Disobbedienti (Ungehorsamen) enthält.
Wie
bereits an anderer Stelle angemerkt, weist die von der Communist Party of Great
Britain (CPGB) herausgegebene und auf der Insel strömungsübergreifend sehr
angesehene Wochenzeitung „Weekly Worker“
in der Ausgabe vom 21.10.04 darauf hin, dass es auf der Abschlusskundgebung
eine Person auf der Bühne gab, die die Festnahmen der Polizei kritisierte und
die Freilassung der Festgenommenen forderte, nämlich Andrew Murray von der
Communist Party of Britain (CPB / „Morning Star“ – der rechteren der beiden
britischen KP’s). Er handelte dabei aber offenbar als Einzelperson, denn vom
Organisationskomitee ist bis heute keine entsprechende Stellungnahme bekannt. Die
Polizei nahm während der Demo weitestgehend die Funktion der (weitgehend
abwesenden) Demoordner wahr und das SWP-Führungsmitglied Alex Callinicos z.B. schwadroniert
bis heute bei jeder Gelegenheit – wider besseres Wissen – von einem angeblichen
Schwarzen Block, der wie in Genua die Demo habe missbrauchen wollen (und gegen
den – so die naheliegende Schlussfolgerung – auch Polizeieinsätze okay seien).
Disobbedienti:
Die beiden festgenommenen Italiener sind
frei
„Sie haben diejenigen festgenommen,
die auf dem Sozialforum protestiert hatten.“
Sa.M.
Sie haben mir mit einer
Ampulle vor dem Gesicht herumgefuchtelt, in der sich eine durchsichtige
Flüssigkeit befand und schrieen: ‚Das ist Deine, das ist Sprengstoff!’.“
Vittorio Sergio, Disobbediente (Ungehorsamer) aus Bologna wurde gegen 2
Uhr am Montagmorgen aus dem Londoner Gefängnis entlassen. Andrea Olivieri aus
Triest blieb bis zum Vormittag drinnen, bis das englische Gericht den Termin
des Prozesses gegen ihn auf den 22.November festgelegt hatte. (Er muss sich
wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt verantworten.) Beide hatten am
Samstag während des Protestes beim Europäischen Sozialforum Redebeiträge
gehalten. Und beide sind davon überzeugt, dass die Festnahme Sonntagnachmittag,
am Rande der Demonstration, die das Londoner Forum abschloss, etwas mehr als
ein zufälliges Zusammentreffen ist. „Sonntagmorgen haben wir uns in der
Universität von Middlesex versammelt, wo auch die anderen zum Sozialforum
alternativen Veranstaltungen stattfanden“, erzählt Vittorio, der gestern
Nachmittag im Centro sociale (Sozialen Zentrum) TPO war, um über das
Geschehene zu berichten. „Die Polizei hat begonnen uns zu verfolgen, kaum dass
wir in dem Zug saßen, der uns nach London bringen sollte.“
Die kleine Gruppe wurde
Opfer einer Reihe von Übergriffen der Polizei, die versuchte, irgendeinen von
ihnen festzunehmen. Dann, außerhalb der U-Bahn-Station King’s Cross
angekommen, wurde die Gruppe von Polizeibeamten umzingelt. „Wir waren ungefähr
30. Die ganz außen haben einen Kordon gebildet. Ich hatte nichteinmal Kontakt
zu den Polizeibeamten. An einem bestimmten Punkt haben sie mich
herausgegriffen, mir Handschellen angelegt und mir jene Ampulle mit einer
durchsichtigen Flüssigkeit darin gezeigt. Sie sagten, das sei mir aus der
Tasche gefallen.“ In der Ampulle befand sich, wie sich am selben Abend
herausstellt, weder Sprengstoff noch Gift, sondern eine Flüssigkeit für
Kontaktlinsen. Unnütz zu sagen, dass Vittorio auch keine Kontaktlinsen trägt.
Zusammen mit ihm und Andrea wurde auch ein griechischer Jugendlicher
festgenommen. Während der Demonstration gab es allerdings noch eine
4.Festnahme: die von Alessio Lunghi, der dem Namen zum Trotz englischer Staatsbürger
ist. Er wurde festgenommen während er versuchte, auf die Rednertribüne der
ESF-Demonstration zu steigen und kaum, dass er die Ordnerkette überwunden
hatte.
Der Eindruck, dass das
Sozialforum die Polizei dazu aufgefordert hat, einzugreifen und diejenigen
festzunehmen, die protestiert hatten (der bereits seit Sonntagnachmittag
zirkulierte) bleibt. Um so mehr als keiner der Organisatoren des ESF eine
Solidaritätserklärung mit den Festgenommenen abgegeben oder ihre Freilassung
gefordert hat. „Es gibt ein generelleres politisches Problem“, sagt der aus
Bologna stammende Disobbediente Gianmarco De Pieri. „Das Europäische
Sozialforum ist dabei, eine Bühne zur freien Verfügung der europäischen
Sozialdemokratien zu werden.“
Vorbemerkung und
Übersetzung:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover