Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Italien hat in den letzten Monaten eine Reihe ungewöhnlich heftiger und "wilder" Arbeitskämpfe und Streiks erlebt. Die bekanntesten sind sicherlich der Kampf der Straßenbahn- und Busfahrer in diversen Großstädten im Dezember 2003 / Januar 2004, die Mobilisierungen bei Alitalia und der dreiwöchige spontane Streik im süditalienischen FIAT-Vorzeigewerk in Melfi, wo bis vor kurzem die gelbe Metallergewerkschaft FISMIC zusammen mit der braven christdemokratischen FIM und der ehemals PSI-nahen "Bürgergewerkschaft" UILM bei den RSU-Wahlen 75-80% der Stimmen auf sich vereinten. Der relative Erfolg dieses wichtigsten Arbeitskampfes in einem italienischen Industriebetrieb in den letzten 25 Jahren hat sofort weitere Mobilisierungen (im FIAT-Hauptwerk in Turin-Mirafiori, bei Fincantieri etc.) nach sich gezogen. Noch bevor dieses Ergebnis absehbar war, verfasste Paolo Ferrero (Mitglied des Nationalen Sekretariats von Rifondazione Comunista und dort der führende "Bewegungslinke) für die kleine, Rifondazione gehörende Tageszeitung "Liberazione" vom 21.4.2004 das folgende Editorial. Darin versucht er die gemeinsamen Charakteristika dieser Kämpfe zusammenzufassen und politische Schlussfolgerungen zu ziehen.


Editorial:


Arbeiterkämpfe in der Krise des Neoliberalismus


von Paolo Ferrero


Der gestrige Tag zeichnete sich durch zahlreiche Episoden von Arbeiterkämpfen aus. Die Arbeiter in Melfi setzten eine außerordentliche Mobilisierung fort, die den sozialen Frieden im "Modellwerk" von FIAT definitiv zerbrochen hat. In Palermo blockierten die Arbeiter des Unternehmens Imesi in Carini die Autobahn, um gegen die fortschreitende Schließung des Betriebes, in dem sie arbeiten, zu protestieren. In Asti (Piemont) blockierten die Metallarbeiter der Firma Arvin die Eisenbahnstrecke Turin-Rom, nachdem ihnen mitgeteilt worden war, dass 160 von 441 Beschäftigten in Mobilität versetzt <d.h. faktisch entlassen> werden. Das alles nach den großen Kämpfen der Straßenbahn- und Busfahrer, während der fortdauernden Auseinandersetzung bei Alitalia und im Kontext der FIOM-Kampagne für die Vorverträge <zu einem Metalltarifvertrag, der – auf das Separatabkommen der kleineren und rechten Branchengewerkschaften bezogen – 30 bis 40 Euro zusätzliche Lohnerhöhung im Monat und Maßnahmen gegen die Prekarisierung vorsieht>. An diesen Kämpfen fällt in erster Linie die Verknüpfung von Lohnforderungen mit dem Protest gegen die industrielle Krise auf. Es gibt eine Unzufriedenheit der Arbeiter, die sich über Jahre hinweg aufgestaut hat, von einer Summe von Elementen hervorgerufen wurde und nun explodiert. In zweiter Linie wird – insbesondere was Melfi anbelangt – die wechselseitige Beeinflussung deutlich, die zwischen den verschiedenen Kämpfen stattgefunden hat. Wenn kleine Gruppen von FIAT-Arbeitern zusammenstehen, hört man, dass gesagt wird: "Wir müssen es so machen wie in Scanzano."

<In der nahegelegenen Kleinstadt der süditalienischen Region Basilicata hatte es kurz zuvor wütende und erfolgreiche Massenproteste gegen die Einlagerung von Atommüll im Umland gegeben.>


Die Kämpfe der vergangenen Monate gegen Atommüll und Hochspannungsmasten haben den Weg aufgezeigt und die Überzeugung reifen lassen, dass "sich der Kampf auszahlt" und dass "man vereint gewinnt".


Die Inhalte und die Radikalität des Arbeiterkampfes sind daher wie auch der Generalstreik <im März 2004> und die Demonstration der Rentner gezeigt haben – auf der Höhe des Niveaus der Auseinandersetzung. Das, was fehlt, ist eine angemessene politische Unterstützung und eine Antwort der Gewerkschaften, die diese Bereitschaft zum Kampf in <konkrete> Auseinandersetzung verwandelt.


Auch deshalb, weil die Antwort der Leitungsklassen beispielhaft und unmissverständlich ist: Einerseits ergreift die Polizei Partei und versucht die sozialen Kämpfe in eine Frage der öffentlichen Ordnung zu verwandeln. Andererseits tut die Regierung nichts, um auf die Probleme beim Lohn und der Qualifizierung des Produktionsapparates zu reagieren. Gerade gestern hat Finmeccanica einen Umstrukturierungsplan gebilligt, der – wenn er umgesetzt wird – zu weiteren Werksschließungen und Veräußerungen dessen führen wird, was von den Staatsbeteiligungen übrig geblieben ist.


Das Erreichen irgendwelcher Ergebnisse kann daher nicht die Frucht von Vermittlungen oder augenzwinkernden Übereinkünften sein, sondern nur das Produkt einer bewussten Kampfbewegung. Es ist daher in erster Linie notwendig diese Kämpfe – Bereich für Bereich – bis zum Letzten zu unterstützen. Es ist jedoch <ebenso> unverzichtbar an der Eröffnung einer wirklich allgemeinen Auseinandersetzung zu arbeiten – gegen Regierung und <den wichtigsten Unternehmerverband> Confindustria und Bezug nehmend auf die Themen Lohn und Neuqualifizierung des Produktionsapparates dieses Landes. Unsere Kampagne in Sachen Lohn ist ein erster Schritt. Es ist allerdings notwendig sie auszuweiten und die verschiedenen Oppositionskräfte sowie die CGIL herauszufordern, um sie dazu zu bewegen, sich auf diesem Gebiet zu messen. Wir müssen auf dem sozialen Gebiet dasselbe tun was wir beim Thema Frieden getan haben: den Aufbau einer breiten Mobilisierung bewerkstelligen, die zugleich eine radikale und eine Massenmobilisierung ist und die eine Antwort auf die Krise der neoliberalen Rezepte gibt. Nur so können wir ein positives politisches Ergebnis der Arbeiterkämpfe dieser Tage schaffen.


Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover