Antifa-AG der Uni Hannover:
Ebenfalls
zum Thema Vorwahlen in der italienischen Mitte-Linken am 16.Oktober 2005 zur Kür
eines Spitzenkandidaten für die Parlamentswahlen im Frühjahr 2006, ohne dass es
bisher ansatzweise ein gemeinsames Programm gibt, führte die linke italienische
Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 30.8.2005 auch ein
Interview mit dem Kopf der zweistärksten Strömung des linken Flügels von
Rifondazione Comunista (PRC). Der linkstrotzkistisch ausgerichtete „Progetto
Comunista“ vertritt 6,5% der 95.000 PRC-Mitglieder und bildet den am weitesten
links stehenden Teil der Partei.
Vorwahlen:
Innerhalb Rifondaziones viele Zweifel.
Ferrando: „Ein Manöver für die
Hegemonie auf der Linken“
ANDREA COLOMBO
Marco Ferrando ist der
Führer der trotzkistischen Minderheit des <Partito della Rifondazione Comunista> PRC, die den Vorwahlen in der <Mitte-Links-> Union – vorsichtig ausgedrückt – kritisch gegenüber
steht.
Welche Kritik hast Du an
den Vorwahlen?
„Es gibt eine doppelte
negative Konnotation. Allgemein sind die Vorwahlen eine Antwort auf das präsidenzialistische
und plebiszitäre Modell. Im spezifischen italienischen Fall bilden sie hingegen
einen präsidenzialistischen Hebel in Prodis Händen, der eine plebiszitäre
Inthronisierung fordert, um volle Machtbefugnisse zu bekommen und ein Programm
zur Sanierung der öffentlichen Haushalte einzuleiten, was konkret eine
neuerliche Politik der Opfer bedeuten wird.“
Wenn dem wirklich so
wäre, warum sollte <Rifondazione-Parteichef> Bertinotti sie dann unterstützen?
„Weil es ein allzu
offensichtliches Ping-Pong-Spiel der wechselseitigen Protegierung gibt. Prodi
kassiert von Bertinotti die Akzeptanz einer plebiszitären Inthronisierung und
Bertinotti kassiert von Prodi die Anerkennung als Bezugspunkt des linken
Flügels der Koalition.“
Kann diese Kritik auf
diejenigen Exponenten der Bewegung ausgedehnt werden, die sich daran
beteiligen?
„Sicher. Die Vorwahlen sind
für die Wiederherstellung der Sozialpartnerschaft funktional, d.h. faktisch für
die Ausschaltung der Kämpfe und der Bewegungen der letzten Jahre. Es ist
bezeichnend und auch gravierend, dass einige Führungen der Bewegungen die Rolle
von zweiten Hauptdarstellern in diesem Spiel akzeptieren.“
Ich würde sagen, dass die
Tatsache, dass es in der radikalen Linken sehr viele Spaltungen gibt, das
Vorhandensein eines Problems verdeutlicht…
„Das Problem ist, dass sich
diese Konkurrenz bis zum letzten Blutstropfen um die Hegemonie auf dem linken
Flügel der Koalition in einer Auseinandersetzung um das Vorrecht zur
Zusammenarbeit mit Prodi und mit der liberalen Mitte der Union auflöst. Im
Gegensatz dazu müssten die Kräfte der Linken und die Bewegungen mit Prodi und
mit der Mitte brechen, um einen wirklich alternativen Pol ins Leben zu rufen.
Das Bestürzende ist, dass unser Bereich <d.h. die Fraktion „Progetto Comunista“ innerhalb
von Rifondazione Comunista> in der
gesamten Linken die Einzigen sind, die einen Bruch mit Prodi und mit der
liberalen Mitte fordern. Von diesem Gesichtspunkt aus gleichen sich alle
anderen Kräfte der Linken in der Union. Die Vorteile dieses Wettbewerbs um die
Zusammenarbeit mit der liberalen Mitte streichen allein Berlusconi (indirekt)
und Prodi (direkt) ein. Und das alles ist heute noch bestürzender als in der
Vergangenheit.“
Warum? Was hat sich
geändert?
„Die Ereignisse dieses
Sommers haben mit der größten Eindeutigkeit gezeigt, welchen politischen und
sozialen Charakter die Mitte der Union hat. Es ist klar, dass die
Mitte-Links-Regierung die Regierung der Sanierung der öffentlichen Haushalte
und der Opfer sein wird. Gleichzeitig illustriert die sog. moralische Frage,
die in Wirklichkeit eine Klassenfrage ist, dass sich alle Kräfte der Mitte der
Union zu Paladinen diverser kapitalistischer Seilschaften gemacht haben, wobei
sich die eine gegen die andere bewaffnet hat. In diesem Rahmen ist die
Ausrichtung auf Vorwahlen in der Perspektive einer gemeinsamen Regierung mit
genau dieser Mitte grotesk.“
Bertinotti hat gesagt,
dass der PRC – wenn die Union die Wahlen gewinnt – sofort die Streichung des
Bossi-Fini-Einwanderungsgesetzes, der Moratti-Bildungsreform und des Gesetzes
Nr. 30 <aus 2003
zur weiteren Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse> fordern wird. Was meinst Du zu diesen Zielen?
„Dass sie wenig realistisch
sind. Es werden einige besonders wenig vorzeigbare und obendrein fast nutzlose
Dinge abgeschafft werden, wie die Arbeit auf Abruf, und der Rest des Gesetzes
Nr. 30 wird bleiben. In jedem Fall würde es sich (auch wenn dem nicht so wäre)
um rein kosmetische Lösungen handeln. Was die Bewegungen fordern, ist die
Streichung einer ganzen Gesetzgebung, die zur Prekarisierung geführt hat. Also
das Gesetz 30, aber auch das Treu-Gesetz <siehe Anm.1>,
das mit Unterstützung der gesamten Mitte-Linken eingeführt wurde. Genauso
verhält es sich beim Bossi-Fini-Gesetz. Es ist gut das abzuschaffen, aber
dasselbe müsste mit dem Turco-Napoletano-Gesetz <vom 6.Mai 1998> gemacht werden.“
Anmerkung
1:
Das
Gesetz 196 vom 24. Juni 1997, das nach dem damaligen linkschristdemokratischen
Arbeitsminister benannte "Treu-Paket", legt wichtige Maßnahmen
zur Förderung der Beschäftigung fest. Diese umfassen Zeitarbeit, neue
Verordnungen über gesellschaftlich nützliche Arbeit und die Beauftragung
öffentlicher Versorgungseinrichtungen in Süditalien unter Bereitstellung von
Zuschüssen, jugendlichen Arbeitslosen zu helfen, in der Arbeitswelt Fuß zu
fassen. Der Rechtsprofessor und heutige Senator des Mitte-Links-Bündnisses,
Tiziano Treu (65 Jahre und Venezianer), verfügt im übrigen über sehr enge
Beziehungen zur zweitgrößten italienischen Gewerkschaftszentrale CISL und ist –
seiner Arbeitsmarktpolitik zum Trotz – auch bei führenden DGB-Funktionären sehr
beliebt.
Das
Gesetz, das im Januar 1998 mit der Verabschiedung diesbezüglicher
Ministererlasse in Kraft trat, sieht auch umfassende Neuerungen auf dem Gebiet
der Berufsbildung vor. Staatliche Behörden können Ausbildungs- und
Arbeitsverträge abschließen. Außerdem sind Arbeitgeber unter bestimmten
Voraussetzungen berechtigt, ein Jahr lang einen niedrigeren Lohn zahlen, wenn
nach der zweijährigen Laufzeit des Vertrages eine feste Anstellung geboten
wird. Das Mindest- bzw. Höchstalter der „Lehrlinge“ wurde auf 16 bzw. 24 Jahre
(in Gebieten mit hoher Arbeitslosigkeit auf 26 Jahre) angehoben. Die Dauer
dieser sog. „Lehrlingsausbildung“, die oftmals nichts anderes als normale
Beschäftigung mit prekärer Entlohnung ist, beträgt 18 Monate bis vier Jahre.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in
eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover