Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover:

Im Folgenden die kritische Analyse der Situation der italienischen Antiglobalisierungsbewegung durch die Gruppe um die alle 6 Wochen erscheinende Zeitschrift “FalceMartello” (Hammer & Sichel) Nr. 152 vom 18.November 2001.
Die relativ kleine “FalceMartello”-Gruppe existiert seit 1984, ist Teil des linken Flügels von Rifondazione Comunista und zählt (für die ideologisch-organisatorischen Stammbaumforscher !) zur trotzkistischen Strömung um Ted Grant & Co. (d.h. der ehemaligen Führung der Militant Tendancy in der Labour Party bzw. des CWI). Wir bringen ihre Einschätzung hier allerdings nicht deshalb, sondern weil die Autoren die wunden Punkte der sogenannten “Bewegung der Bewegungen” sehr gut herausarbeiten und die Lösung in der richtigen Richtung suchen:


Wohin gehen die Sozialforen ?

Eine erste Bilanz nach der Versammlung von Florenz

Die nationale Versammlung der Sozialforen Ende Oktober <2001 /d.Ü.> zeigt deutlich alle die Dilemma, die sich der Antiglobalisierungsbewegung heute stellen. Trotz des Treffens hat sie keines der Probleme gelöst und nicht zufällig ist der Versuch einen neuen “Arbeitspakt” zu erreichen, beiseite geschoben worden. Doch das Treffen hatte den Vorzug die ablaufenden Prozesse klar und deutlich zu veranschaulichen.

Nach den Tagen von Genua hatten sich viele die Aufgabe gestellt die bis dahin vorherrschenden Konzeptionen des “zivilen Ungehorsams” auf kritische Weise neu zu überdenken. Dennoch ist jene anfängliche partielle Selbstkritik schnell begraben worden. Dasselbe Gericht wird unter einem neuen Namen serviert: “sozialer” anstatt “ziviler” Ungehorsam.

Die Bewegung befindet sich klar an einem Scheideweg, aber bei dem Mangel an politischer Klarheit tauchen die durch den Krieg beschleunigten zentrifugalen Kräfte auf.

Man sagt, daß man gegen den Krieg ist (was einen Ausgangspunkt darstellt), aber wie ihn stoppen ?  In der Arbeitsgruppe über “Krieg und Frieden” in Florenz hat man gegensätzliche Positionen bezüglich der Rolle der UNO gehabt, die zu schlichten nicht gelungen ist. Im Schlußdokument hat man an die verschiedenen Streiks außerkonföderaler Gewerkschaften <d.h. der linken Basisgewerkschaften CUB, RdB, COBAS etc. /d.Ü.> und der <zur CGIL gehörenden größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft /d.Ü.> FIOM erinnert, die stattgefunden hätten und “zu Vielen” haben sie einen großen Generalstreik gegen den Krieg gefordert.

Es taucht ein gemäßigter Sektor auf, der mit einem Bein bereits außerhalb des Sozialforums steht und von einer Reihe von katholischen Organisationen und von der <großen landesweiten linksliberalen bzw. sozialdemokratischen Kulturdachorganisation /d.Ü.> ARCI geführt wird. Der Bereich der “Ungehorsamen” (siehe den nebenstehenden Artikel <zur Kritik des Ungehorsamkeitskonzeptes bei den Giovani Comunisti /d.Ü.>) nimmt Struktur an und das Netzwerk für die globalen Rechte, das bereits in Genua in <von der offiziellen Bewegung teilweise /d.Ü.> unterscheidender Form präsent war, nimmt, überwiegend um die COBAS und einen Teil der centri sociali herum, Struktur an.

Diese Spaltungen haben verhindert, daß man zu einem gemeinsamen Aufruf zur Demonstration in Rom am 10.November gekommen ist. Ein Teil der Vereinigungen lehnte diese ab, weil er darin eine (seiner Ansicht nach negative) Gegenposition gegen die <Pro-Kriegs- /d.Ü.> Parade von Berlusconi sah.

Da man in diesen Strukturen selten abstimmt, ist die Lösung von <dem bisherigen offiziellen Sprecher des Genoa Social Forum /d.Ü.> Agnoletto vorgeschlagen worden: Die Demonstration sei ein “Vorschlag” des Sozialforums von Rom gewesen und jeder hätte selbst zu entscheiden, ob er sich dem anschließt oder nicht. Danach kann man dann auch dahin kommen zu sagen, daß die Bewegung geeint ist und daß “es sich nicht um einen Rabatt-Kompromiß gehandelt hat”. (Agnoletto in “il manifesto”). Der Zweifel daran bleibt mehr als legitim.

Alle stimmen dagegen bezüglich der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und der Ablehnung der Militärausgaben überein. Schade nur, daß die Regierungen ganz Europas (und der USA) mittlerweile den Weg der Berufsarmee eingeschlagen haben. Was den Steuerboykott anbelangt, so ist das ein Weg, der die Regierung kein bißchen berührt. (Wenn es dazu kommt, daß Gelder fehlen, wird sie die bestimmt nicht beim Militärhaushalt einsparen.) Und vor allem ist das eine rein individuelle Antwort, die sicherlich ein Zeugnis <der eigenen Überzeugung /d.Ü.> darstellen kann, aber das genaue Gegenteil eines kollektiven und organisierten Kampfes ist.

Welche Alternative zum Kapitalismus ?

Von Anfang an hat die Antiglobalisierungsbewegung stets die eigene Schwierigkeit anerkannt die Konzeption einer Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen, die deutlich alternativ zu jener ist, in der wir leben. Die verschiedenen “notwendigen Eigenschaften”, die nach und nach postuliert worden sind (gegen den Krieg, gegen den Neoliberalismus etc.), lassen diesen Aspekt immer im Schatten. Unter anderem muß man sagen, daß mit dem Näherkommen der Wirtschaftskrise der “Neoliberalismus” bereits aufgrund seines Namens in der Krise ist. Die Privatisierungen waren solange gut, wie es darum ging, die Profite zu privatisieren. Heute, wo es Bankrotte hagelt, sind bürgerliche Politiker und Ökonomen gern bereit, die Intervention des Staates zu fordern. Deshalb wir ihre Politik allerdings nicht fortschrittlicher und nicht weniger ungerecht.

Im Dokument der <Arbeits- /d.Ü.> “Gruppe Arbeit und Wirtschaft” von Florenz finden wir einen präzisen Vorschlag: “Wir beziehen uns auf die Frage einer nachhaltigen Wirtschaft (...): Es ist nämlich festgestellt worden, daß die Nachhaltigkeit tatsächlich im Widerspruch zur Idee einer Entwicklung ohne Grenzen steht und es ist vorgeschlagen worden, daß die industrialisierten Länder das <Wachstum des /d.Ü.> Bruttoinlandsprodukt<es> stoppen sollten, was ihnen die Möglichkeit einer Umverteilung der Mittel auf Weltebene erlauben würde.” (“Liberazione” 23.10.2001)

Hier bleibt einem wirklich der Mund offen. Die Lösung der Probleme liegt im Stoppen des Wirtschaftswachstums !!  Liebe Freunde und Genossen, steigt aus den Wolken herab und schaut Euch um ! Das Wachstum Null ist bereits da und in den kommenden Monaten werden wir alle die Auswirkungen sehen: Millionen von Arbeitsplätzen beseitigt, allgemeine Verarmung, erbarmungslose Konkurrenz (auch mit den entsprechenden Rückwirkungen auf die Umwelt), ungezügelter Druck auf die armen Länder, Kriege, Rassismus. Also alles andere als “Umverteilung der Mittel” !

Die bereits existierenden wirtschaftlichen und technologischen Ressourcen oder diejenigen, die sich auf dem Wege der Entwicklung befinden, könnten die wichtigsten Probleme, die die Menschheit quälen, leicht lösen und zwar gerade über eine schnelle Erhöhung der Arbeitsproduktivität und eine Anwendung der neuen Technologien auf breiter Ebene. Das Problem ist nicht die Wirtschaft zu “stoppen” (was im Übrigen ganz unmöglich ist), sondern wer diese Ressourcen kontrolliert und in wessen Interesse man die Produktion leiten soll. Mit anderen Worten, es ist die Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln.

Es würde zu lange dauern die Kritik dieser Auffassungen vollständig zu entwickeln und wir hoffen in Zukunft darauf zurückkommen zu können.

Die Vorstellungen, die dieser Vorschlag beinhaltet, sind:
Der Westen konsumiert “zuviel” (ohne zwischen Bourgeoisie und Werktätigen zu unterscheiden).
Der Modus, um das Problem der Armut in den unterentwickelten Ländern zu lösen ist es, die existierenden Mittel anders zu verteilen - “uns” etwas zu nehmen, um es “ihnen” zu geben.
Es ist notwendig die Großproduktion zu bekämpfen, um zur Kleinproduktion und zum Kleinhandel zurückzukehren.

Die Gesamtheit dieser Vorstellungen zeigt bis zu welchem Punkt die theoretische Arbeit, die sich in den Sozialforen oder zumindest in ihren gemäßigteren Bestandteilen entwickelt, tiefgreifend regressiv und unfähig ist, sich mit der Arbeiterbewegung zu verbinden. Es ist klar, daß, wenn es das Problem ist, weniger zu konsumieren, die Metallarbeiter einen Fehler machen, wenn sie für einen besseren nationalen Tarifvertrag kämpfen ebenso wie die Arbeiter von Alfa Romeo <in Mailand-Arese /d.Ü.> falsch liegen, wenn sie versuchen das zu retten, was von ihrer Fabrik übriggeblieben ist.

Die Zukunft der Sozialforen

Bis heute sind ungefähr 100 Sozialforen in Italien entstanden. Die letzten Monate zeigen jedoch, daß dieser Strukturierungsprozeß durchaus nicht homogen ist und seine Ergebnisse vor allem ganz andere sind als die von den verschiedenen Sprechern gewünschten.

Solange es ein klares und von allen geteiltes Ziel gibt, wie z.B. gegen die G8 zu protestieren oder z.T. die Demonstration in Rom am 10.November <2001 /d.Ü.>, dann es ist es relativ einfach eine Übereinkunft zu finden. Die Übereinkünfte sind in diesem Falle aber nur auf dem eng organisatorischen Gebiet (Busse und Sonderzüge organisieren, die Initiative propagieren etc.) wirksam gewesen. Kaum, daß politische Fragen auftauchen (die inhaltliche Plattform einer Demonstration, ihr Verhalten auf der piazza etc.), ist das Trennende vorherrschend und am Ende “beschließt man, nicht zu beschließen” und jeder handelt so wie er glaubt, daß es am besten ist - mit den entsprechenden Konsequenzen im Einzelfall (siehe Genua).

Wenn man hingegen versucht, zu einer größeren politischen, programmatischen, analytischen und die Vorschläge betreffenden Einheitlichkeit zu gelangen, dann passiert unvermeidlich das, was man in Florenz erlebt hat: Die Bewegung spaltet sich nach politischen Bereichen. Sagen wir es ganz offen: Das ist gut so, vor allem wenn dies den Schleier der (Wohl-)Anständigkeit beseitigt, wegen dem sich alle öffentlich umarmen und sich küssen und hinter den Kulissen jeder daran arbeitet die Position der Anderen zu untergraben.

Dennoch ist es gut zu sagen, daß diese Auseinandersetzung noch alles andere als transparent ist. Die Logik des kleinsten gemeinsamen Nenners, das versammlungsmäßige Führen der Debatte und die Strukturierung “in Netzwerken” tun in Wahrheit nichts anderes als denjenigen zu begünstigen, der bereits mehr organisatorisches Gewicht hat oder eben jene Einzelpersonen, die dieser Art von Aktivität ein beachtliches Maß an Zeit widmen können.

Die Sozialforen sammeln so - insbesondere auf nationaler Ebene und in den großen Städten - nichts anderes als eine minimale Fraktion jener Hunderttausenden von Jugendlichen und Werktätigen, die man in Genua gesehen hat und die in den letzten Monaten jedenfalls mit Interesse auf die Bewegung geschaut und an ihren Masseninitiativen teilgenommen haben. Während es wahr ist, daß die Sozialforen in vielen abgelegenen Gegenden lebendigere Realitäten bilden, die die von der organisatorischen und politischen Krise der historischen Organisationen der Linken hinterlassene Leere neu füllen und es allerdings auch wahr ist, daß der Kurs auf nationaler Ebene auf der Grundlage der Logik von Zwischengruppen vorgegeben wird, die wir beschrieben haben.

Also alles negativ ?  Durchaus nicht. Es geht hier nicht darum sich beiseite zu stellen und sich darauf zu beschränken das zu kritisieren, was in den Sozialforen geschieht. Heute wäre es ohne weiteres notwendig einen Bereich zu schaffen, in dem sich die verschiedenen Streitfragen vereinigen, die sich in der Gesellschaft entwickeln - insbesondere in einem Kontext, in dem die Gewerkschaftsspitzen und allgemein die Führungen der Linken alles, was möglich ist, dafür tun, um die verschiedenen Kämpfe getrennt zu halten, um zu verhindern, daß sie in einer wirklichen und wahrhaftigen sozialen Explosion zusammenfließen. Koordinationen oder Foren von gewerkschaftlichen, lokalen, Schüler- und Studentenorganisationen etc. könnten sicherlich eine positive Rolle bei der Vereinigung der Kämpfe und der Erhöhung des Niveaus spielen. Allerdings unter der Bedingung, daß ein anderer Weg als der bislang vorgeschlagene verfolgt wird und daß insbesondere für die Anwendung von Kriterien gekämpft wird, die:

NEIN zu einer vorgetäuschten Einstimmigkeit sagen und für eine klare Dialektik zwischen den verschiedenen existierenden Positionen eintreten.
Nicht darauf abzielen Organisationskürzel zu vereinigen, sondern echte Formen der Vertretung derjenigen Schichten zu entwickeln, an die wir uns wenden wollen: Koordinationen, die (wirklich und nicht nur formal) Sektoren von Werktätigen, Schülern und Studenten, Arbeitslosen etc. repräsentieren, indem sie jedem ein proportionales Gewicht entsprechend seiner realen Repräsentativität geben.
Das rein symbolische Terrain des “Ungehorsams” genauso ablehnen wie das Sich-Zurückziehen auf eine Logik von Seminaren und Mikrofragen und “realistische” Ziele, um sich <stattdessen /d.Ü.> systematisch auf die Arbeitsstätten zu orientieren und eine Rund-um-Arbeit zu entwickeln, um die Idee des Generalstreiks und der Vereinigung der Kämpfe, die bereits im Gange sind, in einer einzigen Bewegung gegen die Regierung, die padroni und den Krieg voranzubringen.

Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover