Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Nach dem Bombenanschlag auf die Wagenkolonne des ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri am 14.Februar 2005 in Beirut, bei dem dieser und neun weitere Menschen getötet wurden (darunter auch zwei ehemalige Minister), entstand im Libanon eine außerparlamentarische Bewegung für den sofortigen Abzug der im Lande stationierten syrischen Truppen und Neuwahlen. Implizites Ziel der Demonstrationen, die in diesem Rahmen nach dem Schema der Ukraine, Georgiens und später Kirgisiens organisiert wurden, war eine Annäherung an die USA und die Einfügung in ihre Weltordnung. Der ursprünglich saudische Geschäftsmann und Milliardär Hariri galt zumindest in der linken italienischen Presse seit langem als „libanesischer Berlusconi“. Die „Neue Zürcher Zeitung“ vom 15.2.2005 schrieb über ihn:

„Hariri neigte in den letzten Monaten der antisyrischen Opposition zu, zu deren Führer auch Jumblat und der maronitische Patriarch Sfeir gehören. Obwohl er seine Ablehnung der Politik der Beiruter Anhänger Syriens nie bis zur offenen Konfrontation trieb, war er im Hinblick auf die Parlamentswahlen im nächsten Frühling zu einer Galionsfigur der libanesischen Eigenständigkeit geworden. Die entsprechende politische Strömung hat sich in den letzten Wochen spürbar geeint und die klare Forderung vorgebracht, dass sich die syrischen Truppen und das damit verknüpfte Netz der Geheimdienste vor dem Urnengang völlig aus dem Zedernland zurückziehen müssten. Hariri hatte sich freilich im Oktober damit begnügt, vom Amt des Ministerpräsidenten zurückzutreten, weil er die nicht verfassungskonforme Verlängerung des Mandats für den prosyrischen Präsidenten Lahoud ablehnte und nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten wollte. Für die Wahlen plante er ein spektakuläres Comeback.“

 

Anders als beispielsweise in der Ukraine gab es im Libanon allerdings eine, von der Hisbollah im Bündnis mit anderen (laizistischen und teilweise auch christlichen) Kräften organisierte, Gegenmobilisierung, die die pro-westlichen Demonstrationen bei weitem übertraf und am 8.März 2005 bis zu einer Million Menschen in Beirut gegen die Einmischung der USA und Frankreichs, die UNO-Resolution 1559 sowie die Politik des benachbarten Israel (das weiterhin auch Teile Syriens und des Libanon besetzt hält) auf die Straße brachte. Zu dieser Demonstration erschien in der linken italienischen Tageszeitung „il manifesto“ am 9.3.2005 der folgende Kommentar:

 

LIBANON:

 

Der Faktor Nasrallah

 

STEFANO CHIARINI

 

Mehr als eine Million libanesischer Bürger ist gestern im Zentrum von Beirut auf die Straße gegangen, um lautstark ihr Nein zu Präsident Bush, Präsident Chirac und dem israelischen Ministerpräsidenten Sharon sowie allgemeiner gegen die Resolution 1559 kundzutun, die den Rückzug der syrischen Streitkräfte aus dem Libanon, das Ende der Exterritorialität der palästinensischen Flüchtlingslager sowie die Entwaffnung des schiitischen libanesischen Widerstandes der Hisbollah verlangt, ohne dass Israel sich von den syrischen Golan-Höhen, aus den besetzten Gebieten Palästinas und den libanesischen „Sheeba-Höfen“ zurückzieht. Mit anderen Worten, ein mehrheitlicher (aus Schiiten, aber auch aus Anderen bestehender) Teil der libanesischen Bevölkerung ist auf die Straße gegangen, um zur von der Bush-Administration betriebenen (und von den Europäern hingenommenen) Politik des Messens mit zweierlei Maß Nein zu sagen. Einer Bush-Administration, die von Syrien fordert, sich aus dem Libanon zurückzuziehen, Sharons Plan, große Teile der West Bank, Ost-Jerusalems und der besetzten syrischen Territorien zu annektieren, dagegen gut heißt; die den Irak-Krieg mit der (falschen) Präsenz von Massenvernichtungswaffen gerechtfertigt hat, es Israel aber erlaubt, Atomwaffen, chemische und bakteriologische Waffen zu besitzen; die von Demokratie spricht, während sie eines der wichtigsten arabischen Länder (den Irak) besetzt und dabei jedes mögliche politische und nationale Menschenrecht verletzt und die in Mesopotamien – als Grundlage der neuen Institutionen – sogar jenes ethnisch-konfessionelle Kriterium eingeführt hat, das von den Franzosen bereits in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts im Libanon eingeführt wurde und dann zu dem zerstörerischen Bürgerkrieg führte, der das Land von 1975 bis 1990 in Blut tränkte. Ein Messen mit zweierlei Maß, für das die Wahlen im Libanon solange nicht demokratisch sind, wie es in dem Land einen gewissen syrischen Einfluss gibt, während sie es im von den USA militärisch besetzten Irak oder im sich unter Sharons Panzerketten befindenden Palästina <durchaus> sind.

 

Die außerordentliche Beteiligung an der Demonstration von Beirut, vor allem der an der südlichen Peripherie gelegenen schiitischen Stadtviertel und des südlichen Landesteils, die entschlossen sind, ganz sicher nicht in die Jahre der sunnitischen und christlich-maronitisch-falangistischen Herrschaft und der vollständigen Ausgrenzung sowie dem Elend der schiitischen Gemeinde vor dem Bürgerkrieg zurückzukehren, sollte sich in den nächsten Tagen erneut in der nordlibanesischen, sunnitischen Stadt Tripolis und anschließend in Nabatiyeh zeigen. Die Massenmobilisierung für die besondere Verbindung des Libanons zu Syrien verfolgt auch und vor allem die Absicht, den US-amerikanischen Plan zurückzuweisen, das Land erneut zu destabilisieren und es wider in den Bürgerkrieg zu stürzen, um die Hisbollah zu treffen und die Palästinensern zu einer bedingungslosen Kapitulation sowie zum Verzicht auf ihre von den UNO-Resolutionen anerkannten Rechte zu zwingen.

 

Mit anderen Worten, die gestern auf dem Riad el Solh-Platz, dem symbolischen Ort des Bürgerkrieges zwischen dem Stadtzentrum und dem christlich-maronitischen Stadtviertel Ashrafieh versammelt war, wollte ihre Ablehnung der Politik des US-Imperiums kundtun, das die Absicht hat, dem Libanon und dem Mittleren Osten seinen Willen aufzuzwingen und das bis heute nichts anderes getan hat als neue Bürgerkriege, Fundamentalismen und blutige Kriege zu schüren und vor allem den Irak auf ethnischer und konfessioneller Grundlage zu zersetzen und ihn in vier Teile zu teilen (den kurdisch-amerikanischen, den turkmenisch-türkischen, den sunnitischen und den schiitischen), um sein Erdöl besser kontrollieren und den verschiedenen Enklaven einen separaten Friedensvertrag mit Israel aufzwingen zu können. Ein Projekt, das es nun erneut auf den Libanon und auf Syrien ausdehnen möchte. Die Million Menschen, die in Beirut auf die Straße gegangen ist, wollte Nein sagen zum amerikanisch-israelischen Projekt des Durchtrennens der historischen Verbindungen zwischen dem Libanon und Syrien (die vor der kolonialen Teilung eine einzige Einheit waren), um aus dem Libanon ein westliches Protektorat zu machen und ihn zur Unterzeichnung eines separaten Friedensvertrages mit Israel (wie dem von 1983 <mit Ägypten>) und vor allem zum Verzicht auf den „arabischen“ Charakter des Landes der Zedern zu nötigen.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover