Gewerkschaftsforum Hannover:
Die Großrazzia gegen revolutionäre Linke in
Norditalien, die in Gewerkschaften und den selbst verwalteten Centri Sociali
(Sozialen Zentren) aktiv und verankert sind, am 12.Februar 2007, bei der mehr
als 80 Häuser und Wohnungen durchsucht wurden, führte zu einer massiven und
noch immer anhaltenden, Kampagne der bürgerlichen Medien gegen linksradikale Centri Sociali und
unbequeme, weil konfliktbereite, Teile der italienischen Gewerkschaftsbewegung.
Daran ändert sich auch jetzt nichts, wo die Zahl der Beschuldigten gegen die
ermittelt wird, von der Staatsanwaltschaft offiziell auf 19 reduziert wurde,
von denen 15 im Gefängnis sitzen („l’Unità“
17.2.2007). Diese Zahl ist allerdings genauso fragwürdig wie der Großteil der
Anschuldigungen. Erscheint sie doch mehr als das ermittlungstaktische Dementi einer
Enthüllung der linken Tageszeitung „il
manifesto“ vom 16.2.2007, die unter Berufung auf die Ermittlungsakten
verkündete: „In den Ermittlungen der
Mailänder Staatsanwaltschaft gegen die Gruppe, die spätestens seit 2001
versucht habe, eine neue, militärische Kommunistische Partei auf die Beine zu
stellen, gibt es weitere 20 Arbeiter. Und 10 von ihnen seien Fabrikdelegierte
aus der Provinz Mailand. Einige von ihnen mit höheren politischen Ämtern in
einer wichtigen Gewerkschaft.“
Es gab allerdings auch einzelne interessante
und nachdenkliche Stimmen im bürgerlichen Lager. Dazu zählt insbesondere der
Leitartikel aus der FIAT-eigenen Tageszeitung „La
Stampa“ vom 14.2.2007.
Darin wird der – auch in relevanten Teilen der Linken – sehr beliebten Theorie
vom „Ende der Fabrik und der Industriegesellschaft“ eine deutliche Abfuhr
erteilt, auch wenn sich das Organ der Agnelli-Familie noch nicht zur formalen
Anerkennung der Existenz einer Arbeiterklasse durchringen kann. Es wird jedoch
sichtbar, dass die zentralen Bereiche der italienischen Bourgeoisie (deren Kern
die Agnellis sind) das Interesse an der Sozialpartnerschaft noch lange nicht
verloren haben. Nur deren Gestalt und „Komfort“ soll sich verändern. Dazu
greift der Leitartikler Giuseppe Berta dann auch gern einen Begriff auf, den Subcommandante Marcos und die Zapatisten
Mitte der 90er Jahre lancierten und der heute von der „Anti“-,
Verzeihung, „Alternativ-Globalisierungsbewegung“
und den Gewerkschaften (FIOM + CGIL in Italien,
Ver.di, IG Metall + DGB in Deutschland…) zum
Ziel erklärt wird: den Begriff „Würde“. Oder anders gesagt: die „würdevolle“
Ausbeutung als neuer gesellschaftspolitischer Perspektive.
Editorial:
Die Fabrik und ihr Gegenteil
GIUSEPPE BERTA
Auch der
Terrorismus wollte sein Siegel unter die Wiederentdeckung der Fabrik setzen,
die in der italienischen Gesellschaft stattfindet. Die Ermittlungen, die die
Existenz eines Kerns der Subversion ans Licht brachten, der sich auf der Suche
nach einer Verankerung in den Arbeitsstätten befand, hat den Effekt, dass er
zeigt wie die Industrie und die Orte des produzierenden Gewerbes, über die
jahrelang ein Mantel der Undurchsichtigkeit und des Schweigens gelegt wurde,
erneut die kollektive Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Während es beunruhigend
ist, dass die Strukturen und Basisgliederungen der Gewerkschaft erneut von den
Terroristen als ein Kanal für ihre Aktionen benutzt werden können, fällt auf,
dass die Fabrik wieder als Ort eines antagonistischen Widerspruchs ausgemacht
wird. Die Ziele, die die neuen Brigadisten ins Visier
nehmen, sind Symbole der politischen und medialen Macht oder Arbeitsrechtler,
die sich für Transformationen des Arbeitsmarktes ausgesprochen haben. Die
terroristische Organisation scheint sich allerdings erneut in der Industrie
verwurzeln zu wollen.
Doch die
Industrie und ihr soziales Universum wurden für einen nicht gerade kurzen
Zeitraum aus der herausgehobenen Stellung verdrängt, die sie seit Kriegsende im
Leben des Landes innehatten. Vor kurzem sprach man sogar vor allem vom „industriellen
Niedergang“ als dem charakterisierenden Phänomen unserer Epoche und vom
Verschwinden der „Blaumänner“ von der gesellschaftlichen Bühne. So als
ob die Zukunft, der wir entgegen gehen, ausschließlich von einem unbegrenzten
Expansionsprozess des tertiären Sektors beherrscht würde, der in der Lage sei
alles zu vereinheitlichen.
Die
Industriearbeit und die Fabrik wurden als Restdimensionen betrachtet, die dazu
verdammt seien, nicht nur vom quantitativen Gesichtspunkt aus, sondern auch im
Hinblick auf ihre öffentliche Präsenz an Umfang zu verlieren. Wer erinnert sich
nicht an die Diagnosen, die bezüglich des Schicksals von Turin-Mirafiori
verfasst wurden, der Symbol-Fabrik der italienischen Industrialisierung, der
die bevorstehende Schließung prognostiziert wurde? Und wurde vielleicht nicht
andererseits gesagt, dass die Arbeiter ihre kollektive Identität endgültig
verloren hätten? Eine jüngst angefertigte soziologische Untersuchung
signalisierte, in der dem Zeitgeist entsprechenden Wahrnehmung, dass sich die
Situation der Industriearbeiter zunehmend mit der Lage der neuen „Unterschichten“
(„ceti popolari“)
vermischen würde, d.h. den benachteiligtsten
Schichten der Bevölkerung. Im Laufe des letzten Jahres hat sich etwas geändert.
Die wirtschaftlichen Indikatoren offenbarten, dass sich die Produktion und der
Export im Aufschwung befinden.
In der
allgemeinen Meinung hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass in einem Land
wie Italien, in dem der Anteil der Handarbeiter höher ist und die Beschäftigten
des produzierenden Gewerbes einen bedeutenden Prozentsatz der Erwerbstätigen darstellen,
die – in ihrer Organisation und in ihrer Ordnung erneuerte – Industrie weiterhin
eine bedeutende Rolle spielen muss. Und es gibt – allgemeiner gesagt –
Anzeichen für ein Interesse an den die Arbeit, ihre Qualität und ihre
Entlohnung betreffenden Veränderungen.
Auf diesen
Aufschwung der Industrie kann man auf zwei Arten reagieren. Eine davon stellen
in paradoxer und perverser Form die Terroristen dar, die von der Wiederbelebung
einer frontalen Auseinandersetzung träumen, die im Namen und auf Rechnung einer
Arbeiterklasse geführt werden sollen, die allenfalls noch als politischer
Mythos existiert. Die andere, kohärente und konstruktive Art besteht darin der
in der Industrie geleisteten Arbeit wieder Würde und soziale Beachtung zuteil
werden zu lassen und dabei Schritt für Schritt ihre Transformation zu
verfolgen.
Das
impliziert zuallererst ein neues System industrieller Beziehungen, mit einer
Tarifpolitik, die einerseits in der Lage ist mit den Innovationen innerhalb der
Unternehmen zu korrespondieren und andererseits die Produktivitätszuwächse mit
der Lohnentwicklung verbindet. Für das gewerkschaftliche Handeln gibt es einen
potentiellen Raum, der besetzt werden kann und alles andere als unbedeutend ist
(wie die Terroristen begriffen haben), wenn sie sich entschließt, sich nicht
nur in der Arena der Wirtschafts- und Finanzpolitik und der Beziehungen zur
Regierung zu engagieren, sondern auch in der Sphäre der Produktion, die für
ihre Perspektiven nicht weniger entscheidend ist. In der Geschichte der
italienischen Gewerkschaft hat es diverse Male eine Rückkehr in die Fabrik
gegeben. Heute könnte sie die Gelegenheit erhalten, eine Kultur zu entwickeln,
die in der Lage ist die ökonomische Veränderung zu begleiten und dabei deren
soziale Kosten zu reduzieren.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover