Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Der
24stündige italienische Eisenbahnerstreik, der von Sonntag, den 16.1. (21 Uhr)
bis Montag, den 17.1.05 (21 Uhr) dauerte, war ein selbstorganisierter Streiks
neuen Typs. Zum ersten Mal spielten in ihm die gewählten
Arbeitssicherheitsvertreter der Eisenbahner (RLS) die Hauptrolle und zwar
weitgehend über die Organisationsgrenzen hinweg. Über die Vorgeschichte dieses
Streiks, d.h. das verheerende Zugunglück am 7. Januar bei Crevalcore, nahe
Bologna mit 17 Toten und 80 Verletzten und die zahnlose Reaktion aller großen
Gewerkschaften (auch der aus der Basisgewerkschaftsbewegung kommenden ORSA)
haben wir bereits in der Vorbemerkung zu dem Interview mit Bruno Salustri alles
Wesentliche gesagt. Daher sei hier nur hinzugefügt, dass die Vorstände von CGIL,
CISL, UIL und ORSA zwar den Erfolg dieses Basisstreiks herunterzureden
versuchten, im Folgenden aufgrund der Unruhe an eben jener Basis allerdings
gezwungen waren, bereits zwei Tage später (am 19.Januar) in einer gemeinsamen
Erklärung einen ebenfalls 24stündigen Streik für den 10./11.Februar
anzukündigen, um solche „angekündigten Katastrophen“ wie bei Crevalcore in
Zukunft zu verhindern. Zuvor hatten sie jede Entscheidung über eine
Streikaktion immer auf eine gemeinsame Delegiertenversammlung am 27.Januar
vertagt und waren – wenn überhaupt – nur zu einem 8stündigen Streik bereit. Die
Übersetzung dieses gemeinsamen Statements gibt es (zusammen mit einem Bericht
über diese Arbeitsniederlegung) in Kürze. Hier jedoch zunächst einmal der
Artikel zum Basisstreik aus der unabhängigen linken Tageszeitung „il
manifesto“ vom 18.1.2005:
Der große Tag der Eisenbahner
Der Streik ist gelungen und hat
selbst „die rosigsten Erwartungen übertroffen“. Zum ersten Mal hat sich der
Protest über alle Gewerkschaften hinweggesetzt. Volle Unterstützung von Seiten
des Verbraucherverbandes.
FRANCESCO PICCIONI
Der erste spontane Streik
seit dem 2.Weltkrieg. Der erste, in dem kein Lohn oder kürzere Arbeitszeit
gefordert wurde, sondern Sofortmaßnahmen, um die Sicherheit der Beschäftigten
und der Fahrgäste zu erhöhen. Der erste, an dem fast alle Gewerkschaften eine
Beteiligung ablehnten, auch wenn sie ihn in den offiziellen Stellungnahmen
nicht „delegitimierten“. Der erste, dem nicht die „Rechte des Kunden“
entgegengesetzt wurden, sondern einer bei dem sich Konsumentenverbände (wie die
Intesa) sogar auf die Seite der Beschäftigten und hinter ihre Forderungen
stellten. Und es war der erste, den die sogenannte „Garantiekommission“ nicht
verhindern, verschieben oder begrenzen konnte. Die Tragödie von Crevalcore,
sagt Dante De Angelis (der zu den Unterzeichnern des Streikaufrufes gehört),
„hat die Geschichte der italienischen Eisenbahn verändert“. Und der Streik ist
gelungen. Um die Beteiligungszahlen gibt es einen noch heftigeren „Krieg“ als
üblich. <Das Unternehmen> Trenitalia sprach am Morgen von armseligen 14%
Streikenden und listete die Anzahl der verkehrenden Züge auf (die der <erzwungenen> „Mindestdienste“). Eine Mitteilung der <größten Branchengewerkschaft> FILT-CGIL war noch sparsamer und zählte gerademal
10%. Auf der anderen Seite sprachen die (gewählten) Arbeitssicherheitsvertreter
(RLS) offen von 90% des fahrenden Personals (das täglich größeren Gefahren
ausgesetzt ist), mit punktuell 100% in einigen Regionen und 50% in den
Bahnhöfen. Wie immer berücksichtigen die Zahlen von Trenitalia die Tatsache
nicht, dass „die Mindestdienste zu garantieren“ in einigen Fällen bedeutet,
fast 60% des Personals zum Dienst zu verpflichten. Roberto Paganini von der <korporativen Autonomen
Lokführergewerkschaft> SMA (einer
Gewerkschaft, die nicht zu den Initiatoren des Streiks gehörte) erläutert den
‚Mechanismus’: „Das Dienstpersonal in den geschützten Zeiträumen war de facto
dienstverpflichtet worden. 70% hatten dem Unternehmen einen Brief geschickt, in
dem sie ihre Absicht mitteilten, sich an dem Streik zu beteiligen und erhielten
den Befehl, sich nichtsdestotrotz zur Arbeit einzufinden. Jene verbleibenden
30% haben es nur vorgezogen gar nicht erst Papier und Stift zur Hand zu
nehmen.“
Der alte Führer der
Lokführer, Ezio Gallori, der sich heute in Rente befindet, kann mit Freude
verkünden, dass „es besser gelaufen ist als alle erwartet haben. Es wurden mehr
Züge lahmgelegt als veranschlagt.“ Ihm objektiv Recht geben die „offiziellen“
Meldungen, die von großen Unannehmlichkeiten in Sizilien sprechen oder auch die
E-Mails einiger Pendler, wie dieser: „Auf der Strecke Cassino-Rom verkehrte
heute morgen in dem viel gerühmten geschützten Zeitraum nur ein Zug in Richtung
Rom. Aber auch der brach seine Fahrt in Höhe Ciampino ab.“ In jedem Fall war
die Unzufriedenheit gering. Es hatte dieses Mal die Vorabinformation gegeben
und Viele vermieden es sich auf die Reise zu begeben. Hoch war auch das
Verständnis für die Begründung dieses so anderen Streiks (siehe das
untenstehende Interview). Wie schon lange nicht mehr hagelte es
Unterstützungserklärungen berühmter Persönlichkeiten, wie Franca Rame, Dario Fo
und Beppe Grillo. Auch der wegen seiner Studie über die Rolle der Eisenbahner
in den Ursprüngen der Gewerkschaftsbewegung bekannte Soziologe Enrico Finzi hat
beobachtet, dass „die Leute auf ihrer Seite sind“ und von einem „großen Fehler“
gesprochen, den die Gewerkschaften in diesem Fall begangen hätten. „Die
Gewerkschaftsbewegung ist voller korporativer Egoismen. Dies aber ist ein ziviler
Selbstverteidigungskampf, aber auch ein Kampf zur Verteidigung der Bevölkerung.
Schade, er hätte es verdient gehabt, im Konsens stattzufinden, weil diese Dinge
dazu dienen können, einer Gewerkschaft neue Zustimmung zu verschaffen, die sich
sehr geschwächt hat.“
Und auch das Verhältnis von
Beschäftigten, Gewerkschaften und Unternehmen wird durch diesen Tag
gekennzeichnet sein. CGIL, CISL, UIL, SMA und ORSA haben für den 27.Januar in
Rom eine Versammlung von „Delegierten und Kadern“ angesetzt. Dort sollten
Aktionen beschlossen werden (im Augenblick ein 8stündiger Streik). Zuvor, am
Freitag, den 21.Januar wird es eine Versammlung der Koordination der
RLS-Delegierten geben, den Protagonisten des gestrigen Tages, wiederum in
Bologna, in dem Silver Sirotti (dem beim Massaker <d.h. dem mit
Geheimdienstunterstützung verübten neofaschistischen Bombenanschlag> auf den Italicus-Zug im Jahre 1974 getöteten
Eisenbahner) gewidmeten Saal des Bahnhofes. Hier wird eine Einschätzung dieses
<Streik->Tages vorgenommen werden, die mit Sicherheit den Anspruch der
Eisenbahner bestätigt, „in den Auseinandersetzungen (der Kommissionen von
Abgeordnetenkammer und Senat, den Treffen mit dem Unternehmen etc.) über die
Fragen der Sicherheit ein aktiver Teil zu sein“. Die politische Welt hat in
fast surrealer Weise geschwiegen und zwar auf beiden „Polen“. Die einzigen
Erklärungen (Unterstützungserklärungen natürlich) kamen von Exponenten der
radikalen Linken. Und doch sind die Gründe für den Protest klar und verlangen
Sofortmaßnahmen, d.h. „Regierungsfähigkeit“.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover