Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die (dem
Gewerkschaftsbund CGIL angehörende) FIOM ist die größte italienische
Metallarbeitergewerkschaft. Mit offiziell 350.000 Mitgliedern liegt sie weit
vor der FIM-CISL (offiziell 180.000 Mitglieder) und der UILM (90.000). Ihre
Bedeutung hängt außer mit der strategischen Rolle des Metallsektors im
Produktionsprozess auch damit zusammen, dass sie im Spektrum der etablierten
Gewerkschaften Italiens den Kern des linken Flügels darstellt. So war sie auch
die erste der etablierten Gewerkschaften, die sich an der entstehenden
Antiglobalisierungsbewegung beteiligte und dabei das Bündnis mit den linken
Basisgewerkschaften (CUB, COBAS) und den linksradikalen Tute Bianche (später
Disobbedienti / Ungehorsamen) nicht scheute. Nachdem man sich auf dem
Europäischen Sozialforum vom 15. bis 17.10.2004 in London darauf geeinigt hatte,
den Kampf gegen die Bolkestein-Richtlinie der EU und ähnliche Dekrete zu
intensivieren, gab das oberste Führungsgremium der FIOM am 27.Oktober
2004 zu diesem Themenkomplex die folgende, u.a. auf ihrer Homepage (www.fiom.cgil.it) veröffentlichte, Erklärung
heraus:
Mitteilung
des Nationalen FIOM-Sekretariats:
Das Nationale Sekretariat der FIOM
fordert den Stopp der neuen Arbeitszeitrichtlinie sowie der
„Bolkestein-Richtlinie“ der Europäischen Union
Zwei Richtlinien der
Europäischen Union, die gegenwärtig in der Diskussion sind, können für die
Rechte der Werktätigen und die gewerkschaftlichen Tarifverhandlungen enorme
Schäden hervorrufen. Die Revision der Arbeitszeitrichtlinie verschlechtert
Regelungen noch weiter, die in punkto Arbeitszeit <bereits> zu einer Ausweitung der wilden Flexibilisierung
geführt haben. Die Flexibilität einer 48 Stunden-Woche würde dadurch auf das
ganze Jahr ausgedehnt. Es würde die Möglichkeit individueller Abweichungen bis
hin zu einer Wochenarbeitszeit von 65 Stunden geschaffen. Die Situation der auf
Abruf Arbeitenden und derjenigen, die keine festgelegte Arbeitszeit haben,
würde weiter verschlechtert. Die neue Arbeitszeitrichtlinie ist daher
unakzeptabel. Sie zerstört die nationalen Tarifverträge und schafft den
Spielraum für die absolute Willkür bei den Wochenarbeitszeiten bzw. für ihre
totale Individualisierung. Diese Richtlinie muss daher radikal in Frage
gestellt werden und die FIOM fordert alle politischen Kräfte auf, aktiv zu
werden, damit nicht grundlegende Rechte der Werktätigen zur Diskussion gestellt
werden.
Das Nationale Sekretariat
der FIOM beteiligt sich sodann mit Überzeugung an der im Zuge des Londoner
Sozialforums gestarteten Kampagne zum Stopp der „BOLKESTEIN-RICHTLINIE“ der
Europäischen Union. Diese von der Europäischen Kommission am 13.Januar 2004
verabschiedete Richtlinie wird beginnend mit der Sitzung des Europa-Parlaments
am 11.November diskutiert und ihren Weg durch die zuständigen Gremien
wahrscheinlich im Frühjahr 2005 abschließen.
Das Gravierende an dieser
Richtlinie ist, dass sie die Prinzipien von Solidarität und Gleichheit sowie
der Ausdehnung der sozialen und Arbeitsrechte aushebelt, die die Grundlage der
Union sein sollten und die für viele Verfassungen (diejenige der Italienischen
Republik eingeschlossen) fundamental sind. Die Richtlinie bejaht, im Namen der
Ausweitung des freien Marktes und der freien Konkurrenz, das Prinzip der
wildesten Konkurrenz auf der Ebene der Dienstleistungen, der wirtschaftlichen
Aktivitäten und der Arbeitsverhältnisse. Die unakzeptablen Punkte der Direktive
sind zahlreich, der schwerwiegendste liegt im Artikel 16, der sich auf das
Prinzip des Ursprungslandes bezieht Diesem neuen Prinzip zufolge ist ein
Anbieter von Dienstleistungen ausschließlich dem Gesetz des Landes unterworfen,
in dem das Unternehmen seinen Sitz hat und nicht dem des Landes, in dem er die
Dienstleistung erbringt. Ein Unternehmen kann die Arbeitskräfte einstellen und
sie dann in einen anderen Staat schicken, dabei aber Gesetze, Tarifverträge,
Sicherheits- und Kontrollnormen des Ursprungslandes beibehalten. So lässt sich
ein gigantisches, perfekt legalisiertes, europäisches caporalato <siehe Anmerkung 1> verwirklichen, bei dem die Arbeitskräfte in den Ländern
mit niedrigen Löhnen und weniger Rechten eingestellt werden und dann verschickt
werden, um in den Ländern zu arbeiten, in denen die Arbeitsbedingungen besser
sind, ohne dass dies irgendeine Veränderung ihrer Situation bewirkt. Es ist
klar, dass auf diesem Wege die Tarifverträge, die gesetzlichen und
Sicherheitsnormen ausgehebelt werden und ein Mechanismus wilder Konkurrenz
zwischen Unternehmen und Werktätigen geschaffen wird, der zum Abbau der
sozialen Rechte in Europa führt.
Die FIOM hält die Streichung
dieser Richtlinie für notwendig und fordert die sozialen Bewegungen und alle
politischen Kräfte auf, dafür zu sorgen, dass ein Thema von dieser Tragweite
nicht von den Institutionen in Angriff genommen und dabei ein Großteil der
öffentlichen Meinung im Dunkeln gehalten wird.
Die FIOM verpflichtet alle
ihre Organisationen sich an der Mobilisierungskampagne zu beteiligen, um die
ARBEITSZEITRICHTLINIE UND DIE „BOLKESTEIN-RICHTLINIE“ bekannt zu machen und zu
stoppen und um jene Prinzipien sozialer Solidarität und der Gleichheit der
Rechte zu behaupten, die dem gemeinschaftlichen Europa zugrunde liegen müssen.
Rom, 27.Oktober 2004
Anmerkung
1:
Caporalato bedeutet direkt übersetzt:
„Gefreitentum“ (von „Caporale“ = Gefreiter). Sinngemäß handelt es sich
um eine Form der Vermittlung von Arbeitskräften mit mafiösen Zügen, die
insbesondere in der Landwirtschaft Süditaliens aber auch in der Bauindustrie
bis heute verbreitet ist, wobei der Arbeitskräfteverleiher (im Deutschen auch:
„Sklavenhändler) hier als Caporale firmiert. Durch das Gesetz Nr. 1369
aus dem Jahr 1960 wurde die wilde und parasitäre Form der
Arbeitskräfteüberlassung unter Strafe gestellt, bei der die Arbeiterinnen und
Arbeiter in der Regel schwarz beschäftigt wurden, einen erheblichen
„Vermittlungsobolus“ zahlen mussten und ihnen zustehende Rechte vorenthalten
wurden. An die Stelle dieses Gesetzes trat im Jahre 2003 das Gesetz Nr.30 bzw.
„Biagi-Gesetz“ (benannt nach dem von den neuen Roten Brigaden erschossenen
Arbeitsrechtler und Co-Autor dieses Gesetzes). Darin wird die
Arbeitnehmerüberlassung / Leiharbeit in verschiedenen Formen wieder
ausgeweitet. Für ausführlichere Informationen siehe den Artikel „Caporalato
vecchio e nuovo“ (Altes und neues Caporalato) unter www.ancl.it/ANCLINST/MILO_3_S.htm
Vorbemerkung,
Übersetzung aus dem Italienischen, Anmerkung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover