Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Zur sich zuspitzenden Krise des FIAT-Konzerns (nach wie vor das größte
Privatunternehmen Italiens mit 160 000 Beschäftigten) gab der neugewählte
Generalsekretär der wichtigsten italienischen Metallarbeitergewerkschaft
FIOM-CGIL, Gianni Rinaldini, der linksunabhängigen Tageszeitung “il
manifesto” das folgende Interview, das am 28. Mai 2002 erschien.
“Wir werden die liquidatorischen
Entscheidungen von FIAT nicht erdulden.”
Interview mit dem Sekretär der FIOM, Gianni
Rinaldini. Einheitlicher 4stündiger Streik im ganzen Konzern.
Loris Campetti - Rom
“Die Geschwindigkeit, mit der sich der Gesundheitszustand von FIAT verschlechtert,
beunruhigt mich zusammen mit dem fortwährenden Zirkulieren von Falschmeldungen
über den <angeblichen> Tod von <FIAT-Haupteigentümer und
-Ehrenpräsident> Gianni Agnelli sehr. Sie haben gesagt, daß
die FIOM übertrieben pessimistische Zahlen verbreitet hätte (die
allein in Turin und Umgebung 12 000 verloren gehende Arbeitsplätze voraussehen).
Ich befürchte dagegen noch schlimmere Überraschungen angesichts
des Abgleitens der Krise und ihrer Steuerung in die Hände der Finanz
und der Spekulation.”
Die erste Klippe, der sich Gianni Rinaldini zu Beginn seiner Navigation auf
der Kommandobrücke der FIOM gegenübersieht, gehört zu den
gefährlichsten. Auf dem Schiff befinden sich nicht nur die FIOM und
ihre Aktivisten, sondern Zehntausende von Arbeitern. Weil das viele Geschwätz
von “Wir sitzen alle im selben Boot” nicht dafür sorgen kann, daß
der Sinn für die Realität verloren geht. Das Schicksal des Reeders
und des Ruderers sind sich niemals ähnlich. Wenn das Boot sinkt, dann
ist der Reeder niemals an Bord und die Offiziere haben fast immer eine Rettungsschaluppe.
Gestern haben die nationalen Sekretariate der <italienischen Metallarbeitergewerkschaften>
FIM, FIOM, UIL und FISMIC am Ende einer schwierigen Versammlung ihre “Besorgnis
wegen der Situation des gesamten FIAT-Konzerns” geäußert und fordern,
daß im Mittelpunkt der Initiativen zur Eindämmung der Krise die
Verteidigung der Produktion und der Beschäftigung in der italienischen
Automobilindustrie steht. FIAT verweigert weiterhin den Beginn echter, bei
einer industriellen Planung beginnender, Verhandlungen und daher ist die
Erklärung eines 4stündigen Streikes innerhalb der ersten Juni-Dekade
das Minimum dessen, was FIM, FIOM, UILM und FISMIC beschließen konnten
und beschlossen haben. Das ist wirklich das Mindeste, wenn der Zustand der
Krise der ist, den wir auf diesen Seiten wiedergeben und der mittlerweile
allen bekannt ist. Wir haben den Generalsekretär der FIOM, Gianni Rinaldini,
am Ende der gemeinsamen Versammlung <der Gewerkschaftsführungen>
nach seiner Meinung gefragt.
Mit welchen Instrumenten können die Gewerkschaften Einfluß
auf die Lösungen nehmen, die gefunden werden - wenn sie denn gefunden
werden -, um FIAT zu retten ? (Und zwar FIAT verstanden als Gemeinschaft
von 200 000 Arbeitern und als italienische Automobilindustrie.)
“Indem die Kampfinitiative neu lanciert wird, die dem 2stündigen Streik
vom Freitag Kontinuität verleiht, um eine echte Verhandlung über
die Steuerung der Krise zu erreichen. Natürlich muß FIAT, damit
das möglich ist, sofort eine industrielle Planung vorlegen, um die Automobilproduktion
neu zu lancieren. Es ist ein Kontinuitätsbruch gegenüber den Entscheidungen
des Unternehmens in den letzten Jahren notwendig, in denen nicht an das Auto
geglaubt und nicht in das Auto investiert worden ist und zwar in dem Sinne,
daß man nicht mit einem Sektor gerechnet hat, der sich in tiefer Transformation
befindet. Auch die Nachfrage verändert sich und verlangt Forschung und
Investitionen für ein neues ökokompatibles Produkt. Für einen
derartigen Weg braucht es natürlich Ressourcen.”
Und wo müssen diese Ressourcen gesucht werden ? Beim Staat
? Ist es nicht so, daß wir wegen der Verschrottung wieder die
x’te Prozession zur Regierung veranstalten werden ?
“Die Rolle des Staates betrifft die industriepolitischen Entscheidungen,
die dieses Land sich vornimmt und meines Erachtens müßte es gerade
die Forschung fördern, um uns mit einer neuen Generation ökologischer
Autos wieder auf dem Markt aufzustellen. Aber auch die Regierung müßte
von FIAT eine industrielle Planung verlangen, um zu erfahren, worauf sie
hinaus will und wenn es stimmt, daß die FIAT-Entscheidungen auf eine
Einstellung des Engagements <in diesem Bereich> abzielen, wäre
es die Aufgabe aller, diese Entscheidungen zu verhindern. Ich denke gewiß
nicht an die Verschrottung <der derzeit benutzten PKW’s und finanzielle
staatliche Anreize zum Neukauf !>, die keine industriepolitische Entscheidung
ist und die außerdem, wie in der Vergangenheit der italienischen Automobilindustrie
wegen der Verspätungen und der Fehlentscheidungen, die die Krise hervorgerufen
haben, nicht helfen würde.”
FIAT besteht darauf: Um Kasse zu machen, werden wir Sektoren, die mit
der Autoindustrie verbunden sind (wie Magneti Marelli, Comau und Teksid),
verkaufen.
“Gerade die bis gestern von FIAT als strategisch betrachteten Sektoren. Dies
bestätigt unseren Eindruck bezüglich der liquidatorischen Absicht
von Turin-Lingotto <wo der FIAT-Vorstand residiert>.”
Ihr habt einen 4stündigen Streik im ganzen Konzern und für den
11.Juni eine einheitliche Versammlung der FIM-, FIOM-, UILM- und FISMIC-Strukturen
beschlossen. Aber glaubst Du nicht, daß die Beschleunigung der Krise
anspruchsvollere Initiativen erfordern würde ?
“Am Donnerstag wird die FIOM alle ihre RSU-Delegierten zu einer Versammlung
mit Sergio Cofferati zusammenrufen, die für uns sehr wichtig ist. Und
die Anwesenheit des Generalsekretärs der CGIL zeigt unsere Absicht die
Auseinandersetzung bei FIAT in eine nationale Auseinandersetzung zu verwandeln,
die das Problem der italienischen Industriepolitik angeht.”
Vorbemerkung, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover