Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Der nach
wie vor größte und bedeutendste Industriekonzern Italiens – FIAT – befindet
sich weiterhin in einer tiefen Krise und die Zukunftaussichten sind alles
andere als erfreulich, zumal General Motors die vor einigen Jahren vereinbarte
vollständige Übernahme der FIAT Auto SpA offensichtlich nicht mehr vollziehen,
sondern seinen 20%igen Anteil an ihr möglichst
wieder veräußern will. Eine natürlich auch für die FIAT-Beschäftigten
und die Metallarbeitergewerkschaften des Landes entscheidende Frage, zu der der
Generalsekretär der mit Abstand größten Branchengewerkschaft, FIOM-CGIL, Gianni
Rinaldini, am Vorabend eines (von der Beteiligung her gelungenen) Streiks aller
drei großen Metallergewerkschaften in einem Interview für die linke
Tageszeitung „il manifesto“ vom 4.11.2004 Stellung bezog.
Allerdings erst, nachdem ihn Loris Campetti zu seiner Bewertung des Ergebnisses
der Wahlen in den USA befragt hatte.
Interview:
Die italienische Automobilindustrie
? Die kann nur der Staat retten.
Der Sekretär
der FIOM, Gianni Rinaldini, erklärt den Streik bei FIAT. Die Automobilindustrie
ist der letzte italienische Industriesektor. Hinter dem Ergebnis der US-Wahlen
steht für den Gewerkschaftsführer der Kriegseffekt, der Angst und Unsicherheit
produziert und den „starken Mann“ belohnt.
Ein
nationaler Einsatz. Für Rinaldini ist die Idee derjenigen, die an eine auf
Dienstleistungen und Tourismus basierende Zukunft denken und die
Fabrikproduktion liquidieren <wollen>, eine falsche und selbstmörderische
Idee. Nur eine öffentliche Intervention kann die Mittel liefern, um FIAT Rolle
und Konkurrenzfähigkeit zurückzugeben.
Loris Campetti
„Die Zukunft des
italienischen Automobilsektors ist für alle ein entscheidender Punkt – für
Gewerkschaften, Unternehmen, politische Kräfte und Regierung.“ Der
Generalsekretär der FIOM sieht schwarz. Und das nicht nur, wenn er das
Abdriften der FIAT-Krise betrachtet. Es ist das gesamte industrielle System,
für das viel auf dem Spiel steht. Die Idee, die auch in der Mitte-Linken
Anhänger findet, der zufolge unser Land auf Dienstleistungen und Tourismus
setzen und sich von der Fabrikproduktion befreien sollte, „ist ein Blödsinn“,
sagt Gianni Rinaldini, der alle betroffenen Subjekte aufruft, ihre
Verantwortung wahrzunehmen: „Die FIAT-Frage geht weit über die klassische
gewerkschaftliche Auseinandersetzung hinaus.“ Am Vorabend des Generalstreiks
der Automobilsparte und am Tag nach den Wahlen in Amerika kann ein Interview
mit dem Sekretär der Gewerkschaft, die sich mehr als Andere in den Kampf gegen
den Krieg und den Wirtschaftsliberalismus / Freihandel eingebracht hat, nicht
anders als bei dem beginnen, was in den Vereinigten Staaten geschehen ist.
„Eine schöne Ohrfeige“, fasst es Rinaldini zusammen.
Viele Hoffnungen und
viele Vorhersagen zunichte machend, hat Bush erneut gewonnen. Man kann sogar
sagen, dieses Mal hat er ernsthaft gewonnen. Wie interpretierst Du das
Volksvotum, das den Mann des präventiven Krieges und des Freihandels gewählt
hat ?
„In einer Kriegssituation
und damit in einer Situation der Unsicherheit siegt der starke Mann, dem die
Amerikaner die Sicherheit anvertraut haben. Verglichen mit der Lage vor vier
Jahren als eine, wenn auch knappe, Mehrheit für die Demokraten gestimmt hatte,
sieht das Bild heute düsterer aus und wurde jede Vorhersage widerlegt, obwohl
fast alle europäischen Bevölkerungen, außer in Russland und in Polen, auf den
Sieg Kerrys gehofft haben. Mit dem Wissen, das man hinterher hat, kann man
sagen, dass es historisch nichts Neues ist, dass sich die Gesellschaft im Krieg
nach rechts bewegt, weil sich zur geopolitischen Unsicherheit, zur Angst, die
soziale Unsicherheit hinzugesellt, die nicht dazu drängt links zu wählen –
vorausgesetzt, dass diese Vokabel einen Sinn hat. Insbesondere wenn man sich
anschaut, dass Kerry keiner ist, der eine klare soziale Alternative zu Bushs
Wirtschaftsliberalismus / Freihandel anbietet. Wie heute Clintons
Arbeitsminister Robert B. Reich schreibt, neigen die Sozialpolitiken der
Konservativen und der Demokraten seit dem Ende der 70er Jahre dazu sich, dank
der Lobbyarbeit der multinationalen Konzerne, anzugleichen.“
Wie wirkt sich das
amerikanische Wahlergebnis bei uns aus ?
„Bushs Sieg bekräftigt, dass
auf internationaler Ebene keine Regierungsgremien existieren, sondern nur das
imperiale Entweder-Oder: Entweder Ihr macht es so wie ich es sage oder ich
mache es genauso ! Mit anderen Worten:
Entweder Ihr seid für mich oder gegen mich, d.h. mit dem Terrorismus. Dies
stellt mit Nachdruck die Frage nach der Rolle Europas und vertieft den Konflikt
auch wirtschaftlich bezüglich der imperialen Politik Bushs. In Italien wird
Berlusconi, der der treuste Diener von George W. ist, versuchen das
Wahlergebnis in den USA zu nutzen, um die offenkundigen Schwierigkeiten der
Regierungskoalition zu beheben.“
Wird Bushs Sieg die
soziale Auseinandersetzung in Italien belasten ?
„Ich sehe keinen direkten
Zusammenhang zwischen den beiden Dingen. Die Wirtschaft und das
Unternehmenssystem unseres Landes befinden sich in einem gravierenderen Zustand
als es den Anschein hat und das innerhalb von für Erschütterungen sorgenden
sozialen Prozessen, die durch den Freihandel verursacht werden, der alle
Elemente der allgemeinen Solidarität in Frage stellt. Angefangen bei den
nationalen Tarifverträgen. Die Ereignisse in Deutschland können uns nur
beunruhigen und werden die Dynamiken der sozialen Auseinandersetzung
beeinflussen. Angefangen bei der Lösung der Arbeitskämpfe bei Opel und bei
Volkswagen, die – so wie es aussieht – nicht positiv sein wird. Ich kritisiere
die IG Metall wegen der Abkommen die sie, trotz einer sozialdemokratischen
Regierung, abgeschlossen hat oder abschließen wird, nicht. Das Problem betrifft
uns alle.“
Und in Italien schwelt
die FIAT-Krise weiter…
„Wenn der industrielle
Niedergang Italiens den letzten Schritt vollziehen sollte (die Liquidierung des
Automobilsektors), welche industriellen, sozialen und ökonomischen Perspektiven
gäbe es dann ? Diesen Sektor für tot zu erklären, wäre eine dramatische Wiederholung
dessen, was bei Olivetti geschehen ist. Nicht zu intervenieren, um die
FIAT-Krise aufzuhalten oder zu meinen, man solle einen neuerlichen
Deindustrialisierungsprozess – wie man es gegenwärtig tut – durch soziale
Abfederungen begleiten, wäre für das
Land Selbstmord. Und die Art wie die Privatisierungen durchgeführt wurden,
sollte etwas lehren: Damit wurde nicht das Entstehen neuer unternehmerischer
Subjekte gefördert, sondern Manöver rein finanziellen Charakters und dadurch
zur Krise der Unternehmerschaft beigetragen. Der endlich gemeinsame Streik <von FIOM-CGIL, FIM-CISL und
UILM-UIL>, der morgen stattfinden und
den gesamten Automobilsektor einbeziehen wird, will einen Weg aufzeigen, um
wieder eine industriepolitische Perspektive zu eröffnen.“
FIAT als Paradigma. Aber
wenn es stimmt, dass es sich um ein allgemeines Problem handelt und wenn es
stimmt, dass General Motors nicht die Absicht hat, die Übernahme zu vollziehen,
dann bleibt nichts anderes übrig als eine öffentliche Intervention in punkto
Kapital. Ist das eine mit den europäischen Verpflichtungen vereinbare
Möglichkeit ?
„Darüberhinaus, dass sie gar
nicht existiert, ist die Möglichkeit einer Übernahme durch GM auch nicht
wünschenswert. Das wäre eine Kopie der Einverleibung Daewoos, die mittels
Werksschließungen und der Beseitigung Tausender von Arbeitsplätzen vollzogen
wurde. Ebenfalls klar ist allerdings, dass es ohne einen Investitionsplan zur
Wiederbelebung unserer Automobilindustrie keine Zukunft für Lingotto <= der Turiner Stadtteil, in dem
sich die FIAT-Zentrale befindet>
geben würde. Die Möglichkeit einer ‚kleinen FIAT’, die über eine
Kostenreduzierung und die Verlagerung von Motoren, Modellen und Ersatzteilen
ins Ausland zu realisieren wäre, existiert nicht. Im Automobilsektor überleben
die Großkonzerne oder die Nischenmarken, wie Ferrari. Das Schicksal von
Mirafiori <= der
Turiner Stadtteil, der das FIAT-Hauptwerk beherbergt>, wäre definitiv besiegelt, falls dieser Trend nicht
umgekehrt würde. Der Automobilsektor ist für das Land entscheidend und betrifft
die politischen Kräfte und die Regierung. Und mangels anderer unternehmerischer
Subjekte ist eine öffentliche Intervention notwendig – nicht um die
Verkaufspläne zu begleiten, sondern um einen echten Wiederbelebungsplan zu
entwerfen und zu finanzieren. Stellt die Präsenz öffentlichen Kapitals bei
Volkswagen oder bei Renault etwa Deutschland oder Frankreich außerhalb des
europäischen Kontextes ? Auch innerhalb der Regierung gibt es diejenigen, die
eine solche Möglichkeit nicht ausschließen.“
Glaubst Du dem
Versprechen des Vorstandvorsitzenden von FIAT Auto, Demel, wenn er zusagt, dass
kein Werk geschlossen wird ?
„Auch wenn man sagen kann,
dass es mit der neuen Führungsgruppe von FIAT endlich gelingt, gesittet zu
diskutieren, haben sich die Politiken, mit denen wir uns auseinandersetzen,
nicht geändert. Demel strebt die Reduzierung der Kosten und die Verlagerung der
Produktionen nach außerhalb Europas an. Die Firma Valeo, die er in Melfi <Süditalien> geschlossen hat, wurde von einem japanischen
Unternehmen aufgekauft, das in der Türkei produziert. Der Motor, den man in
Mirafiori hergestellt hat, ist nach Argentinien entschwunden. Und während man
sogar in Melfi mit der cassa integrazione <d.h. staatlich finanzierter Kurzarbeit Null zu
deutlich verringerten Bezügen> die
maximale Flexibilität praktiziert, fordert man uns auf die
Arbeitszeitregelungen neu zu diskutieren, um noch flexibler zu sein. In der
hohen und der mittelhohen Fahrzeugpalette ist kein neues Modell vorgesehen. Für
den Lybra, den Thesis und den 166er gibt es keine Ersatzmodelle. Alle Signale,
die aus Turin-Lingotto kommen, gehen in die einer Wiederbelebung entgegen
gesetzte Richtung. Es ist gewiss nicht so, dass FIAT die Lücke zur Konkurrenz
schließen kann, die dabei ist sie vom Markt zu fegen. Wahrscheinlich werden sie
Anfang kommenden Jahres den Verkauf vollziehen und da GM nicht die Absicht hat
die Übernahme zu realisieren, dies vielleicht sogar mit dem Ziel etwas mehr
Geld für die Rekapitalisierung <des Restkonzerns> zu
erzielen, angesichts der Umwandlung der Bankendarlehen in Aktien. Um diese
tödliche Spirale zu durchbrechen, haben wir den morgigen Streik ausgerufen.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover