Antifa-AG
der Uni Hannover:
Die Kommentare zum Ergebnis der
Bundestagswahlen am 18.September 2005 und insbesondere zum Abschneiden der „Linkspartei.PDS“ waren zahlreich. Auch an Stimmen aus der
Linken anderer Länder fehlte es erklärlicherweise nicht. Eine besondere
Bedeutung besitzt unter diesen die Einschätzung von Rifondazione
Comunista (PRC)-Generalsekretär Fausto Bertinotti. Nicht nur weil die italienische Linke eine
wichtige Rolle in Europa spielt, er hierzulande noch immer als „Revolutionär“,
„moderner marxistischer Theoretiker und Praktiker“ und als „Bewegungslinker“
romantisiert wird und er der einzige italienische Politiker war, der persönlich
in den deutschen Wahlkampf eingriff (als einer der Hauptredner auf der
Abschlusskundgebung der „Linkspartei.PDS“ in Berlin),
sondern auch weil Bertinotti Präsident der Partei der
Europäischen Linken ist, deren zweitwichtigste Mitgliedspartei die PDS
darstellt. Seine Sicht der Dinge schilderte Bertinotti
der vom PRC herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“
für die Ausgabe vom 20.9.2005.
Wie fremd – allen salbungsvollen Worten
zum Trotz – Bertinotti und der „Liberazione“-Redaktion
diese „Linkspartei“ aber noch immer ist, erkennt man auch daran, dass in der
italienischen Fassung fünfmal der Originalname verwendet wird und dabei stets
von „die Limke“ oder „die Limk“
die Rede ist. Aber vielleicht handelt es sich ja auch um Freudsche Versprecher,
weil man ahnt, dass sie so links womöglich gar nicht ist…
Interview
mit Bertinotti:
„Das sind die zwei Linken“
von Stefano Bocconetti
Wenn man am Tag danach
die Zeitungen liest, scheint es als ob in Deutschland alle verloren haben.
Welche Meinung hat sich der Sekretär von Rifondazione
dagegen zu diesem Thema gebildet?
„Selbst wenn ich des
Partisanenkampfes beschuldigt werde, aber ich habe wirklich den Eindruck, dass
das bedeutendste Element der Wahl vom Sonntag der Erfolg der Linke/PDS war. Und
das ist ein in gewisser Weise historisches Element.“
Findest Du nicht, dass
das ein etwas übertriebener Ausdruck ist?
„Nein, und ich erkläre Dir
warum. Die außerordentliche und in vieler Hinsicht mutige Erfahrung der PDS
besaß vor allem eine regionale Dimension, in den Bundesländern des ehemaligen
Ostdeutschlands. Es hätte wenig Sinn, dies zu bestreiten. Das Zusammengehen mit
einem bedeutenden Teil der sozialdemokratischen Linken und mit relevanten Teilen
der deutschen Gewerkschaftsbewegung (angefangen bei ihrem Dreh- und Angelpunkt:
der IG Metall) haben eine Wette ins Leben gerufen, die sich am Ende ausgezahlt
hat. Weil die deutsche Sozialdemokratie heute zum ersten Mal links von sich
eine starke Formation hat. Das war bisher nie der Fall und das ist ein neuer
Umstand, der sich auch auf das übrige Europa auswirken wird.“
Warum sagst Du, dass
dieses Votum für Alle eine Botschaft bedeutet?
„Weil das Votum vom Sonntag
in Deutschland in gewisser Weise das Ende des Monopols der sozialdemokratischen
und reformistischen Kräfte im Panorama der europäischen Linken zeigt. Ein
Monopol, das seit langem besteht. Seit dem Zusammenbruch der Regime im Osten
war niemals etwas ähnliches geschehen.“
Sie verlieren das
Monopol, sagst Du. Weil es bis gestern keine andere Linke auf dem Schlachtfeld
gab?
„Nein. Das sage ich
natürlich nicht. Großmütige und wichtige Versuche hat es gegeben. Aber es
handelt sich um – wie soll ich das sagen? – Widerstandsversuche, um Versuche
den Willen zu bekunden, das Erbe der kommunistischen Bewegung zusammenzufassen.
Um verwurzelte Versuche, denen es jedoch nie gelungen ist, zu verhindern, dass
die sozialdemokratische Komponente die übergroße Mehrheit stellt, wenn wir
nicht sogar sagen wollen, dass sie das Vertretungsmonopol besaß.“
Und nun?
„Heute ist diese Phase
abgeschlossen. Heute wurde durch das Volksvotum bestätigt, dass es auch in
Europa eine ‚duale’ Linke gibt. Eine davon ist reformistisch und die andere ist
alternativ. Und alles spricht dafür, dass diese noch wachsen wird.“
Die Linke wird also auch
Einfluss auf die italienische Entwicklung ausüben?
„So gestellt, ist das eine Frage, die wenig Sinn hat. Die Linke, die sich in
der Erfahrung der Partei der Europäischen Linken wieder findet und mit
Begeisterung unseren Beitrag zum Wahlkampf angenommen hat, ermutigt all das,
was in die Richtung geht, die alternative Linke wachsen zu lassen. Diese Linke
wird in Europa allerdings nur in den konkreten Formen der unterschiedlichen
Erfahrungen entstehen. Es existiert kein Modell, kein für alle gültiges Modell
– gerade weil es keines mehr geben kann. Alle gemeinsam haben wir beschlossen,
auf das Experimentieren zu setzen, auf einen offenen und pluralen
Organisationstyp. Ohne Anker.“
Machen wir einen Schritt
zurück und kommen wir wieder zu Deutschland. Warum hat die Rechte hier
verloren?
„Weil die Merkel das
traditionelle thatcheristische Rezept präsentiert
hat, ohne sich zu verstellen. Sie hat ihre wirtschaftsliberale Philosophie
präsentiert, ohne den Filter des Populismus, wie es z.B. in Italien der Fall
war.“
Und warum, Bertinotti, hat die SPD nicht für das soziale Desaster
bezahlt, für das sie verantwortlich war?
„Das Votum hat die Krise der
sozialdemokratischen Regierung bestätigt, die nicht mehr über die <notwendigen> Zahlen verfügt. Es stimmt allerdings auch, dass die
SPD eine politische Vitalität gezeigt hat, weshalb der Stimmenverlust sehr viel
geringer war als vorher vorausgesagt.“
Wieso das?
„Ich glaube, das ist das
Ergebnis einer akrobatischen Meisterleistung Schröders. Kurz gesagt: Er ist als
Regierungschef in den Wahlkampf gezogen und an dem Punkt verzeichnete er die
niedrigste Zustimmungsquote. Unterwegs hat er, auch ohne etwas an seinem
Freihandelsprogramm zu ändern (das kaum abgeschwächt wurde), seine Stellung
gewechselt. Anstatt als Regierungschef hat er begonnen als Führer der
Opposition gegen eine virtuelle Regierung der Rechten zu sprechen, der dank der
Umfragen ‚amtierenden’. Und in dieser Rolle hat er wieder angefangen von einem
nützlichen Votum zu sprechen, um einen Damm gegen die Rechte zu errichten, und
hat durchblicken lassen, dass die Schäden, die die Rechte angerichtet hätte,
sehr viel größer gewesen wären. Ein Akrobatenstück, das zum Teil jedoch Erfolg
hatte.“
Und nun, was geschieht
jetzt?
„Die neue Tatsache ist, dass
die Sozialdemokratie nun herausgefordert wird. Offiziell. Ich habe Lafontaine
unmittelbar nach der Wahl gehört. Seine Position ist immer dieselbe: Er fordert
die SPD und die Grünen auf, mit der Linken zu verhandeln. Er fordert die Bestandteile
der alten Regierung Schröder auf, sich zu ändern und damit dem Willen des
Landes zu entsprechen, das – vergessen wir das nicht – der Linken die
Stimmenmehrheit gibt. Und auch dies ist – so glaube ich – eine sehr mutige
Position, wenn man berücksichtigt, dass die Linke aus einem sehr harten
Wahlkampf kommt. Aber ich insistiere darauf: Jetzt hat Deutschland eine Chance.
Sie zu vergeuden, würde keinen Sinn machen.“
Bei uns wird das deutsche
Wahlergebnis nur im Rahmen der hiesigen Polemiken diskutiert. Derjenigen über
die Wahlrechtsreform zum Beispiel. Und es gibt verschiedene Stimmen, die
behaupten, dass das deutsche Wahlergebnis den mit einer Änderung des
Wahlsystems verbundenen Illusionen ein Ende bereitet habe. Ist dem so?
„Nein, wenn es etwas gibt, was
das deutsche Wahlergebnis lehrt, dann ist es die Tatsache, dass das bipolare <Parteien-> System in der Krise steckt – in einer großen Krise.
Das Wahlsystem hat damit wirklich nichts zu tun. Die Wahl in Deutschland hat
besser als jeder Diskurs verdeutlicht, dass die Alternanz
<d.h. der
periodische Regierungswechsel zwischen Mitte-Linker und Mitte-Rechter bei
substanziell gleicher Politik>, die
voll und ganz innerhalb der wirtschaftsliberalen Politik stattfindet, keine
Perspektiven hat. Diese Alternanz wurde abgelehnt.
Und das in unmissverständlicher Weise. Die CDU ist geschlagen und die SPD ist
geschlagen. Das Wahlergebnis hat ein für allemal bestätigt, dass es eine Mitte,
der man nachlaufen muss, nicht gibt. Nicht mehr gibt ! Ein Diskurs, der um so mehr für die
Sozialdemokratie gilt. Heute muss die reformistische Komponente zur Kenntnis
nehmen, dass sie allein nicht mehr ausreicht. Und muss sich entscheiden. Das
gilt für Deutschland, aber das ist mehr oder weniger dasselbe, was auch <der im Zusammenhang mit dem
Referendum über die EU-Verfassung nach links gerückte> Fabius sagt, wenn er die französischen Sozialisten
auffordert, sich zwischen einer gemäßigten Linie und einer Verankerung auf der
Linken zu entscheiden. Und dies gibt auch der alternativen Linken eine große
Verantwortung.“
Worauf beziehst Du Dich?
„Auf die Tatsache, das die alternative Linke aufgehört hat, ein Stachel in der
Flanke der Sozialdemokratie zu sein. Ein vielleicht durchaus schmerzhafter,
aber eben nur ein Stachel in der Flanke. Jetzt ist das nicht mehr so. Die
alternative Linke ist jetzt entweder zu einem Partner oder zu einem möglichen
Dreh- und Angelpunkt einer Alternative zur Sozialdemokratie geworden, wenn
diese sich dafür entscheidet, sich in eine Partei der Mitte zu verwandeln. Sicher,
wir haben immer für die Veränderung gearbeitet. Im Sozialen, in den Kämpfen.
Aber es gibt eine Sphäre (die politische), die verschlossen schien. Nun ist
diese Barriere gefallen. Und es ist die alternative Linke, die die
Sozialdemokratie auffordern muss: Sagt, mit wem Ihr zusammenarbeiten wollt ! Mit dieser Seite oder mit der anderen?“
Ein letztes Stichwort:
Sag’ die Wahrheit ! Glaubst Du, dass der Erfolg der
Linkspartei Einfluss auf die Vorwahlen
<zur Kür eines
Spitzenkandidaten der italienischen Mitte-Links-Union am 15.10.2005> haben wird?
„Nein, ich glaube nicht auf
mechanische Weise. Doch auch in Deutschland ist das Prinzip bestätigt worden,
dass es eine neue Staatsbürgerschaft (cittadinanza)
für die Linke gibt, die für die Alternative eintritt.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der
Uni Hannover