Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Der
erste Versuch in Italien eine Neuauflage der Sozialpartnerschaft zu lancieren
und als ersten Akt die nationalen Tarifverträge weitgehend durch betriebliche
abzulösen, ist Mitte Juli 2004 zunächst gescheitert. „Zunächst“, denn ein
erneuter Versuch ist in allernächster Zeit zu erwarten und tatsächlich hat der
Chef des größten und Kotaus am ehesten widerstrebenden Gewerkschaftsbundes
CGIL, Guglielmo Epifani, Ende August Zeichen der „Öffnung“ in Richtung des
wichtigsten Unternehmerverbandes Confindustria gesandt. Seine Enttäuschung über
den Verlauf des ersten Treffens und sein verärgerter Abgang bedeuten
keineswegs, dass die CGIL-Spitze eine neue Sozialpartnerschaft mit dem Kapital
ablehnen oder sich der Aufweichung – Verzeihung – „Flexibilisierung“ der Tarifverträge
verweigern würde. Sie möchte nur nicht alles sofort aufgeben und in jedem Fall
ihr Gesicht wahren.
Eine
wesentlich weitergehende Opposition kommt aus der
CGIL-Metallarbeitergewerkschaft FIOM (mit offiziell 350.000 Mitgliedern, mit
Abstand die größte des Landes). Sie bildet traditionell den linken Flügel der
etablierten Gewerkschaften und hat in den letzten drei Jahren für ihre
„konservative“ und kämpferische Haltung mit vier Separatabkommen der kleineren
und rechteren Branchengewerkschaften FIM-CISL, UILM und FISMIC allein auf
nationaler Ebene bezahlen müssen. Auch jetzt wird sie in der bürgerlichen
Presse wieder gezielt als Organisation von Extremisten hingestellt, die dabei
sei ganz Italien zu ruinieren. Dahinter steht der wenig kaschierte Versuch die
FIOM entweder zu beugen oder sie erneut zu isolieren (diesmal auch ganz
offiziell innerhalb der CGIL). Aus dieser Isolation hatte sich die Organisation
gerade erst, dank des erfolgreichen 3wöchigen „wilden“ Streiks Ende
April/Anfang Mai 2004 im süditalienischen FIAT-Werk in Melfi und ähnliche,
ebenfalls erfolgreiche Aktionen (z.B. bei Fincantieri), befreien können.
Die
unabhängige, linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ befragte
daher für die Ausgabe vom 21.7.2004 den Generalsekretär der FIOM, Gianni
Rinaldini, zu seiner Einschätzung der Lage. Wobei er erstmals auch eine
deutlich erkennbare Kritik an der CGIL-Führung übte.
Gianni
Rinaldini:
„Der Tarifvertrag ist kein Konzert“
Hinter Montezemolos Lächeln steht
der Versuch die allgemeine Solidarität zu beseitigen.
Loris Campetti
Die Gefahr Nr.1. Für die
Sozialpartnerschaft; für die Konkurrenzfähigkeit der Industrie; für die Einheit
zwischen den Gewerkschaftsbünden; für eine Zukunft, die die CGIL nicht
ghettoisiert. Die FIOM sei wegen ihres Extremismus und ihrer krankhaften,
demokratischen Basisorientierung die Ursache allen Übels. Mit dem Amtsantritt <des neuen FIAT- und
Unternehmerverbands-Präsidenten>
Montezemolo in der Confindustria ist die Metapher des „Wir sitzen alle im
selben Boot!“ im großen Stil zu neuen Ehren gelangt. Redet mit Gianni Rinaldini
und schaut, ob Euch die vulgäre Darstellung überzeugt, die ihn – in einer, von
heiligen Kappellmeistern bevölkerten, Sixtinischen Kappelle – mit dem Gesicht
Luzifers präsentiert. Nicht so sehr, weil ihm die Physis für diese Rolle fehlt,
sondern weil das nicht seine Rolle zu sein scheint. Über das Verhältnis von
Darstellung und Realität der FIOM haben wir mit dem <FIOM-> Sekretär Gianni Rinaldini gesprochen.
Ihr steht als negatives
Beispiel im Scheinwerferlicht der Presse und der Politik, als der Klotz am
Bein, der die Wiederaufnahme normaler Beziehungen zu den Unternehmern
verhindert. Erkennst Du Dich in dieser Abbildung wieder ?
„Die Kampagne, die eine FIOM
präsentiert, die auf maximalistischen Positionen beharrt, die das Land in den
Ruin treiben, ist einerseits die jähzornige Reaktion auf die Vervielfachung der
Abkommen, die derzeit zwischen den Metallern und den Unternehmen stattfindet,
die immer öfter <auch> einheitliche sind <also gemeinsam mit FIM-CISL und UILM
abgeschlossen werden>. Schau’, dieses
ist das letzte, das gestern bei ABB (einem Mitglied des lombardischen
Confindustria-Regionalverbandes Assolombarda) zustande gekommen ist – für 6.000
Beschäftigte. Die Kämpfe und die Abkommen von Melfi und bei Fincantieri haben
der mit den Vorverträgen <für
einen akzeptablen, das letzte Separatabkommen ablösenden, Tarifvertrag> eingeleiteten Phase einen neuen Impuls gegeben.
Andererseits ist es normal, dass ein die Tarifstruktur betreffendes Reformprojekt
mit den Metallarbeitern rechnen muss, einer Berufsgruppe, die fast 50% der in
Confindustria-Mitgliedsunternehmen Beschäftigten repräsentiert. Die entgleiste
Reaktion auf unsere Kritik enthüllt das Missfallen über die Feststellung, dass
die FIOM lebt und wächst.“
Sprechen wir über diese
Reform, die die Confindustria will und der sich CISL und UIL nicht widersetzen.
„Es hat eine
Auseinandersetzung begonnen, die das letzte Kapitel des Weißbuches <des italienischen
Arbeitsministeriums zur Gegenreform des Arbeitsrechtes> darstellt und die Zukunft der beiden Ebenen der
Tarifpolitik betrifft (der nationalen und der betrieblichen) und damit die
Zukunft der sozialen und gewerkschaftlichen Vertretung. Das Vorhaben der
Unternehmer fügt sich in denselben Rahmen ein, in dem sich in Deutschland und
Frankreich die Reduzierung aller Elemente der allgemeinen Solidarität – bis hin
zu ihrer Überwindung – vollzieht. Bei diesen schrägen Verhandlungen hat man
gerade den nationalen Tarifvertrag im Visier und zwar auf dem Weg über die
Bejahung einer unternehmensorientierten Logik, deren einzige Werte der Markt
und die Konkurrenzfähigkeit sind. Die Lohn- und Gehaltserhöhungen werden an die
Ertragslage des Unternehmens gekoppelt. Das ist die Logik des Freihandels / Wirtschaftsliberalismus,
der die Unvereinbarkeit aller Elemente festlegt, die dem Unternehmen nicht
untergeordnet sind.“
Aber wie das ? War Montezemolo nicht der Mann des Dialoges
und der Vermittlung ?
„Seine Absicht ist
offensichtlich. Er wird nur auf die Sprache und die Gesprächspartner achten. Er
wird der Mitte-Linken dennoch willkommen sein, aber das was zählt, sind die
realen sozialen Prozesse. Darauf müssen wir als Gewerkschaft schauen und nicht
auf die politischen Tricks. Gerade zu diesem Thema (angefangen bei der Zukunft
der Tarifpolitik) hat die FIOM ihren vorgezogenen Kongress durchgeführt. Als
ich gesagt habe, dass Montezemolos Angebot eine Falle sei (er hat behauptet,
dass die Reform der Tarifverträge keine Priorität habe), bin ich kritisiert worden.
Nun ist es genau das, worüber man spricht und worüber die Meinungen auseinander
gehen.“
Also hat <CGIL-Generalsekretär> Guglielmo Epifani einen Fehler gemacht als er an
jenem Treffen teilnahm ?
„Die CGIL hat gut daran
getan, jene Verhandlungen zu verlassen. Nun stellt sich eine grundlegende
Frage, bei der es nicht darum geht, was man in die nächsten Tarifverträge
hineinschreibt, sondern um ihre Zukunft, die Struktur der Regeln. Wir gehen von
einer konkreten Erfahrung aus: Wir haben die Regeln des <zentralen Sozialpartnerschafts-
und Lohnzurückhaltungsabkommens vom>
23.Juli <1993> immer beachtet. Es waren Federmeccanica und
Confindustria, die die Regeln über den Haufen geworfen und erklärt haben, dass
ihre Interpretation die wirtschaftliche Entwicklung aus dem nationalen
Tarifvertrag ausschloss und auch die reale Kaufkraft nicht garantierte. (Jetzt
will man selbst die veranschlagte Inflation wegfallen lassen.) Die FIOM beklagt
diese Situation seit 4 Jahren.“
Ihr schon, aber in der
CGIL gibt es dazu keine einheitliche Position.
„Gewiß, es sind dazu
verschiedene Positionen geäußert worden. Ich halte mich an das Schlussdokument
des letzten CGIL-Kongresses <im Februar 2002>.
Bezüglich der Demokratie, d.h. der Inkraftsetzung der Abkommen durch die
Werktätigen <nach
dem positiven Votum in einer Urabstimmung> und bezüglich des nationalen Tarifvertrages, der die reale Inflation
und die Produktivität umfassen muss. Wenn man festlegen sollte, dass der
nationale Tarifvertrag die Kaufkraft nicht erhöhen darf, würde man damit sein
Ende herbeiführen.“
Besteht nicht eine
Schizophrenie zwischen der Einsamkeit der FIOM auf politischem und
gewerkschaftlichem Gebiet und dem konstanten Wachstum der Zustimmung, die Ihr unter
den Arbeitern erfahrt ?
„Ich bin fassungslos.
Jenseits der rituellen Ankündigungen nach Erfolgen, wie dem in Melfi, wird die
Frage der Demokratie selbst durch die Opposition (besser gesagt: einen Teil von
ihr) von der politischen Tagesordnung genommen. Mit der inakzeptablen
Entschuldigung, dass man sich nicht in die Entscheidungen und die Autonomie der
Gewerkschaft einmischen dürfe. In Wirklichkeit sind es die politischen Kräfte,
die kein Gesetz über die Repräsentanz wollen und sich hinter der Ablehnung von
CISL und UIL verstecken ? Weißt Du warum
? Weil es beim Fehlen einer Verpflichtung, d.h. der Ausübung des demokratischen
Rechtes, das die Abstimmung der Werktätigen über Abkommen und Tarifverträge
darstellt, einfacher ist, Bindungen zwischen politischer und sozialer
Vertretung zu schaffen. Wenn die von Bombassei, der heute der rechte Arm von
Montezemolo ist, geführte <Metallindustriellenvereinigung> Federmeccanica seit 4 Jahren Separatabkommen abschließt, dann deshalb
weil die <von Mai
1996 – April 2001 amtierende mitte-Linke> Olivenbaum-Bündnis-Regierung kein Gesetz über die Repräsentanz gemacht
hat. Sie haben es wegen der <christdemokratischen Gewerkschaftszentrale> CISL nicht gemacht, allerdings als Folge einer
falschen Gesellschaftsanalyse.“
Und inzwischen hat Euch
der Sekretär der CGIL <Guglielmo Epifani> an
den Ohren gezogen und ein Treffen zwischen dem Sekretariat des
Gewerkschaftsbundes und dem der FIOM angekündigt.
„Das habe ich als unangenehm
empfunden. Wir sind immer bereit zu diskutieren und es ist gut, dass man die
Auseinandersetzung über Tarifpolitik und Demokratie begonnen hat. Man täuscht
sich allerdings, wenn man meint, dass wir jetzt eine andere Phase haben, dass
es nicht mehr die Zeit sei, in der CGIL und FIOM sich innerhalb des sozialen
Konfliktes gemeinsam bewegen, weil nun die Geschlossenheit <mit CISL und UIL> und das Gespräch mit der Gegenseite herausragend
sei, weshalb die FIOM zu einer Anomalie würde, die es zu beseitigen gelte. Die
Werktätigen (lavoratori) sind keine Wegwerfartikel, keine Bauern beim
Schach, die entsprechend der politischen Opportunitäten bewegt werden. Nicht
für mich und nicht für die FIOM.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover