Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die Überwindung
des Standortnationalismus und die (tatsächliche) Internationalisierung der
Gewerkschaftsbewegung steht seit langem auf der
Tagesordnung. Die massive Ausweitung des Welthandels, die auf der Suche nach
noch lukrativeren Verwertungsmöglichkeiten um den Globus jagenden gigantischen
Finanzströme, der EU-Binnenmarkt, die Europäische Wirtschafts- und
Währungsunion mitsamt dem sog. „Europäischen Stabilitätspakt“, die
EU-Osterweiterung mit ihren Möglichkeiten zur Strandortverlagerung in
Billiglohnländer, internationale Produktionsketten und die zunehmende
Konkurrenz aus China, Indien etc. machen dies notwendiger denn je. Die
Gewerkschaftsbürokratie tut sich damit allerdings (wie nicht anders zu
erwarten) reichlich schwer. Deshalb ist es interessant zu sehen, wie die Frage
mittlerweile in den fortgeschrittensten Teilen eben dieser Bürokratie z.B. in
Italien gesehen und angegangen wird.
Die von Rifondazione Comunista (PRC)
herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“
brachte dazu am 9.7.2006 ein Interview mit dem Generalsekretär
der FIOM, Gianni Rinaldini. Die zum Dachverband CGIL
gehörende FIOM hat rund 350.000 Mitglieder, ist die bei weitem
größte Metallarbeitergewerkschaft des Landes und im etablierten
Gewerkschaftsspektrum Italiens die kämpferischste und politisch am weitesten
links stehende Einzelgewerkschaft. Sie war von Beginn an – ohne Dominanzgebahren zu zeigen – aktiv an der Anti-Kriegs- und
der Anti-Globalisierungsbewegung beteiligt. In der Tarifpolitik der
italienischen Metallbranche sah sie sich zwischen Ende 2000 und 2004 mehreren
konzertierten Spaltungsversuchen der kleineren Metallergewerkschaften FIM-CISL
(christdemokratisch), UIL (ehemals PSI-nah) und
FISMIC (gelb / antikommunistisch) gegenüber, die mit dem Unternehmerverband
Separatabkommen abschlossen.
Gewerkschaft: Interview mit dem Generalsekretär
der FIOM
Rinaldini: „Die Gewerkschaft
muss europäisch denken“
Von Andrea Milluzzi
Standortverlagerungen,
europäische Richtlinien (wie die Bolkestein-Richtlinie)
und Manöver der großen multinationalen Konzerne. In dem Europa, dass sich dem
Markt geöffnet hat und dabei ist sich erneut durch den Impuls der epochalen
Bewegungen der Weltwirtschaft zu transformieren, können es sich auch die Themen
der Arbeit nicht länger erlauben im Rahmen ihres nationalen Flussbettes zu
bleiben. Es ist nicht so, dass man diesbezüglich bei Null anfängt, aber die
europäische Gewerkschaftsbewegung ist eine Einheit, die erst noch Gestalt
annehmen muss. Die Metallarbeitergewerkschaft versucht dies mit größerer
Überzeugung <als
Andere> und man ist geneigt zu sagen,
dass das auch gar nicht anders sein konnte, da die Arbeiter in den Blaumännern
diejenigen Werktätigen sind, die am stärksten der Gefahr unterliegen als Erste
auf dem Altar des Gottes Markt geopfert zu werden. „Liberazione“
versucht im Gespräch mit dem Generalsekretär der FIOM, Gianni Rinaldini, zu verstehen, an welchem Punkt sich der Prozess
befindet und was das Ziel ist.
Besteht die Notwendigkeit
einer internationalen Gewerkschaft?
„Bezogen auf die
stattfindenden Prozesse (Freihandel und Globalisierung) muss die Gewerkschaft
notwendigerweise eine Rolle von europäischer Dimension anstreben. Sonst läuft
man (jenseits der in diesem oder jenem Land gefällten Entscheidungen) Gefahr,
überfahren zu werden. In Wirklichkeit sind sowohl die europäischen
Organisationen wie auch die internationalen nicht weit davon entfernt diese
Notwendigkeit zu begreifen, sondern davon, einen präzisen Willen zu äußern,
sich in diese Richtung zu bewegen. Wir sind auf dem Gebiet der Koordinationen
noch unbeweglich. Dabei sind das wichtige Erfahrungen,
die uns zu einem europaweiten Streik geführt haben und zu einem FIAT gewidmeten
Aktionstag. Von dem ausgehend allerdings zu sagen, dass wir ein angemessenes
Niveau erreicht haben, um mit den Gegenseiten zu verhandeln, die in
verschiedenen Ländern <parallel> agieren, wäre ein Irrtum. Weil man gleichzeitig
tausend Beispiele anführen könnte, wo der Widerspruch zwischen Werken in
verschiedenen Ländern überwog und ein Wettkampf stattfand, wer den Unternehmen
bessere Bedingungen bietet und damit für die Arbeiter und Arbeiterinnen
schlechtere. Und oftmals kommen diese Dinge gar nicht ans Tageslicht.“
Warum? Aufgrund einer Art
von „gewerkschaftlichem Nationalismus“?
„Weil auf der einen Seite
noch immer die Illusion herrscht, sich in einer nationalen Dimension
verteidigen zu können und es andererseits gewerkschaftlich und politisch völlig
unterschiedliche Geschichten gibt. Und dann variieren
auch die Tarifstrukturen und die gewerkschaftliche Organisation von Land zu
Land.“
Es gab Episoden einer
europäischen Gewerkschaftsbewegung. Ich denke da an die Anti-Bolkestein-Mobilisierung…
„Das stimmt und ich habe
nicht die Absicht, die Elemente des Fortschritts und des Überwindens der
Schwierigkeiten zu unterschätzen, wie es gerade die Bolkestein-Richtlinie
oder die Arbeitszeit-Richtlinie waren. Ich sage allerdings, dass sie –
verglichen mit dem Tempo der Prozesse, denen wir entgegen gehen – immer noch
eine Verspätung aufweisen. Deshalb sage ich, dass eine Beschleunigung versucht
werden sollte, ein Bruch mit diesen graduellen Prozessen, bei denen man nicht
weiß, in welchen Zeiträumen sie sich vollziehen.“
Wie kriegt man das hin?
In Kürze wird der EGB-Kongress stattfinden. Das könnte eine Gelegenheit sein…
„Darüber muss man
diskutieren. Die FIOM, die bereits seit einigen Jahren den Aufbau einer
europäischen Gewerkschaft vorschlägt, ist auf dem Kongress der Europäischen
Metallarbeiterföderation (EMF) < www.emf-fem.org > allerdings untergegangen. Ich wiederhole: Dieses
Bewusstsein muss erst noch erworben werden. Wobei zu berücksichtigen ist, dass
in einigen Teilen Europas die Gewerkschaften in den Privatunternehmen drin sind
und dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad in anderen Teilen noch sehr
niedrig ist. Es wird sehr viel von Frankreich gesprochen. Dort repräsentieren
alle Gewerkschaften zusammen allerdings nur 9-10% der Beschäftigten. Diese Zahl
unterscheidet sich nicht so sehr von Spanien. Wo die Gewerkschaft weiterhin
eine grundlegende Rolle spielt, ist in Deutschland, das mit seinem 4 Millionen
Metallarbeitern die Produktionsstruktur Europas darstellt. Es ist kein
Zufall, dass zu den von der FIOM durchgeführten Operationen die Schaffung einer
direkten Beziehung zur IG Metall gehört. Gerade vergangene Woche hatten wir ein
Treffen, um die tarifpolitischen Dynamiken zu diskutieren und haben bereits
einen Termin für ein weiteres zum Thema Arbeitszeit ausgemacht.“
Kann man eine „Achse“
FIOM-EMF schaffen? Welche Szenarien könnte man eröffnen?
„Schau’, der Sekretär der
EMF hat gesagt, dass sich – jenseits der makroökonomischen Daten – die sozialen
Prozesse in Deutschland nicht von denen in Italien unterscheiden. <Generalsekretär des EMF ist
Peter Scherrer von der IG Metall.>
Ein Beispiel dafür sind die
Standortverlagerungen, denen die Deutschen, die (anders als das in Italien der
Fall ist) hohe Arbeitskosten aufweisen, stärker ausgesetzt sind. Und das so
stark, dass sie Tarifabkommen unterzeichnen mussten, die zu Verschlechterungen
führten, um sie zu verhindern. In Deutschland gibt es 50 Jahre alte
Gewerkschafts- und Verhandlungsstrukturen, was dazu geführt hat, dass man die
Gewerkschaft in Sicherheit wähnte. Das Tempo der Prozesse hat allerdings Risse
in den Verteidigungsanlagen hervorgerufen und auch deshalb haben sie begonnen,
sich auf europäischer Ebene einer ernsthaften Diskussion zu öffnen. Es ist
klar, dass von ihnen die Zukunft der europäischen Gewerkschaft abhängen wird
und wenn auch sie sagen würden, dass die gebraucht wird, könnten wir vielleicht
endlich daran gehen, sie aufzubauen.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover