Antifa-AG der Uni
Hannover:
Ob es zu
einem dauerhaften und gerechten Frieden zwischen Israel und den Palästinensern
kommt, hängt nicht von einer guten Stimmung zwischen Sharon und Abbas, der
Einhaltung einer zeitweiligen Waffenruhe, freundlichen Gesten oder der „Mäßigung
extremistischer Gruppen“ ab, sondern in erster Linie vom Ende der israelischen
Besatzung / des israelischen Apartheidsystems, dem Abriss der Mauer und der
Räumung aller Kolonien in den besetzten Gebieten (nicht nur der wenigen im
Gaza-Streifen) und in zweiter Linie von der Freilassung aller rund 8.000
palästinensischen Gefangenen in Israel (nicht bloß von 5 oder 10% von ihnen).
Damit verhält es sich jedoch weit schlechter als die
Gute-Laune-Berichterstattung in den bürgerlichen Medien Glauben machen will,
wie auch das folgende Interview mit dem führenden Vertreter der israelischen
Peace Now-Bewegung, Dror Etkes, zeigt, das in der linken italienischen
Tageszeitung „il manifesto“ vom 4.2.2005 erschien.
Die
Tatsache, dass Etkes selbst, bezogen auf die konsequenteren Teile des
Widerstandes (wie Hamas, die Al Aqsa-Brigaden oder die PFLP) nur von
„palästinensischem Extremismus“ spricht, zeigt im übrigen, dass er sicherlich kein
Revolutionär ist. Um so bemerkenswerter seine scharfe Kritik.
„Ein Verbrechen, das den Frieden
unmöglich macht“
Peace Now: Die politische
Verantwortung für die Besiedlung Cisjordaniens untersuchen !
MICHELANGELO COCCO
„In Cisjordanien wird ein
Verbrechen begangen, für das die israelischen Politiker (darunter Sharon) die
Verantwortung tragen. Sie gehören bestraft und deshalb haben wir die Einsetzung
eines Untersuchungsausschusses gefordert, der ermittelt, wer – unter Verletzung
des Gesetzes – den Bau Dutzender Vorposten begünstigt hat.“ So Dror Etkes,
Verantwortlicher der israelischen Organisation Peace Now für die Überwachung
der illegalen Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten. Der
letzte Bericht von Peace Now liefert ein Abbild dessen, was die Regierung
Sharon auf jede erdenkliche Art zu verbergen versucht: In den Kolonien
Cisjordaniens werden derzeit 3.500 Wohneinheiten gebaut. 21 der 128 Siedlungen
der West Bank expandieren derzeit über
ihre Grenzen hinaus. In 40 Siedlungen findet eine intensive Bautätigkeit statt.
Außerdem hat die Anzahl der Vorposten die Zahl 99 erreicht. Wir sprachen am
Telefon mit Etkes über die Auswirkungen, die diese Politik auf zukünftige
Verhandlungen haben kann.
Wie ist die Situation bei
den Kolonien in Cisjordanien ?
„Die Siedlungen wachsen
ständig, ohne Pause. Einige von ihnen jedoch schneller als die anderen und –
man beachte das Detail – es handelt sich um Kolonien, die in der Nähe von
Jerusalem entstehen. Bei diesen settlements (ein Beispiel dafür ist
Ma’aleh Adumim) fördert die Regierung den Zuzug neuer Bewohner. Darüberhinaus
gibt es jedoch eine weitere – ebenfalls wichtige – Frage, die die outposts
(Vorposten; Anm.d.Red.) betrifft.“
Was sind diese outposts
und welche Probleme werfen sie auf ?
„Von einem völkerrechtlichen
Standpunkt aus, gibt es keinen Unterschied zwischen echten Kolonien und outposts.
Beide sind illegal, weil die 4. Genfer Konvention die Bevölkerungsveränderung durch
den Besatzungsstaat im besetzten Gebiet untersagt. Wir könnte sie als ‚junge
Siedlungen’ bezeichnen (die oftmals aus wenigen Siedlern bestehen, die sich
dort in Campingwagen und Baracken niederlassen; Anm.d.Red), die im Laufe
weniger Tage oder höchstens einer Woche ohne die für Siedlungen jedoch
notwendige Erlaubnis errichtet werden. Diese outposts zu errichten, ist
die wirkungsvollste Art, um Cisjordanien im Klammergriff zu behalten. Mit Hilfe
der geringstmöglichen Anzahl an Siedlern wird die Quantität kolonisierten
Bodens erhöht.“
In Eurem Bericht schreibt
Ihr, dass „die Regierung in Bezug auf die outposts ihre alte Politik
fortsetzt“. Was bedeutet das ?
„Dass sie die Siedler all
das machen lässt, was sie wollen. Sie lassen sie ihre Vorposten weiter
betreiben, während sich die Regierung diverse Male öffentlich verpflichtet hat,
sie zu räumen.“
Und der
Untersuchungsausschuss, den Ihr gefordert habt ?
„Es ist notwendig
festzulegen, wie die Leute zu bestrafen sind, die für den Skandal der outposts
verantwortlich sind, weil sie – über eine Verletzung des Völkerrechts hinaus –
einen administrativen und finanziellen Skandal darstellen. Der gesamte
Kolonisierungsprozess der letzten 35 Jahre ist voll von Lügen, Korruption und
Verhaltensweisen, die sich ein demokratischer Staat nicht erlauben kann. Und es
ist klar, dass Politiker höchsten Ranges (Sharon inbegriffen) darin verwickelt
sind. Man muss das untersuchen und die Verantwortlichen müssen bestraft
werden.“
Und die echten Kolonien ?
„Naja, die die am
schnellsten wachsen, sind diejenigen rund um Jerusalem, im Nordosten und im Süden
der Heiligen Stadt. Aber im Allgemeinen werden alle ausgebaut, die nahe an der
Grünen Linie (der Grenze von 1967) liegen. Aber auch die von den Religiösen
bevölkerten ‚ideologischen’ Siedlungen, die sich weit innerhalb Cisjordaniens
befinden, wachsen.“
Welche Beziehung besteht
zwischen dem Bau der Mauer und dem Wachstum der Siedlungen auf dem Territorium,
auf dem die Barriere verläuft ?
„Die Mauer stellt den Versuch
dar, eine neue Grenzlinie zu entwerfen. Potentiell zieht sie eine neue Grenze
des Staates Israel. Die Art, wie sie diese Einzäunung errichten (auf dem
größten Teil der Trasse wird es eine Einzäunung und keine Mauer sein) zeigt die
Absicht, eine neue Grenze zu schaffen und dabei auch tief ins Hinterland der
Grünen Linie vorzudringen. Die Erhöhung der Zahl der Kolonien in bestimmten,
‚nahe’ an der Mauer gelegenen Gebieten und der Verlauf der Mauer sind für den
Annexionsversuch in jenen Zonen funktional.“
Welche Auswirkungen kann
das auf mögliche Friedensverhandlungen haben ?
„Verhandlungen, bei denen
die Palästinenser ruhig bleiben und mit den Israelis verhandeln, während die
Besatzerregierung die Expansion der Kolonien und den Bau der Mauer fortsetzt,
sind wirklich schwer vorstellbar. Mit dieser Art von Politik wird die
israelische Exekutive nichts anderes tun als zu zeigen, dass sie kein
Friedenspartner ist und damit den Neuaufschwung des palästinensischen
Extremismus fördern.“
Aber Sharon wird sich in
wenigen Monaten rühmen können, die Kolonien in Gaza geräumt zu haben. Ist das
als erster Schritt in Richtung Frieden nicht Einiges ?
„Die Räumung von Gaza wird
für Sharon ein großer Werbespot sein, eine Reklame, die den Zweck des
‚Rückzuges’ jedoch nicht verdeckt, der gerade dazu dient, der Regierung und den
Siedlern in Cisjordanien zu helfen, Zeit zu gewinnen. Sie wollen ein Abkommen
mit den Vereinigten Staaten (vielleicht auch mit der gegenwärtigen
palästinensischen Führung) über einen palästinensischen Staat mit zeitweiligen
Grenzen erreichen. Eine Lösung für die nächsten – wer kann das sagen ? – 10
oder vielleicht 20 Jahre. Sie haben keine langfristige Strategie, weil Sharon
keine endgültige Lösung mit den Palästinensern will. Der Rückzug aus Gaza ist
eine Gelegenheit, um Zeit zu gewinnen.“
Der wird aber 680
Millionen Dollar kosten…
„Und ich hoffe, dass die
keiner finanziert. Es handelt sich um eine Operation für die niemand <auch nur> einen Dollar zahlen sollte. Nur Israel ist
verantwortlich und muss daher darauf reagieren.“
Wird die
US-Außenministerin Rice, die am Dienstag in Jerusalem ist, gegen die
Kolonisierungspolitik ihre Stimme erheben ?
„Nein, die USA haben in
diesem Konflikt in der Vergangenheit noch nie eine positive Rolle gespielt und
ich glaube nicht, dass sie <jetzt> die Richtung ändern
werden. Der Kampf gegen die Kolonien muss hier in Israel geführt werden, indem
der israelischen Gesellschaft klar gemacht wird, dass wir – wenn wir eine
demokratische Gesellschaft sein wollen – begreifen müssen, dass die Besatzung
und die Siedlungen ein Verbrechen sind.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover