Antifa-AG der Uni Hannover:
Auf der Diskussionsseite des Labournet Austria war unlängst ein Artikel
aus der “inprekorr” (deutschsprachige Monatszeitung der offiziellen
IV. Internationale) zu lesen, der den Anfang April 2002 stattgefundenen 5.Parteikongreß
des Partito della Rifondazione Comunista (PRC) schon in der Überschrift
als “Linkswende” bezeichnete. Wir halten diese Apostrophierung für äußerst
fragwürdig bis direkt falsch, weil - wie seit den zahlreichen derartigen
Bestrebungen im Gefolge von 1989 bekannt sein dürfte - die “Erneuerung”
einer kommunistischen Partei, ihre “Abrechnung mit den Fehlern der Geschichte”
und die zentrale Orientierung auf die “Kontamination” durch kleinbürgerliche
Bewegungen wie die Anti-Globalisierungsbewegung in den seltensten Fällen
mit dem Begriff “links” zutreffend beschrieben sind. Wir teilen daher eher
die folgende Einschätzung der, zur linken Minderheit innerhalb Rifondaziones
zählenden, Zeitschrift “Falce Martello” (Hammer und Sichel) Nr.
156 vom 24.4.2002, die eine etwas andere Bilanz zieht, auch wenn
wir uns nicht jeder ihrer Kritiken an dem anderen (größeren) Teil
der Parteilinken um den “Progetto Comunista” und die Zeitschrift “PROPOSTA”
(Vorschlag) anschließen und an ihren eigenen Positionen (und denen
ihrer internationalen Tendenz um Ted Grant etc.) durchaus Kritik haben. Was
den Wert des folgenden Artikels allerdings keineswegs schmälert:
Der 5.Kongreß des PRC
Erste Bilanz der Debatte
Zum Abschluß des 5.Kongresses des PRC können
wir eine erste Bilanz ziehen. Die wenigen Monate, die vergangen sind, seit
die Thesen der Mehrheit beschlossen wurden, sind ausreichend gewesen, um
alle ihre Grenzen aufzuzeigen. Die Eckpfeiler, auf denen die Linie von Bertinotti
aufbaute, sind allesamt von der Entwicklung der Ereignisse widerlegt worden.
von Claudio Bellotti
Erstens hat es einen offenkundigen Fehler der Perspektive gegeben, was die
Entwicklung der Bewegungen betrifft. Bertinottis gesamte Linie basierte auf
der zentralen Rolle der Sozialforen und der Anti-Globalisierungsbewegung
und dieser Prognose unterwarf er die gesamte Perspektive des PRC.
Daß Cofferati und die CGIL unvermeidlich dazu gedrängt werden
würden, sich an die Spitze der Mobilisierungen zu setzen; daß
dies nicht “die Bewegung” (die uns in deutlicher Expansion begriffen scheint),
wohl aber die organisierten Strukturen der Sozialforen in die Krise bringen
würde, da es ihnen die zentrale Rolle nimmt, die sie noch vor einem
Jahr innehatten; daß die Wende der CGIL die außerhalb der Gewerkschaftsbünde
stehende <linke Basis->Gewerkschaftsbewegung (die sich in der Tat bezüglich
der Beteiligung an der Demonstration vom 23.März in Rom spaltet und
<beim Generalstreik> am 16.April, jenseits der von “Liberazione”
publizierten phantastischen Zahlen, sehr viel weniger Leute auf den Kundgebungsplätzen
versammelt) in die Krise führen würde; daß Cofferati mit
einem einzigen Wink mit dem Kopf fähig sein würde, die CGIL-Linke
in seine Linie einzubinden - all dies war in den Mehrheitthesen nicht vorgesehen
und diese Unfähigkeit zur Prognose hat zu einer widersprüchlichen
und auf den Wellen herumirrenden Leitung des Handelns der Partei in den letzten
Monaten geführt, wobei sich Momente von Verbalradikalismus (sogar mit
Spuren von Sektierertum) und andere Phasen des Nachgebens, wie man sie beim
Kongreß der CGIL und - deutlicher noch - bei der, eine Woche vor dem
nationalen Kongreß <des PRC von Fausto Bertinotti> in
einem Interview mit der “l’Unità” erklärten, wohlbekannten
Öffnung gegenüber dem <mitte-linken> Olivenbaum-Bündnis
erlebt hat, einander abwechselten. Einem “l’Unità”-Interview
<übrigens>, in dem man sich nicht nur den Versuch gemeinsamer
Aktionen gegen die Regierung vornahm, sondern auch die Perspektive allgemeiner
Abkommen im Hinblick auf die kommenden Kommunalwahlen.
Schwankungen und Entgleisungen also, die sich mit dem grassierenden Eklektizismus
verbinden, der die Thesen von Bertinotti und die Debattenbeiträge zu
ihrer Unterstützung durchzieht und dabei unfreiwillig auch komische
Effekte zeitigt. Zum Beispiel wenn man innerhalb der <Partei->Mehrheit
eine genaue Untersuchung beginnt, um zu entscheiden, ob die Streiks der letzten
Wochen als “neue Arbeiterbewegung” bezeichnet werden können oder als
“Schwanengesang der alten Arbeiterbewegung”. Sowohl in den Zirkeln wie auf
den Provinzkongressen und auf dem nationalen Kongreß hat diese Art
von Spekulationen breiten Raum eingenommen und die Diskussion häufig
auf beklagenswerte Niveaus abstürzen lassen.
Das Statut und die Debatte über die Quoten
Zweideutig auch die Position zur Regierung Berlusconi. Man lehnt die Tageslosung
ihres Sturzes ab. “Die Bedingungen sind nicht reif, aber wir können
ihm in puncto Artikel 18 einen Schlag verpassen”, hat Bertinotti erklärt
als er den Provinzkongreß von Mailand beendete, aber <beim nationalen
Parteikongreß> in Rimini ist diese Formulierung zu einem zweideutigen
“die Regierung besiegen” geworden, in dem jeder das lesen kann, was ihm mehr
gefällt.
Die Diskussion über das Statut hat deutlich gemacht, wie sich die Elemente
politischer und ideologischer Zersetzung auch auf die organisatorische Ebene
übertragen. Zwischen den verschiedenen Komponenten der Mehrheit ist
das Zusammenleben immer problematischer und dies spiegelt sich in der Tendenz
wider, politisch und sogar sozial “homogene” Zirkel zu bilden. Während
die Mitgliederzahl stagniert, vervielfacht sich die Anzahl der Zirkel <d.h.
der Basisgruppen des PRC> und dies nicht aufgrund einer größeren
Verankerung der Partei, sondern gerade aufgrund der Tendenz, das Engagement
mit Genossen zu suchen, die politisch die gleichen Auffassungen haben. Der
dramatische Aspekt <dabei> ist, daß man von oben - anstatt diese
Situation anzugehen - Benzin ins Feuer schüttet, indem Innovationen,
wie die “thematischen” Zirkel eingeführt werden, die in diesem Kontext
Gefahr laufen, die Situation weiter zu verschlechtern.
Gebilligt worden ist - wie bekannt - auch die Veränderung, die eine
Quote von 40% Genossinnen in den Leitungsgremien auferlegt und das mit einem
Votum, das dasjenige mit der stärksten Opposition beim ganzen Statut
war (ca. 40 Stimmen Differenz zwischen Ja- und Nein-Stimmen bei insgesamt
ungefähr 500 Abstimmenden). Nachdem sie wie Löwinnen für die
40%-Quote gekämpft hatten, haben die Genossinnen des Frauenforums jedoch
darauf verzichtet, darauf aufmerksam zu machen, daß die Quote in der
Kandidatenliste für das nationale Politische Komitee <sozusagen das
ZK von Rifondazione> nicht respektiert worden ist und zwar gerade ausgehend
von der Bertinotti-Strömung, deren glühende Anhänger diese
Genossinnen allesamt waren. Ihr anfängliches Schweigen hat ebenso wie
die nachfolgende und verstimmte Abstimmungserklärung von Elettra
Deiana <der führenden Vertreterin des Frauenforums> zugunsten
der Liste einen gewissen Anstoß erregt. Mit Sicherheit hatte der von
Deiana gestartete Appell “die Frauen nicht (zu) instrumentalisieren” in diesem
Zusammenhang einen ziemlich pikanten Beigeschmack. Wenn man wirklich eine
nicht instrumentelle Bilanz dieser Geschichte ziehen will, ist die einzig
mögliche Schlußfolgerung die folgende: Das Heilmittel (d.h. die
40%-Quote) hat sich als schlimmer erwiesen als die Krankheit, die man kurieren
wollte (d.h. die geringe Frauenpräsenz im PRC und in seinen Leitungsgremien).
Die internen Kräfteverhältnisse
Die im neuen Nationalen Komitee zustande gekommenen Zahlenverhältnisse
sind in etwa die folgenden: “vollständige” Unterstützer des Dokumentes
von Bertinotti: 79; “vollständige” Unterstützer des Dokumentes
von Ferrando <d.h. des linken PRC-Flügels>: 15; Unterstützer
der <auf das Bertinotti-Dokument bezogenen> Änderungsanträge
von Grassi - Sorini - Pegolo: 32; Unterstützer
der lombardischen Änderungsanträge zugunsten der Einheitstrategie
mit dem Olivenbaum-Bündnis (Confalonieri und Ferrari):
3; Unterstützer der Änderungsanträge am Dokument der <linken>
Minderheit (darunter der Autor dieser Zeilen): 2. Zu diesen
kommen einige besonders repräsentative Genossen hinzu, darunter <der
Chefredakteur der PRC-Tageszeitung “Liberazione”> Alessandro Curzi
und Giovanni Pesce, die nicht als Teil der “Quote” einer bestimmten
Strömung betrachtet wurden.
Scheinbar ist es eine solide Mehrheit, die Bertinotti unterstützt, aber
in Wirklichkeit spaltet sie sich intern weiter in mindestens 3 Untergruppen
auf, die - wenn sie sich nicht politisch (angesichts der “Selbstreform der
Partei” und der Transparenz der Debatte) unterscheiden - durch den Kampf
um die Vertretung in den Leitungsgremien in starkem Maße gespalten
sind. Dieser Zustand der Zersplitterung wird sich auf die zweite Phase der
Provinzkongresse auswirken, die für die nächsten Wochen vorgesehen
ist und bei der es sich in zahlreichen Parteiföderationen <d.h. Kreisverbänden>,
angesichts des Fehlens einer klaren Mehrheit, als sehr problematisch erweisen
wird, Sekretäre und Sekretärinnen zu wählen.
Die auf das Mehrheitsdokument bezogenen Änderungsanträge
Sicherlich kommt ein Großteil der Stimmen für die Änderungsanträge
von Grassi und Sorini von Genossen, die in jenen Positionen
einen Versuch gesehen haben, einen Damm gegen das “bewegungs-orientierte”
Abdriften zu errichten. Der Kongreß hat jedoch gezeigt, daß dieser
Damm nicht ausreichend gewesen ist und daß dieser Mangel nicht nur
einer in puncto Zahlen<verhältnisse> und organisierte Präsenz
ist, sondern vor allem ein schwerwiegender politischer Mangel. Die von diesem
Bereich zum Ausdruck gebrachte Verteidigung der Partei und der kommunistischen
Tradition ist in erster Linie aufgrund der gigantischen Doppeldeutigkeiten
unterlegen, die von der Beteiligung dieser Strömung an der Mehrheit
herrühren, die den PRC bis heute “regiert” hat. In zweiter Linie wegen
des formalen und - es sei uns erlaubt das zu sagen - in einen “Leninismus”
einbalsamierten Charakters, dem es gelingt, die Bündnisse mit dem Olivenbaum
und das Bekenntnis zur Oktoberrevolution, die Imperialismustheorie mit den
Appellen an die UNO oder an ein hypothetisches “antiimperialistisches” Lager
sowie die verbale und manchmal <sogar> wilde Kritik an dem was der
Bertinotti-Bereich tut, mit einer systematischen Deckung eines Großteils
der Fehler in Einklang zu bringen.
Bleibt zu sagen, daß der PRC eine Partei in starker Entwicklung ist
und so jede seiner Komponenten ebenso wie diese Entwicklung im Abschluß
des Kongresses keinen Endpunkt sondern eher eine weitere Beschleunigung gesehen
hat.
Wir sind daher der Meinung, daß der Kongreß unsere jüngste
Einschätzung mehr als deutlich bestätigt hat: Dem PRC gelingt es
im Allgemeinen nicht - auch wenn er sich eine Zunahme der Sympathien und
der potentiellen Stimmen zunutze macht (wenn die Zahlen der Umfragen in den
letzten Wochen stimmen) - sie in eine Erhöhung des organisierten Engagements
und der eigenen Verankerung zu verwandeln. Die Schwierigkeiten werden durch
organisatorische und politische Vorschläge "rationalisiert", die in
Wirklichkeit nichts anderes tun als die Probleme zu verschärfen. Es
zeigt sich schließlich eine offenkundige Schwierigkeit, das Engagement
mit den Erwartungen und dem politischen Bewußtseinsniveau jener Millionen
Arbeiter zu verbinden, die in den letzten Wochen Protagonisten der politischen
und gewerkschaftlichen Wende gewesen sind. Es zeichnet sich somit eine Partei
ab, die es vorzieht, sich ein mehr oder weniger großes Gehege zu schaffen
als sich offen auf das, durch den Konflikt zwischen Regierung und Gewerkschaften
eröffnete, Feld zu begeben und <eine Partei> die größere
Befriedigung in der Auseinandersetzung mit mehr oder weniger "kritischen"
Persönlichkeiten findet als in dem Kampf, der sicherlich viel schwieriger
und komplexer ist, um die sozialdemokratische Hegemonie in der Abeiter-Massenbewegung
herauszufordern, die heute mit soviel Kraft ausbricht.
Warum nimmt die Linke ab ?
Eine besondere Betrachtung verdient die Rolle und das Resultat des alternativen
Antrages von Ferrando, den wir mit verschiedenen Änderungsanträgen
unterstützt haben. Der "Antrag 2" hat einen deutlichen Rückzug
der eigenen Positionen erlebt. Die Zahlen sind deutlich und so bedauerlich
sie sind, zitieren wir <hier> einige, um sie mit dem Ergebnis beim
letzten Kongreß (1999) zu vergleichen. Die Stimmenzahl geht von 5 400
auf 4 330 zurück (- 20%). Sie nimmt in 80 Föderationen ab, ist
in 7 stabil und nimmt in 34 zu. Die Zerlegung der Zahlen auf Provinzebene
ist noch besorgniserregender, weil sie die Schwächung der Linken in
den wichtigsten Zentren des Landes und des PRC sowie in den Föderationen
zeigt, in denen sie beim letzten Mal mehr Stimmen erreichte. In 8 von 11
Föderationen, in denen sie (sowohl 1999 wie 2002) die Marke von 100
Stimmen überwand, nimmt sie deutlich ab und das sind alle wichtigen
Föderationen: Cosenza, Neapel, Bologna, Genua, Savona (die beim letzten
Mal von der Minderheit kontrolliert wurde), Mailand, Turin und Florenz. Während
sie nur in 3 Föderationen zulegt (Imperia, Reggio Calabria und Vibo
Valentia).
In allen anderen Regionshauptstädten nimmt sie, außer in Campobasso
<der Hauptstadt der kleinen sürditalienischen Region Molise> ab
und das mit einigen <echten> Einbrüchen, wie Palermo (von 81 auf
14 Stimmen) und Perugia (von 98 auf 49 Stimmen).
Es muß deutlich gesagt werden, daß der Verlust der Minderheit
in einen stärkeren Verlust der Komponente von Ferrando <d.h.
die linkstrotzkistische Gruppe "Progetto Comunista" um die Zeitschrift "PROPOSTA">
einerseits und in ein positives Ergebnis des Sich-Behauptens oder des Fortschrittes
der von uns zum Ausdruck gebrachten Positionen, die innerhalb der Minderheit
von 8% in 1999 auf 12,5% bei diesem Kongreß zulegen, aufgeschlüsselt
werden muß. Es gibt zwei Gründe dafür. Der erste ist politisch:
Ein Großteil der von uns vertretenen Thesen (Möglichkeit einer
Wende der CGIL nach links, Perspektiven für die Bewegung, teilweiser
Zersetzungsprozeß der Partei) sind sehr viel greifbarer und überprüfbarer
als sie es noch vor ein oder zwei Jahren waren. Der zweite Grund ist politisch
und organisatorisch: die Genossen von Progetto Comunista und vor allem
ihre nationalen Führer, angefangen bei Ferrando, haben sich in den letzten
Jahren der Aufgabe gewidmet, einen politisch nicht homogenen Bereich zusammenzuhalten
und dabei die systematische Verankerungsarbeit, die politische Bildung und
die politische Intervention in der Partei und in den Bewegungen vernachlässigt.
Die Ergebnisse sprechen eine klare Sprache. Viele Genossen begreifen das
bereits heute. Viele weitere werden es anhand der zukünftigen Erfahrungen
begreifen.
In einem politischen und sozialen Rahmen, der sich in starker Entwicklung
befindet, werden alle politischen Positionen, die auf diesem Kongreß
geäußert worden sind, strengen Prüfungen unterworfen werden.
Von diesem Gesichtspunkt aus halten wir es für positiv, daß jede
der unterschiedlichen Komponenten des PRC sowohl in der Mehrheit wie in der
Minderheit in der Kongreßdebatte dazu gedrängt wurde, die eigenen
politischen und organisatorischen Konturen mit größrer Klarheit
zu bestimmen. Heute beginnt eine neue Phase und die Kämpfe der Ideen
und Argumente, die wir alle auf dem Kongreß unterstützt haben,
werden unvermeidlich zur politischen Auseinandersetzung und zur Aktion auf
dem <politischen Schlacht->Feld. Und, wie alle sehr gut wissen, sind
- während die Worte leicht zu verkünden sind - die Urteile des
<Schlacht->Feldes streng und unanfechtbar !
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover