Erklärung der Versammlung der sozialen Bewegungen

/ ESF 2004 in London
Datum: 23.10.2004, 13:19 Uhr

Erklärung der Versammlung der sozialen Bewegungen auf dem 3. ESF in London
Vorläufige Version vom 17. Okt. 2004

Wir kommen aus sämtlichen Kampagnen und sozialen Bewegungen, "no vox"- Organisationen der "Unberücksichtigten", Gewerkschaften, Menschenrechts- und Internationalen Solidaritäts-, Anti-Kriegs- und Friedensorganisationen und feministischen Bewegungen. Wir sind aus sämtlichen Regionen Europas gekommen und haben uns in London zum 3. Europäischen Sozialforum versammelt. Wir sind viele, und unsere Stärke ist diese Vielfalt.

Heute stellt der Krieg das grausamste und realste Antlitz des Neoliberalismus dar. Der Krieg und die Besatzung des Iraks, die Besatzung Palästina, das Massaker in Tschetschenien und die verborgenen Kriege in Afrika zerschmettern die Zukunft der Menschheit. Der Krieg im Irak wurde mit Lügen gerechtfertigt. Heute ist der Irak erniedrigt und zerstört. Die IrakerInnen sind Gefangene des Krieges und des Terrors. Die Besatzung hat weder Freiheit noch bessere Lebensbedingungen gebracht. Im Gegenteil, heutzutage hat die Unterstützung für die These vom "Zusammenstoß der Zivilisationen" zugenommen.

Wir kämpfen für den Rückzug der Besatzungstruppen aus dem Irak, für einen sofortigen Stopp der Bombardements und für die sofortige Wiederherstellung der Souveränität des irakischen Volkes.

Wir unterstützen die palästinensischen und israelischen Bewegungen, die für einen gerechten und dauerhaften Frieden kämpfen. In Übereinstimmung mit der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs und der einstimmigen Abstimmung der europäischen Länder in der UN-Generalversammlung fordern wir ein Ende der israelischen Besatzung und den Abriss der Apartheidmauer. Wir fordern politische und ökonomische Sanktionen gegen die israelische Regierung, so lange diese fort fährt, das Völkerrecht und die Menschenrechte des palästinensischen Volkes zu brechen. Aus diesen Gründen werden wir für die internationale Aktionswoche gegen die Apartheidmauer vom 9.-16. November mobilisieren und für die europäischen Aktionstage am 10. und 11. Dezember, dem Jahrestag der UN-Menschenrechtserklärung.

Die Destabilisierung des globalen Klimas stellt eine unerhörte Bedrohung für die Zukunft unserer Kinder und der Menschheit dar: Wir unterstützen den Aufruf der Umweltorganisationen für internationale Aktion gegen die Klimaänderung im Jahre 2005. Wir unterstützen die Kampagnen gegen Genetisch Modifizierte Organismen (GMOs) und für eine sichere Landwirtschaft, gesundes Essen und eine sichere Umwelt.

Im Februar 2005 werden wir uns an den Protestaktionen gegen den NATO-Gipfel in Nizza beteiligen. Wir lehnen die von der G8 usurpierte Rolle einer Weltregierung und Umsetzerin neoliberaler Politik ab, und darum verpflichten wir uns, anlässlich des G8-Gipfels in Schottland im Juli 2005 massiv zu mobilisieren.

Wir wollen ein anderes Europa, dass Sexismus und Gewalt gegen Frauen ablehnt und das Recht zur Wahl einer Abtreibung anerkennt. Wir unterstützen den internationalen Mobilisierungstag gegen Gewalt an Frauen am 25. November und die europäische Initiative zu diesem Zweck. Wir unterstützen die Mobilisierung, den internationalen Frauentag am 8. März 2005 zu begehen. Wir unterstützen die durch den Weltmarsch für Frauen vorgeschlagene europäische Initiative für Aktion am 27./28. Mai in Marseilles.

Wir stehen gegen Rassismus und die Festung Europa und für die Rechte von MigrantInnen und Asylsuchenden; für Bewegungsfreiheit; auf dem Wohnort beruhende Staatsbürgerschaft und die Schließung der präventiven Abschiebezentren. Wir verurteilen die Deportation von MigrantInnen. Wir schlagen einen europäischen Aktionstag am 2. April 2005 gegen Rassismus, für das Recht auf Mobilität und das Bleiberecht als Alternative zu einem in Ausschluss und Ausbeutung gegründeten Europa vor.

Zu einer Zeit, da der Entwurf für den Europäischen Verfassungsvertrag kurz vor der Ratifizierung steht, müssen wir feststellen, dass die europäischen Völker direkt konsultiert werden sollten. Der Entwurf entspricht nicht unseren Erwartungen. Der Verfassungsvertrag schreibt den Neoliberalismus als die offizielle Doktrin der EU fest; er erklärt den Wettbewerb zur Grundlage des Europäischen Gemeinschaftsrechts und tatsächlich jeder menschlichen Aktivität; die Ziele einer ökologisch aufrechtzuerhaltenden Gesellschaft werden ganz und gar ignoriert. Dieser Verfassungsvertrag garantiert weder gleiche Rechte, noch Bewegungsfreiheit und Staatsbürgerschaft für alle in den Ländern, in denen sie wohnen, ohne Ansehen der Nationalität; er gibt der NATO eine Rolle in der europäischen Außenpolitik und Verteidigung und drängt auf Militarisierung der EU. Außerdem gibt er dem Markt Vorrang, indem er die soziale Sphäre marginalisiert und beschleunigt damit die Zerstörung der öffentlichen Dienstleistungen.

Wir kämpfen für ein anderes Europa. Unsere Mobilisierungen wecken die Hoffnung auf ein Europa, in dem Arbeitsplatzunsicherheit und Arbeitslosigkeit nicht an der Tagesordnung sind. Wir kämpfen für eine lebensfähige Landwirtschaft, die von den Bauern selbst kontrolliert wird, eine Landwirtschaft, die Arbeitsplätze erhält und die Umwelt- und Nahrungsmittelqualität als öffentliche Güter erhält. Wir wollen Europa zur Welt hin öffnen, mit dem Recht auf Asyl und auf Bewegungsfreiheit  und Staatsbürgerschaft für alle in dem Land, wo sie wohnen. Wir verlangen reale soziale Gleichheit zwischen Mann und Frau und gleichen Lohn. Unser Europa wird kulturelle und sprachliche Vielfalt achten und fördern und das Recht der Menschen auf Selbstbestimmung respektieren und all den verschiedenen Völkern Europas erlauben, über ihre Zukunft auf demokratische Weise zu entscheiden. Wir kämpfen für ein anderes Europa, dass die Rechte der Werktätigen garantiert und einen angemessenen Lohn und ein hohes Niveau an sozialer Sicherheit gewährleistet. Wir kämpfen gegen jedes Gesetz, dass die soziale Sicherheit durch neue Formen der Vertragsarbeit weiter untergräbt.

Wir kämpfen für ein Europa, das Krieg ablehnt, einen Kontinent der internationalen Solidarität und eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft. Wir kämpfen für Abrüstung, gegen Nuklearwaffen und gegen US und NATO Militärstützpunkte. Wir unterstützen all jene, die sich weigern, im Militär zu dienen.

Wir lehnen die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und öffentlicher Güter wie Wasser ab. Wir kämpfen für Menschen-, soziale, wirtschaftliche, politische und Umweltrechte zur erfolgreichen Bekämpfung und überwindung der Herrschaft des Markts, der Profitlogik und der Geißelung der Dritten Welt mit Schulden. Wir protestieren gegen die Verwendung des "Krieges gegen den Terrorismus" als Rechtfertigung für Angriffe auf bürgerliche und demokratische Freiheiten und zur Kriminalisierung von Dissidententum und sozialen Konflikten.

Die europäische soziale Bewegung unterstützt die nationale Mobilisierung der europäischen Bewegung für den 30. Oktober aus Anlass der Unterzeichnung des europäischen Verfassungsvertrages - gegen Krieg, Liberalisierung und Rassismus, für den Rückzug der Truppen aus dem Irak und für ein anderes Europa. Die europäische soziale Bewegung unterstützt die nationale Mobilisierung in Barcelona gegen den Gipfel von Zapatero, Chirac und Schröder zur europäischen Verfassung im Januar 2005. Wir unterstützen die Mobilisierung am 11. November 2004 gegen die Bolkestein- Richtlinie.

Zu einem Zeitpunkt, da die neue Europäische Kommission schamlos mit einem scharfen laissez faire-Profil angibt, müssen wir in allen europäischen Ländern einen Prozess der Mobilisierung starten, um die Anerkennung sowohl kollektiver als auch individueller sozialer, politischer, wirtschaftlicher und ökologischer Rechte für Männer und Frauen gleichermaßen durchzusetzen. Um alle europäischen Völker zu befähigen, sich an diesem Prozess zu beteiligen, müssen wir eine Bewegung aufbauen, die unsere Unterschiede verkraftet und alle Kräfte der Völker Europas bündelt, die bereit sind, sich im Kampf gegen den europäischen Neoliberalismus zu engagieren.

Der 20. März 2005 ist der zweite Jahrestag des Beginns des Krieges gegen den Irak. Am 22. und 23. März trifft sich der Europäische Rat in Brüssel. Wir rufen zu Mobilisierungen in allen europäischen Ländern auf. Wir rufen zu einer zentralen Demonstration in Brüssel am 19. März gegen Krieg, Rassismus und gegen ein neoliberales Europa auf; gegen die Privatisierung, das Bolkestein- Projekt und die Angriffe auf die Arbeitszeit, für ein Europa der gleichen Rechte und der Solidarität zwischen den Völkern. Wir rufen alle sozialen Bewegungen und die europäischen Gewerkschaftsbewegungen auf, an diesem Tag auf die Straße zu gehen.

(übersetzt von Carla Krüger, 18/10/2004)


Der Beitrag kommt von SozialForum Berlin
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