Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Analysen, Berichte und Kommentare zu bedeutenden Arbeitskämpfen, wie dem dreiwöchigen „wilden“ Streik im FIAT-Werk von Melfi sind eine Sache, der Originalton der unmittelbar beteiligten Arbeiter und Gewerkschaftsaktivisten als subjektives Zeugnis eine andere. Da wir beides für interessant und wichtig halten, um sich ein Gesamtbild der Ereignisse zu machen und Erfahrungen zu transportieren, hier die Übersetzung eines Interviews, das die unabhängige, linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ am 3.6.2004 mit dem in der FIOM organisierten RSU-Delegierten in Melfi Emanuele De Nicola veröffentlichte:

 

Interview:

 

Exportieren wir das Modell Melfi !

 

Es spricht Emanuele, FIOM-Delegierter bei der lukanischen FIAT-Tochter. Die 21 Tage, die Geschichte machten.

 

„Es schien als wäre es die Belagerung von Fort Apache. Die Lagerfeuer auf dem dunklen Land. Die in der Stille versunkenen Werkshallen, die neue Freundschaft und der Stolz. Es waren sehr schöne Momente, aber ich erinnere mich auch an die Polizeieinsätze und an die anderen Gewerkschaften, die eine Gegendemonstration organisiert haben. Was ich gelernt habe ?  Dass der wahre Kampf von unten kommt – mit Demokratie. Jetzt wollen uns alle imitieren.“

 

Antonio Sciotto

 

Die schönsten Eindrücke von den Belagerungsaktionen ?  „Die Lagerfeuer draußen vor der Fabrik. Wir fühlten uns wie die Indianer, die Fort Apache belagern. Und die Freundschaft unter uns, der Stolz derjenigen, die für ihre Rechte kämpfen.“ Und die hässlichsten ? „Die vom Unternehmen entsandten leeren Autobusse und die Polizei dahinter – bereit, uns anzugreifen.“ Platz den Arbeitern von Melfi !  Sie werden die Protagonisten des 23.FIOM-Kongresses sein. Null Syndikalesisch <d.h.kein Gewerkschaftsfunktionärs-Slang>. Man spricht über Löhne und Demokratie. Wie holt man sich eine Lohnerhöhung von einem Unternehmen, das Dich über 10 Jahre lang unterdrückt hat ?  Existiert wirklich eine Versammlung, in der alle abstimmen und entscheiden können ?  Die neue FIOM ist in den Worten von Emanuele De Nicola (34 Jahre alt und seit 10 Jahren RSU-Delegierter bei FIAT in Melfi) überall präsent: „Die führenden Funktionäre, wie Raffo <= der nationale FIOM-Verantwortliche für den Automobilsektor> und der Sekretär Rinaldini, sind nicht in Rom geblieben. Sie waren bei uns, im Regen und unter der knallenden Sonne genauso wie in der Kälte der Nacht. Auch sie haben die Gummiknüppel abbekommen und so haben sie sich das Vertrauen der Arbeiter erworben.“ Es ist wirklich wahr. Die FIOM hat ihren Kongress bereits abgehalten: Vor den Toren des lukanischen FIAT-Werkes.

 

Jetzt fühlt Ihr Euch stärker. Wie hat sich das Leben in der Fabrik nach dem Sieg verändert ?

 

„Es ist ganz anders. Jetzt berücksichtigt das Management unsere Forderungen. Es genügt an den Urlaubsplan zu denken, den wir vor einigen Tagen unterzeichnet haben. Vor dem Kampf dieses Jahres war das undenkbar. Bis zum letzten Sommer hat FIAT alles allein entschieden und uns das Schema Mitte/Ende Juli mitgeteilt. Wie konnte man sich da auf den Urlaubsbeginn im August vorbereiten ?  Dieses Jahr haben wir unsere Vorschläge diskutiert und im letztendlich erzielten Abkommen haben wir auch einen Beschluss über den 24. und den 31.Dezember gefällt und ein weiteres Treffen für Oktober festgelegt. Die Arbeiter sind zufrieden. Man spricht mehr miteinander. Vorher hagelte es auch schon mal 20 Beanstandungen und Disziplinarmaßnahmen an einem Tag, während sie jetzt zweimal darüber nachdenken bevor sie die Arbeiter von der Arbeit und vom Lohn suspendieren.“

 

Ein schwieriger, jahrelang nicht erlebter Kampf…

 

„Ja, wir haben immer Gewerkschaftsarbeit gemacht, aber am Ende war sie wirklich frustrierend. Ich habe 1992 in der Fabrik angefangen und 1994 bin ich RSU-Delegierter geworden. Diese 21 Tage Belagerungsaktionen und Versammlungen haben uns begreifen lassen, dass die Arbeit von 10 Jahren nicht umsonst war, weil sie unversehens aufgeblüht ist und sehr schöne Früchte getragen hat. Am Ende haben wir die Lohnerhöhungen erreicht, den Doppeltakt überwunden (d.h. die 12 aufeinander folgenden Nächte mit derselben Schicht) und dem System der Flut von Disziplinatmaßnahmen ein Ende gesetzt. Das Ganze dank eines transparenten und demokratischen Vorgehens, das ich wirklich in erster Person erlebt habe.“

 

Wenn Du die wesentlichen Momente in wenigen Schlaglichtern zusammenfassen solltest, welche würdest Du auswählen ?

 

„Zu den schönsten gehörten, wie ich bereits gesagt habe, die nächtlichen Lagerfeuer. Weil das auch etwas von einem Fest hatte und von Leichtigkeit. In der Nacht, mitten auf dem Land und neben den in der Stille versunkenen Werkshallen sah man diese Feuer und die Arbeiter darum herum mit den Gitarren und dem einen oder anderen Brötchen, um den Magen zu füllen. Die Freundschaft, die unter uns entstanden ist, die Leidenschaft und der Stolz zusammenzustehen, um die Würde zu verteidigen und unseren Familien eine Zukunft zu sichern. Und dann die Versammlungen, immer überfüllt, bei den Belagerungen, aber auch – nach dem Abkommen – in der Fabrik. Niemals zuvor hat man bei einem Gewerkschaftstreffen so viele Leute gesehen. Gewöhnlich waren die wie ausgestorben. Und dann die Demonstrationen hier in der Ebene von San Nicola und die in Rom, wo es uns mit 15 Reisebussen gelungen ist, zum ersten Mal 1.000 Arbeiter hinzubringen.

Aber es gab auch die hässlichen Momente. Die Polizeieinsätze einmal beiseite gelassen, hat uns die Tatsache verletzt, dass die anderen Gewerkschaften <d.h. FIM-CISL, UILM und FISMIC> eine Gegendemonstration organisiert haben. Und dann die Episode mit der <UILM-> Delegierten, die behauptet hat, sie sei angegriffen worden und damit die Verhandlungen um eine Woche hinausgezögert hat. Jetzt werden sich die internen Verhältnisse ändern. Wir sind dabei Unterschriften zu sammeln, um die RSU-Wahlen vorzuziehen. Die Arbeiter fühlen sich von denjenigen, die sich an diesem Kampf nicht beteiligt haben, nicht mehr vertreten.“

 

Was wirst Du Neues in den FIOM-Kongress einbringen ?  Was wirst Du denen sagen, die Dich nach Melfi fragen ?

 

„Mit Sicherheit werde ich von einem Arbeitskampf berichten, der anders war als alle anderen, weil er wirklich von unten aus geführt wurde. In diesem Sinne war die Versammlung über die Fortsetzung der Belagerungsaktionen entscheidend als man beschließen musste, ob man weggehen sollte oder nicht, weil FIAT begann Anzeichen für eine Öffnung zu zeigen. Ich selbst habe es für opportun gehalten den Übergang zur permanenten Versammlung zu unterstützen, die Verhandlungen in Rom über Telefon zu verfolgen und die Arbeiter in Echtzeit auf dem neuesten Stand zu halten. Es war nicht alles <bereits> am grünen Tisch festgelegt worden. Wir haben Tag für Tag mit den Spitzen der FIOM (Rinaldini, Raffo und Cillis, die bei uns waren und sich an die Mehrheitsentscheidungen gehalten haben) zusammen entschieden. Die Gewerkschaft hat sich endlich für den Konflikt als Instrument entschieden und damit das Jahrzehnt der 1993 begonnenen Sozialpartnerschaft beendet. Die Urabstimmung, die zum ersten Mal Allen die Möglichkeit gegeben hat sich zu äußern (die Gegner des Abkommens selbstverständlich inbegriffen) war der einzig mögliche Abschluss. Und so wird man sagen können, dass vorher FIAT das Produktionsmodell von Melfi mit den zermürbenden Schichten und den eingeschränkten Löhnen („Lohnkäfigen“) exportieren wollte, während jetzt – nach unserem Sieg – die Arbeiter das ‚Modell Melfi’ exportieren wollen.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover