Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Am Freitag, den 25.November 2005 führten die drei großen italienischen Gewerkschaftszentralen CGIL, CISL und UIL einen landesweiten 4stündigen Generalstreik gegen den von der Regierung Berlusconi präsentierten Staatshaushalt durch. Es handelte sich um den sechsten aus dem Kreis dieser Organisationen gegen Berlusconi & Co. ausgerufenen Generalstreik. Positiv zu vermelden ist die gute Beteiligung, auch wenn sie weder den, von CGIL-CISL-UIL genannten „80-90%“ noch den 25% entsprach, die der Staatssekretär im Arbeitsministerium, Sacconi, errechnet haben wollte. Realistisch kann man von einem Wert in der Mitte, also von etwa 50% Beteiligung ausgehen, was durchaus ein Erfolg ist. Problematisch war hingegen der sehr dünne Inhalt dieses Streiks und der begleitenden Demonstrationen, der im Grunde nur im Wunsch nach einer Neuauflage der Sozialpartnerschaft und einem Wahlsieg des ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Romano Prodi im kommenden Frühjahr bestand sowie der rein demonstrative Charakter der Aktion, dem jedes zwingende oder einschneidende Moment fehlte. Trotzdem war es den beiden größten Zentralen CGIL (links/sozialdemokratisch) und CISL (christdemokratisch) nur mit Mühe gelungen die kleinere (früher PSI-nahe und heute als „Bürgergewerkschaft“ auftretende) UIL mit ins Boot zu holen, der das alles immer noch „zu radikal“ war. Dafür beteiligten sich – mit eigenständigen Demos und einem 8stündigen Streik – auch die Confederazione Cobas und der größere Teil des SLAI Cobas (Mailand etc.) an diesem Streiktag, während die meisten linken Basisgewerkschaften (CUB, SULT, Sin Cobas, Unicobas…) einen eigenen Streik für wesentlich radikalere Forderungen einen Monat zuvor veranstaltet hatten, dem allerdings keine große Beteiligung beschieden war.

Zu den Inhalten der größten italienischen Gewerkschaftszentrale CGIL (und der Stimmungslage ihrer Führung) hier das Interview mit ihrem Generalsekretär Guglielmo Epifani (parteipolitisch Mitglied der Linksdemokraten – DS) in der linksliberalen Tageszeitung „la Repubblica“ vom 12.10.2005, unmittelbar nach dem Streikbeschluss. Die CGIL organisierte nach eigenen (etwas geschönten) Angaben 2004  5.587.307 Mitglieder (d.h. 71.777 mehr als 2003) und lag damit rund 500.000 Mitglieder vor der CISL, wobei bei beiden Verbänden 50% der Mitglieder „pensionisti“ (Rentner) sind !

 

Der Führer der CGIL: Ein Verlegenheitsverhalten des Confindustria-Präsidenten gegenüber dem Haushaltsgesetz

 

Epifani greift Montezemolo an

„Seine Position ist kurzsichtig“

 

ROBERTO MANIA

 

ROM – „Die Position der Confindustria zum Haushaltsgesetz ist kurzsichtig. Das ist nur eine Verlegenheitslösung, weil sie ein Ergebnis einfährt. Das erste und auch das einzige.“ Guglielmo Epifani (Generalsekretär der CGIL) verschärft nie den Tonfall, aber nicht aus diesem Grund fällt sein Urteil über die Industriellen weniger hart aus. Am Tag nach der Proklamation des Generalstreiks am 25.November bekennt er sich zur Kohärenz der Gewerkschaft in einem Land, in dem – wie er behauptet – „die Wendehälse an der Tagesordnung sind“. Und er fügt hinzu, dass er niemals verstanden habe, was der Führer der Industriellen <und FIAT-Aufsichtsratsvorsitzende>, Luca di Montezemolo, wirklich zur Wahlrechtsreform <zu Berlusconis Gunsten> meine. Von dem ganzen Manöver rettet er nur die Senkung der Arbeitskosten. Aber Epifani stellt klar: „Das ist eine Idee der Gewerkschaft, die bereits <im Dezember 1998> in dem mit <dem damaligen DS-Ministerpräsidenten> D’Alema und <dem christdemokratischen Staatspräsidenten und ehem. Zentralbankchef> Ciampi unterzeichneten Weihnachtspakt vorgesehen war.“ Er fordert, dass die Reduzierung des Beitragkeils auch dazu dient, die Tariflöhne zu erhöhen und lanciert den gewerkschaftlichen Gegenhaushalt.

 

Verschiedene Vertreter der Regierung beschuldigen Euch, einen politischen Streik proklamiert zu haben. Was erwidern Sie darauf?

 

„Diese Reaktionen bestätigen, dass es sich um eine gerechten, um einen sakrosanten Streik handelt, der eine Veränderung fordert. Angesichts der Versuche des Ministerpräsidenten und von Regierungsvertretern, die Aufmerksamkeit von den wirklichen Problemen abzulenken, ist es wieder einmal die Aufgabe der Gewerkschaft eine, aufgrund der Regierungspolitik immer stärkere soziale Unzufriedenheit zu interpretieren und ihr Stimme zu verleihen. Weil diese Politik die Bedingungen der Erwerbstätigen, der Arbeit suchenden Jugendlichen, der Familien und der älteren Menschen verschlechtert. Das Haushaltsgesetz sieht nichts für die Entwicklung vor, kürzt die Mittel für den Mezzogiorno <d.h. Süditalien, Sardinien und Sizilien> und für die Infrastrukturen, kurbelt in keiner Weise den Konsum an, verdrängt völlig das große Problem der Preissteigerungen und vergisst die Einkünfte aus Arbeit und Rente.“

 

Auch der stellvertretende Confindustria-Vorsitzende Bombassei sagte, dass es sich um einen politischen Streik handelt.

 

„Es trifft einen wirklich, dass Bombassei zum selben Argument greift wie die Regierung. Ich frage mich: Was findet die Confindustria von den Vorschlägen, die wir in einem gemeinsamen Dokument gemacht haben, im Haushaltsgesetz wieder? Hat sie bemerkt, dass sich die einzige Antwort nicht auf das bezog, was sie gefordert hatte, nämlich die Reduzierung der <Wertschöpfungsabgabe> IRAP, sondern auf das, was die Gewerkschaft gefordert hatte, nämlich die Reduzierung des Beitragskeils. Ich füge hinzu: Wie gedenkt die Confindustria die Entlastung bei den Arbeitskosten um einen Prozentpunkt zu nutzen? Denkt sie z.B. daran, diesen Spielraum zu nutzen, um einen anderen Vorschlag für den Tarifvertrag der Metallarbeiter zu machen oder nicht?“

 

Schlagen Sie vor, dass ein Teil der Reduzierung der Arbeitskosten für Lohnerhöhungen verwendet wird?

 

„Ja, zum Teil muss sie an die Werktätigen (lavoratori) gehen.“

 

Aber auch die Unternehmen haben eine Verringerung der übermäßigen Belastungen gefordert.

 

„Ja, aber sie haben sich monatelang für einen immer unwegsameren und komplizierteren Weg, wie den der Reduzierung der IRAP begeistert. Während wir erklärt haben, dass die IRAP direkt den Gesundheitsausgaben dient. Hier ist allerdings in einem Land, das dazu neigt, den Wert der Kohärenz <d.h. der Einheit von Wort und Tat> zu vergessen, eine Lehre zu ziehen: Die Verringerung der übermäßigen Belastung um einen Prozentpunkt war bereits im Weihnachtspakt <von 1998> vorgesehen.“

 

Wie immer dem auch sei, räumen Sie ein, dass es innerhalb des Manövers eine gute Idee ist?

 

„Es ist die einzige positive Sache, die es darin gibt.“

 

Wie wird Euer Gegen-Haushalt aussehen?

 

„Es gibt 4 Prioritäten: Kampf gegen die soziale Unzufriedenheit, eine Politik, um den Preissteigerungen entgegenzutreten, Wiederbelebung des Mezzogiorno sowie die Verteidigung der Einkommen aus Arbeit und Rente.“

 

Mit welchen Ressourcen?

 

„Wir denken an einen wirklichen Kampf gegen die Steuerhinterziehung, an die Vereinigung der Einkommenssteuersätze und an eine Abgabe auf die großen Profite der Ölgesellschaften.“

 

Von Bekämpfung der Steuerhinterzeihung redet auch die Regierung.

 

„Aber nein. Die Regierung sagt gar nichts mehr. Das Steueraufkommen stagniert mittlerweile – wie immer – mit der Ankündigung der x’ten Amnestie für Steuersünder.“

 

Sie sprachen vorhin von Kohärenz. Denken Sie da auch an die Debatte über die Wahlrechtsreform?

 

„Sicher. Dies ist ein Land, in dem die Wendehälse an der Tagesordnung sind. Ich denke da an all jene, die für das Mehrheitswahlrecht waren und dann ihre Meinung geändert haben. Ich denke an den unfairen Versuch, das Gesetz 6 Monate vor der Wahl zu ändern. Und ich denke schließlich daran, dass sich eine heruntergekommene öffentliche Ethik durchgesetzt hat, in der die Zwecke und niemals die Mittel zählen.“

 

Wie beurteilen Sie Montezemolos Position zum Wahlgesetz?

 

„Die habe ich nicht verstanden. Ich vergesse jedoch nicht den großen Druck, den die Confindustria <seinerzeit> für den Übergang zum Mehrheitswahlrecht gemacht hat. Im übrigen habe ich den Eindruck, dass die Jungunternehmer und ein Großteil der Unternehmer <insgesamt> diese Position bestätigen. Ich habe wirklich nicht begriffen, was Montezemolo in Capri gesagt hat. Ob er eine Kritik am geltenden Modell geübt hat oder soweit gegangen ist, eine Operation der Rückkehr zum Verhältniswahlrecht zu decken.“

 

Kommen wir zur Reform der Abfindungszahlungen (TFR). <Lega Nord-Arbeitsminister> Roberto Maroni droht mit Rücktritt und die Regierung ist gespalten. Wie wird das enden?

 

„Es passiert derzeit etwas, das ich vorausgesehen hatte, weil hier Berlusconis Interessenkonflikt im Versicherungssektor von Bedeutung war. Wir haben ein gutes Gewissen, aber wenn unsere Vorschläge nicht angenommen werden, wird die zusätzliche <private> Altersvorsorge von der Gewerkschaft nicht gefördert. Am Ende wird diese ganze Lobby keinerlei Ergebnis erzielen.“

 

Wird Maroni zurücktreten?

 

„Nein. Ich habe niemals erlebt, dass ein Minister ernsthaft zurückgetreten ist.“

 

<Wirtschafts- und Finanzminister> Siniscalco hat es getan.

 

„Erst ist <Forza Italia-Wirtschafts- und Finanzminister> Tremonti zurückgetreten und dann ist er auf denselben Posten zurückgekehrt. Sie haben Marzano zum Rücktritt gedrängt, der seltsamerweise heute dem Nationalen Rat für Wirtschaft und Arbeit (CNEL) vorsitzt. Marzano ist ein guter Mann, aber es gibt keinen vorangegangenen Fall, wo ein Minister in den CNEL wechselt. Siniscalco konnte nicht länger Wasser predigen und Wein trinken. Er musste die Konsequenzen daraus ziehen. Und Maroni? Wenn er wirklich zurücktritt, genießt er unsere Wertschätzung.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover