Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Zur Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich am 29.Mai 2005 nahm auch der Sprecher der linken italienischen Basisgewerkschaft Cobas Scuola (Basiskomitees Schule), Piero Bernocchi, Stellung. Die Cobas Scuola (5.000 Mitglieder), die über eine breite Verankerung, insbesondere in den Elementarschulen verfügen, stellen den Hauptteil der Confederazione Cobas, die ansonsten vor allem im Gesundheitswesen, im Öffentlichen Dienst, in den Universitäten und im Transportsektor aktiv ist. Wie ihrer Homepage (www.cobas.it) zu entnehmen ist, hat sich mittlerweile (am 5.6.2005) die gesamte Confederazione Cobas diese Stellungnahme zu eigen gemacht.

Piero Bernocchi (1947 in Foligno / Umbrien geboren) hat eine lange Vergangenheit in der radikalen Linken, war in der Autonomia-Bewegung von 77/78 sehr aktiv, von 1979 – 85 Direktor des linken Radiosenders „Radio Città Futura“ (Radio Stadt der Zukunft) und ist Autor mehrerer Bücher über politische und gewerkschaftliche Themen und insbesondere die Entwicklung der radikalen Linken. Er gehört außerdem zu den wichtigsten Vertretern der italienischen Antiglobalisierungsbewegung.

 

Ein riesengroßes „Dankeschön“ an das französische Volk

 

Das französische Volk hat für uns alle eine außerordentliche Schlacht gegen den Wirtschaftsliberalismus / Freihandel in Europa gewonnen. Und wir alle senden ihm ein riesengroßes „Dankeschön“.

 

Bei einer sehr hohen Wahlbeteiligung (über 70%) und einer deutlichen Mehrheit (fast 56%) hat das NEIN zur wirtschaftsliberalen und kriegstreiberischen Europäischen Verfassung triumphiert, obwohl alle großen französischen Massenmedien eine wüste Dämonisierung der Kräfte betrieben haben, die sich dem US-amerikanischen Sozialmodell eines ungezügelten Freihandels und des permanenten und globalen Krieges widersetzen. Alle wichtigen französischen Machtzentren haben unisono versucht, die Franzosen davon zu überzeugen, dass der Sieg des Nein den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch Europas bedeuten würde und dass das Nein von fremdenfeindlichen, rassistischen Motiven und einem engstirnigen nationalen Egoismus getragen werde.

 

In Wirklichkeit steht außer Frage, dass die Motivation der übergroßen Mehrheit in dieser außergewöhnlichen und unvorhergesehenen Massenmobilisierung des französischen Volkes (die Viele an `68 oder den lang andauernden Generalstreik von `95 erinnert hat) die Verteidigung des Sozialstaates, der nicht privatisierten und nicht vermarkteten öffentlichen Dienste, der Schule und des Gesundheitswesens, die Verteidigung der Stabilität der Arbeitsplätze und der Renten war. Kurz: die Verteidigung all dessen, was das wirtschaftsliberale europäische Verfassungsmodell mit seinen Bolkestein- und Arbeitszeit-Richtlinien, mit seinem Willen, überall die Prekarisierung der Arbeit und des Lebens, die Herrschaft des Marktes und der „freien“ Kommerzialisierungskonkurrenz… durchzusetzen, abbauen möchte.

 

Angesichts einer so einhelligen Mobilisierung, eines ganzen Volkes, das monatlang leidenschaftlich über sein Schicksal angesichts eines epochalen Übergangs diskutiert, können wir das allgemeine Schweigen, das die Ratifizierung des europäischen Verfassungstextes in Italien begleitete, nur mit großer Verlegenheit betrachten. Wir können uns nur damit behelfen, dass wir an eine Art „genetischer“ demokratischer Überlegenheit des französischen Volkes uns gegenüber denken und die Tatsache als Entschuldigung anführen, dass in Italien in dieser Sache kein Referendum erlaubt ist.

 

In Wirklichkeit leiden wir unter einer Reihe von politischen Schwierigkeiten. Erstens hat in Italien – im Unterschied zu Frankreich die übergroße Mehrheit der Mitte-Linken für den Verfassungstext Partei ergriffen, mit den Rutellis <Anm.1>, die sich sogar auf Dienstreise begeben haben, um die Franzosen davon zu überzeugen, mit Ja zu stimmen und den Prodis, D’Alemas und Fassinos <Anm.2>, die sich darüber ausweinen, dass die „Unverantwortlichen“ jenseits der Alpen das wirtschaftsliberale „Spielzeug“ kaputt gemacht haben. Zweitens <ist da> die seit mehreren Jahrzehnten von Mitte-Rechter und Mitte-Linker Arm in Arm betriebene Kampagne, die den Italiener(inne)n die alte Leier eingehämmert hat: „Privat ist schön – Öffentlich ist eklig!“ Das sorgt dafür, dass viele Italiener sich heute nicht mehr verpflichtet fühlen, die öffentlichen Strukturen und die sozialen Dienste mit derselben Eigensinnigkeit und demselben Stolz zu verteidigen wie die Franzosen. Und schließlich gibt es auch innerhalb der „No global“-Bewegung viele und bedeutende Kräfte, von denen nicht zu hören war, dass sie offen für das NEIN eintreten, weil sie befürchteten als „Anti-Europäisten“ <d.h. europafeindliche Kräfte>, als Anhänger der <rechtspopulistischen> Lega Nord, als Ausländerfeinde, als engstirnige Nationalisten usw. behandelt zu werden. Und selbst als es darum ging, gegen die Unterzeichnung der Verfassung <am 29.10.2004> in Rom zu demonstrieren, gelang es nicht, eine gemeinsame Front zu bilden. Es wurde gegen den Krieg demonstriert, aber nicht gegen den <Verfassungs-> Vertrag und wir waren sehr Wenige, die heimlich wenige Schritte vom Campidoglio <dem Hauptsitz der römischen Stadtverwaltung> entfernt, wo gerade die Unterzeichnung der Verfassung vonstatten ging, protestierten.

 

Zu unserem und zum allgemeinen Glück haben die Französinnen und Franzosen allerdings weder diese Befürchtungen gehabt noch diese Spaltungen erlebt und dem wirtschaftsliberalen Europa eine schallende Ohrfeige verpasst, damit die Partie im großen Stil neu eröffnet, eine fruchtbare Phase des anti-wirtschaftsliberalen und Anti-Kriegs-Kampfes eingeleitet und nicht nur die Bolkesteins und die offenen Wirtschaftsliberalen in äußersten Alarmzustand versetzt, sondern z.B. bei uns die Prodis, Rutellis, D’Alemas und Fassinos untereinander in großen Konflikt gestürzt, soweit es um die aufzuteilenden Machtanteile geht. Einmütig und geschlossen sind sie allerdings in der Verteidigung der wirtschaftsliberalen Verfassung und bei der Stigmatisierung ihrer erbitterten und am Ende siegreichen Gegner. Und nun: Vorwärts Holland !

 

Piero Bernocchi

(nationaler Sprecher der Cobas Scuola)

 

Anmerkung 1:

Der Journalist und ehemalige grüne Bürgermeister von Rom, Francesco Rutelli (geboren am 14.6.1954 in Rom), ist jetzt der Kopf der „Margerite“, d.h. des christdemokratisch-liberalen Parteien- und Personenbündnisses, das den rechten Flügel des mitte-linken Olivenbaum-Bündnisses bildet.

Anmerkung 2:

Der ehemalige italienische Ministerpräsident Massimo D’Alema ist Parteipräsident der aus der 1990 aufgelösten italienischen KP hervorgegangenen Linksdemokraten (DS), Piero Fassino ihr Generalsekretär.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkungen und Einfügungen in eckigen Klammern:

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