Antifa-AG der Uni
Hannover:
Im
Vorfeld des französischen Referendums über die Europäische Verfassung sorgte
Antonio Negris Pro-EU- und Pro-Verfassungs-Plädoyer in der französischen
Tageszeitung „Libération“ vom 13.Mai 2005 in der italienischen Linken für
einiges Aufsehen. Neben dem ehemaligen Weggefährten Negris in der Organisation
Potere Operaio (Arbeitermacht) und – von 1977 bis 1979 in der Autonomia Operaia
(Arbeiterautonomie), Oreste Scalzone, meldete sich auch Salvatore Cannavò zu
Wort. Cannavò ist stellvertretender Chefredakteur der von Rifondazione
Comunista (PRC) herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“ und einer der Köpfe
der „ERRE“-Strömung, der italienischen Sektion der 4.Internationale, die
innerhalb Rifondaziones zum linken Parteiflügel gehört und 6,5% der gut 97.000 PRC-Mitglieder
repräsentiert. Cannavòs Diskussionsbeitrag geht über eine reine Replik auf
Negris Begeisterung für den EU-Imperialismus hinaus und sucht die Ursachen für
dieses politische Abdriften in seinem Buch „Empire“. Der Beitrag erschien in „Liberazione“
vom 15.5.2005.
Toni Negri für das
wirtschaftsliberale Projekt
Das „Empire“ endet in der
europäischen Verfassung
Salvatore Cannavò
Mit seinem – vorgestern in
einem Interview für die französische Tageszeitung „Libération“
angekündigten – Ja zur Europäischen Verfassung landet Toni Negri bei einer
(unserer Einschätzung nach falschen) politischen Schlussfolgerung, die den
analytischen Ansatz des „Empire“ konsequent anwendet, d.h. den Ansatz des 2001
zusammen mit Michael Hardt verfassten Buches, in dem eine sicherlich suggestive
Analyse enthalten ist, die auch in dieser Schlussfolgerung ihre
Unzulänglichkeit zeigt.
Negris Argumentation kann
als konkret und pragmatisch erscheinen, zumindest wurde sie von der
progressiven französischen Intelligenzia
so begrüßt, die den Sieg des Nein beim Referendum am 29.Mai fürchtet.
Übrigens bezeichnet sich Negri in dem erwähnten Interview mit einem kühnen
Oxymoron <d.h. der
Zusammenstellung zweier sich widersprechender Begriffe in einer rhetorischen
Figur> als einen „realistischen
Revolutionär“. Solcher Realismus ist vom Willen diktiert, zu verhindern, dass
durch die Ablehnung der europäischen Verfassung die Argumente und die
Interessen des Imperiums (verstanden als „die neue globalisierte
kapitalistische Gesellschaft) die Oberhand gewinnen können. „Europa“, so Negri,
„kann eine Bremse gegen das Einheitsdenken des wirtschaftlichen Unilateralismus
sein, der kapitalistisch, konservativ und reaktionär ist. Aber Europa kann sich
auch zur Gegenmacht gegen den amerikanischen Unilateralismus aufschwingen,
gegen seine imperiale Herrschaft, seinen Kreuzzug im Irak, um das Erdöl zu
beherrschen.“ Diese Bremse kann, Negri zufolge, absolut nicht jener
„Scheiß-Nationalstaat“ sein, „der dazu bestimmt ist, zu verschwinden“. Europa
hingegen sei der politische Raum, in dem man den Staat verschwinden lassen
könne und es sei nicht so schlimm, wenn die Verfassung heute nicht Trägerin
eines alternativen Gesellschaftsmodells sei (das räumt Negri ein) und im Grunde
für eine liberale und Freihandels-Vorstellung von der Organisation der
Gesellschaft eintrete und – perspektivisch – für eine staatliche Organisation
auf europäischer Ebene.
„Das ist nicht der Punkt“,
lautet die Antwort, weil die Verfassung ein Mittel darstelle, „einen Übergang“,
um zu einer supranationalen Staatlichkeit zu gelangen – „einer neuen Etappe hin
zu einem größeren Föderalismus, auch wenn die Verfassung selbst durchaus nicht
föderalistisch ist.“ Ein Mittel also und nicht anderes: „Man muss schwachsinnig
sein“, fährt Negri fort, „um zu glauben, dass man die Gleichheit ausgehend von
einer Verfassung schaffen könne.“ Der Punkt – erklärt er – sei die Dynamik, die
man in Bewegung setze und wenn Franreich die europäische Verfassung ablehne,
würde das gesamte Gebäude einstürzen und dem Nationalstaat die einzige Funktion
überlassen, dem Imperium entgegenzutreten. Wenn das Nein gewinnt, sei das die
Rückkehr ins Mittelalter. Wenn das Ja gewinnt, sei das die Möglichkeit, zwei
Modelle einander gegenüber zu stellen: „das europäische und das amerikanische“.
Wer für das Nein kämpft,
wird also als ein Konservativer und ein Obskurantist <d.h. ein Gegner der Aufklärung> dargestellt, während der Kampf für das Ja
revolutionär sei, ja sogar „realistisch revolutionär“.
Es gibt keinen Zweifel, dass
der Sieg des Ja beim französischen Referendum einen unbestreitbaren Schubeffekt
für das Projekt der europäischen Vereinigung hätte, wie wir es seit Maastricht
erlebt haben, aber auch schon vorher. Ein – langsames, widersprüchliches und
durchaus nicht vorgezeichnetes – Projekt zur Schaffung einer supranationalen
Subjektivität als funktionaleres Mittel, um in der modernen Globalisierung zu
navigieren und somit auch, um ein politisches, ökonomisches (und militärisches)
Gegengewicht zur Übermacht der USA darzustellen.
Wenn dem allerdings so ist,
dann funktioniert die Analyse des „Empire“ nicht mehr oder ist zumindest
fehlerhaft.
Das „Empire“ stützt sich auf
die grundlegende Annahme, dass der Planet von einem multinationalen
Machtnetzwerk „regiert“ wird, das den zuvor existierenden institutionellen
Räumen gegenüber (seien diese nun Staaten oder die Organisation der Vereinten
Nationen) indifferent ist. Die Welt wird beherrscht von einer souveränen
Struktur, die sich neuer Institutionen bedient (der WTO oder dem IWF – aber
auch keiner davon) und es bringt nichts, ihr eine Staatlichkeit (die Nation)
entgegenzusetzen, die sich auf dem Weg der Überwindung befindet. Das einzige
Subjekt, das eine wirksame Gegenposition beziehen kann, ist die Multitude, d.h.
die diversen politischen und sozialen Subjekte, die imstande sind, sich als ein
zusammengesetztes und differenziertes Ganzes wahrzunehmen, das in der Lage ist,
aus dem Imperium „abzuwandern“, aus seinen Gesetzen und seinen Regeln
auszusteigen, den Gehorsam zu verweigern und eine „andere“ Gesellschaft zu
schaffen.
Nur, dass Negri die
Widersprüche nicht sah. Es stimmt, dass die Welt immer mehr von einem dichten
Netzwerk ökonomischer und finanzieller Verflechtungen durchzogen ist, die sie
unauflöslich in einer einheitlichen Entität verbinden. Diese Realität ist
bisher allerdings noch eine Tendenz, eine sich entwickelnde Hypothese / Möglichkeit,
in der es auch andere Tendenzen gibt, die oftmals unterschiedlicher Natur sind.
Der Irak-Krieg z.B. hat die Grenzen einer Analyse aufgezeigt, die sich die
Kommandostrukturen des Planeten als untereinander vereint und nicht
differenziert vorstellte. In diesem Krieg haben die USA die traditionellen
Mechanismen ihres Imperialismus aktiviert: Pflege der Interessen des eigenen
Kapitals; militärischer Komplex im Dienste der Wirtschaft; absolute Herrschaft
über ein Territorium (mit der sehr starken Aktivierung eines internen
„Widerstandes“); Wiedererlangung eines ideologischen Apparates, der in der Lage
ist, sich des „Zusammenstoßes der Zivilisationen“ <bzw. „Clashs der Kulturen“> als Bindemittel des imperialistischen Unternehmens
zu bedienen. Diese Offensive hat Europa in Schwierigkeiten gebracht, vor allem
seine deutsch-französische Achse und damit die von den US-amerikanischen
abweichenden Interessen verdeutlicht und erneut eine Dynamik
„innerimperialistischer Widersprüche“ hervorgerufen – so unecht und in eine
Tendenz zur Globalisierung, die Europa nicht zufällig spaltet, eingefügt sie
auch waren – die eine überhastete Analyse als vollkommen überwunden ansah.
Negris Analyse versuchte das
auszugleichen, indem sie eine neue Kategorie in Anwendung brachte, die <noch> zweifelhafter ist als die vorherige: den
amerikanischen „Putsch“ im Imperium. Washingtons Rückzug auf die eigenen
nationalen Interessen als einen „Staatsstreich“ innerhalb der Gesetze, die die
globalisierte kapitalistische Gesellschaft regelten. Eine Hypothese, um den
ursprünglichen Ansatz am Leben zu halten, der jedoch plötzlich eine unerwartet
positive Ausrichtung annahm (die von den Bewegungssubjekten in der Tat
überhaupt nicht verstanden wurde).
Es handelte sich um einen
verspäteten und ineffizienten Ausgleich und in Wirklichkeit ist es so, das
Negri gezwungen ist, sich noch weiter zurückzuziehen und auf eine Polarisierung
zu setzen, die die anfängliche Annahme vollkommen brüchig werden lässt. Das
Europa, das ein Bestandteil des
Imperiums sein sollte, wird heute nämlich zu einer „möglichen Bremse“ für die
Übermacht des Imperiums. So wird dieses de facto nur auf die Vereinigten
Staaten reduziert und damit („das ist nicht der Punkt“) die kapitalistische
Natur der europäischen Verfassung relativiert. Auf diese Weise beseitigt man
die Tatsache, dass die Verabschiedung der europäischen Verfassung in der
gegenwärtigen Situation sicherlich ein Gegengewicht zur US-Macht schaffen
würde, allerdings nur dann, wenn sie den Erfolg eines wirtschaftsliberalen Projektes
bestätigen würde, das dem europäistischen <d.h. europafreundlichen> Kapitalismus sehr am Herzen liegt (der
deutsch-französischen Achse ebenso wie Zapateros spanischem <Kapitalismus> oder Prodis italienischem), dessen Qualität nicht
notwendigerweise besser ist. Man denke an Bolkestein, an die
Arbeitszeitrichtlinie, an die Politik gegenüber den Migranten oder an die
Bestrebungen zum Aufbau einer europäischen Armee.
Von dieser Seite aus landet
man am Ende in einem Netz, das bereits für die Arbeiterbewegung des
20.Jahrhunderts aufgespannt worden war und in dem sich diese oftmals verfangen
hat. Was dazu führt, den progressivsten Kapitalismus zu unterstützen, weil er es
„erlaubt, in einer fortgeschritteneren Dimension zu agieren“. Abgesehen davon,
dass man – immer zu spät – bemerkt, dass die Forderungen der Arbeiterbewegung
in der Zwischenzeit den Interessen des stärkeren Subjektes geopfert werden.
Das ist es, was gegenwärtig
in Europa geschieht und es stimmt durchaus nicht, dass ein Sieg des
europäischen Kapitalismus gegen den US-amerikanischen für die Arbeiterbewegung
besser sei, weil die Arbeiterbewegung heute, nach den Erfahrungen der
„alternativ globalisierenden“ („altermondialista“) Bewegung – der
Sozialforen und der errichteten supranationalen Netzwerke – (auch auf der
internationalen Ebene) in der Lage wäre, selbst eine Alternative zu beiden zu
repräsentieren, ohne sich notwendigerweise ein Wiederaufleben des Nationalismus
vorstellen zu müssen. Der Sieg des Nein in Frankreich würde keinen Rückfall in
wer weiß was für ein Mittelalter bedeuten, sondern nur die Möglichkeit, einen
Prozess neu zu eröffnen. Einen Prozess, dem das Eintreten für eine
supranationale, aber solidarische, friedliche und egalitäre Staatlichkeit
zugrunde liegt. Wenn Negri das Wort sozialistisch nicht gefällt, soll er es
doch beiseite legen, aber uns nicht als Konservative darstellen, weil er am
Ende seiner analytischen Entwicklung selbst der Konservativste sein wird.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover