Anläßlich des überraschenden und für die sogenannte
“plurale (Regierungs-)Linke” vernichtenden Ergebnisses des ersten Wahlganges
der französischen Präsidentschaftswahl führte die linke
italienische Tageszeitung “il manifesto” nach längerer Zeit wieder
ein Interview mit dem Sekretär von Rifondazione Comunista, Fausto
Bertinotti, bei dem dieser ausgehend von der Einschätzung der Lage
in Frankreich auch einige grundsätzlichere Feststellungen trifft.
Was interessant ist, auch wenn wir beispielsweise seinen Wahlaufruf für
Chirac nicht im Geringsten teilen.
Das Interview erschien in “il manifesto” vom 23.4.2002.
“Ohne Alternative verliert man.”
Cosimo Rossi
“Ich würde Chirac wählen.” Der Sekretär von Rifondazione Comunista, Fausto Bertinotti, hat keine Zweifel: Es geht nicht darum, eine Regierung zu wählen. Es ist erlaubt, “den politischen Gegner zu wählen, den es zu bekämpfen gilt”, weil das Ergebnis der französischen Präsidentschaftswahl “dramatisch” ist.
Niemand hat Le Pen in der Stichwahl erwartet. Es hat sich jedoch herausgestellt, daß es außer der radikalen Linken auch eine Anti-System-Rechte gibt, die durchkommt.
“Trotz allem würde ich sagen: nein. Die Linke bringt, wenn auch in Formen, die ein nicht einfaches Verhältnis zur Politik feststellen, eine Systemkritik zum Ausdruck, während von rechts die Antipolitik auftaucht. Die Kritik manifestiert sich in gewissem Maße in einer großen Anzahl von Enthaltungen, in der ureigensten Form der Verweigerung. Aber sie wird auch im Votum für die Linke absorbiert. Rechts manifestiert sich dagegen eine besonders gefährliche Form von Nicht-Politik, die in der Ersetzung der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen politischen Optionen, zwischen verschiedenen Programmen durch eine horizontale Auseinandersetzung zwischen Subjekten und Realität besteht, die der Identität einen Platz geben. Die Identität wird in der Rechten beim politischen Konflikt ersetzt. An seiner Stelle steht der Konflikt mit dem Immigranten. Deshalb ist sie wirklich alarmierend.”
Doch niemand hatte das in dieser Form erwartet, sonst wären die Lager und die Inhalte des Wahlkampfes vielleicht andere gewesen.
“Den Aufschwung Le Pens hat man gesehen. Gewiß, die ungeheure Sache ist das Überholen von Jospin gewesen - als politisches und auch als symbolisches Element. Auch alle Umfragen sind, so scheint mir, sehr stark widerlegt worden. Ich habe den Eindruck, daß alle durch den Persönlichkeitseffekt verzerrt worden sind: Diejenigen <Parteien>, die durch den Popularitätseffekt der Führer mitgerissen wurden, wurden redimensioniert, während diejenigen wachsen, die weniger populäre Führer hatten. Ich habe daher den Eindruck, daß man eine Angleichung schafft, die eine Differenzierung und eine Zersplitterung anzeigt, die die Auswirkung - nicht die Ursache - der Krise der Politik sind.”
Die plurale Linke ist zerlegt worden und unfähig eine Beziehung zur radikalen Linken herzustellen ...
“Ich denke, daß sie die Verantwortung dafür hat einer thematischen Hierarchie der Probleme ausgesetzt gewesen zu sein, weil sie einen Wahlkampf über die Themen der Sicherheit erlaubt hat. Von diesem Gesichtspunkt aus ist das eine Bestätigung dessen, was wir seit langem sagen: Die Mitte-Linke ist weltweit tot. Auch in der höchsten Form (der von Jospin) entzieht sie sich der allgemeinen Krise der Politik nicht, da es ihnen nicht gelingt die notwendige Zustimmung zu gewinnen, um Transformationskraft zu werden. Wenn drei Tage vor der Wahl 30-40% der Franzosen keine Unterschiede zwischen Jospin und Chirac sehen, bedeutet das, daß man eine tiefgehende Krise produziert hat. Deshalb ist die Krise der Regierungslinken die Krise der Politik der Konkurrenz in der Mitte, die auch die brennenden Reformwünsche erstickt.”
Auch für die alternative Linke gibt es ein Problem der Wirksamkeit des politischen Handelns, wenn der Preis für ein Geltendmachen der Kritik der Durchbruch der Rechten ist ...
“Aber nein. Die französische Regierungslinke hat ihre Grenzen verteidigt - so wie in Italien. Sie sind unter dem Schirm einer gemeinsamen Regierungsbeteiligung in die Wahlen gezogen, ohne Teile zu verlieren. Daher betrifft die Niederlage einzig ihre Anziehungskraft: jene Mehrheit der Franzosen, die <bei der letzten Parlamentswahl> für die Regierungslinke gestimmt hat, hat ihrem Führer nicht erlaubt in die Stichwahl zu gehen. Es ist sinnlos sich über diejenigen aufzuregen, die außerhalb dieser stehen. Der zu untersuchende Punkt ist nur jener <erstere>. Wenn man dann über die Tatsache nachdenken muß, ob eine Linke der <gesellschaftlichen> Alternative auf der Grundlage dieser Analyse Gestalt annehmen sollte, denke ich: ja. Dennoch muß eine Linke der Alternative die Krise deutlich machen. Und weil es auch eine Krise der Politik gibt, funktioniert es nicht nach alten Paradigmen zu argumentieren.”
Und was funktioniert ?
“Es gibt Bedarf an einem Neu(be)gründungsprozeß, da ist nichts zu machen. Ein Neu(be)gründungsprozeß der Linken und der Politik, die den ganzen Bogen der demokratischen Kräfte betrifft. Sonst wird die Politik von dem Abgrund verschlungen, der sich durch die Krise des sozialen Zusammenhaltes aufgetan hat. Ich denke, daß das Fehlen eines Diskurses der alternativen Linken ein Verlust für jede der vorhandenen Formationen wäre. Der PCF hat zwischen der Mitgliedschaft in der Regierung und dem Versuch, vielen Protestformen (angefangen bei den Kämpfen für die Beschäftigung) Stimme zu verleihen, eine sehr schwierige Erfahrung durchlebt. Die beiden Sachen kann man nicht mehr zusammen machen. Das Zentrum des Regierens ist absorbierend und zerstörerisch für die Identität. Wollen wir es in italienischen Begriffen sagen ? Der periodische <Regierungs->Wechsel tötet die Alternative. Die Linke muß ausgehend von der Alternative neu beginnen.”
An diesem Punkt <eingehakt>, entdeckt man, daß sich das verleumdete Italien, wo eine starke soziale Auseinandersetzung im Gange ist, auf Europa bezogen in der Gegenrichtung bewegt...
“Die soziale Auseinandersetzung liegt in der Gegenrichtung. Hier sind die populistischen und fremdenfeindlichen Schübe in die Regierung gelangt. Aber andererseits ist ein Wachstumsprozeß der Bewegungen und ein hohes Niveau der Gegenposition entstanden als diese Mehrheit den Durchbruch auf dem sozialen Gebiet versuchte. Dies stellt ein großes Potential und eine große Gelegenheit dar. Hier könnte sich ein Neu(be)gründungsprozeß bereits auf eine Bewegung stützen, die mehr als eine Frage ist. Damit er gelingt, muß er von dem Gedanken ausgehen, daß das was neu zu (be-)gründen ist, eine Linke der <gesellschaftlichen> Alternative ist. Die Mitte-Linke ist tot und wenn Du Dich nicht davon trennst, endest Du im Treibsand.”
Sonst kann man eine politische Einheit neu zusammensetzen, die in der Lage ist zu siegen ?
“Ja. Das ist so sehr der Fall, daß ich denke, daß man in
bezug auf den <Kündigungsschutz->Artikel 18 <des italienischen
Arbeiterstatuts> siegen kann. Ich führe keine abstrakten Argumentationen.”
Vorbemerkung, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover