Antifa-AG der Uni Hannover:

 

USA und EU bemühen sich seit längerem intensiv um die Bildung eines „befreundeten“ und „reformorientierten“, d.h. für ihre imperialistischen Interessen und die Pläne von IWF und Weltbank offenen, Lagers. Dabei setzen sie auf die mit Saudi-Arabien verbundene sunnitische Allianz unter Ministerpräsident Fouad Siniora und dem Großkapitalisten Saad Hariri (dem politischen und ökonomischen Erbe des im Februar 2005 von Unbekannten ermordeten „libanesischen Berlusconi“ Rafiq al-Hariri) von der Hariri Incorporated sowie der rechtsradikalen Falange unter Samir Geagea und den aus dem linken Lager übergelaufenen Drusenführer Walid Jumblatt. Das „uneinsichtige“, de facto antiimperialistische, Lager besteht aus dem Bündnis der Hisbollah mit der größten Christenpartei FPM von Michel Aoun, den gemäßigten Schiiten der Amal von Parlamentssprecher Nabih Berri, der libanesischen KP, dem wichtigsten Gewerkschaftsbund CGTL, den sunnitischen Nasseristen und linken Drusen, die von den im Libanon lebenden palästinensischen Flüchtlingen unterstützt werden. Diesem (faktisch) oppositionellen Lager steht der pro-syrische Staatspräsident Emile Lahoud nahe, ein christlicher Maronit. Die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto fragte ihn anlässlich der am 26.Juli 2006 in Rom stattfindenden internationalen Libanon-Konferenz zu seiner Sicht der Lage und den Bestrebungen der wichtigsten imperialistischen Mächte, die Israel bei seinem Vernichtungsfeldzug kaum verhohlen unterstützen. Das Interview erschien ebenfalls am 26.7.2006.

 

Interview mit Präsident Emile Lahoud:

 

„Der Libanon sagt Nein zu Israels Bedingungen“

 

„Sofortige Feuereinstellung und eine UNO-Untersuchung über die israelischen Angriffe mit verbotenen Waffen. Ohne Rückgabe aller besetzten arabischen Gebiete werden wir keinen Frieden haben.“

 

MICHELE GIORGIO – aus Beirut

 

Von den Vereinigten Staaten boykottiert, weil sie ihn als „pro-syrisch“ betrachten, von einigen libanesischen Parteien und Politikern, die seinen Rücktritt verlangen, kritisiert, trat der libanesische Präsident Emile Lahoud in den letzten Tagen mit Entschiedenheit für die Verteidigung seines Landes gegen die militärische Offensive Israels ein. Wir interviewten ihn gestern in Beirut zu der heute in Rom beginnenden Konferenz über den Mittleren Osten, den Libanon-Besuch von Condoleezza Rice und die Bedingungen, die die USA für den Stopp des israelischen Angriffs stellen sowie zu der Wirkung, die dieser Konflikt auf die politische Debatte im Libanon haben wird.

 

Präsident Lahoud, morgen (für die Leser heute; Anm.d.Red.) beginnt in Rom die von Italien und den Vereinigten Staaten einberufene internationale Konferenz zum Libanon und den Mittleren Osten. Erwarten sie sich von diesem Treffen konkrete Ergebnisse?

 

„Wenn die Aufmerksamkeit auf brennende Themen wie die Aggression, unter der der Libanon derzeit leidet, gerichtet wird, ist das natürlich positiv. Gleichzeitig habe ich meine Zweifel daran, dass dieses Gipfeltreffen mit der Lösung zu Ende gehen kann, die alle Libanesen wollen: der Feuereinstellung. Kann, wenn die Israelis jeden Tag Zivilisten bombardieren und töten, eine Resolution, die Hilfszahlungen für unserer Land beschließt, ausreichen? Wir brauchen kein Geld, sondern die Einstellung des Feuers (durch Israel) und erst danach wird es möglich sein über alles andere zu diskutieren. Ich habe allerdings gehört, dass das Treffen nicht mehr als drei Stunden dauern wird und was können die Teilnehmer in so kurzer Zeit angesichts der Fülle der zu behandelnden Probleme beschließen. Ich füge hinzu, dass das Meeting zum Scheitern verurteilt ist, wenn es einzig dazu dienen soll, dem Libanon Bedingungen zu diktieren, weil man nicht durch Worte das erreichen kann, was (den Israelis) nicht gelungen ist, uns durch Gewalt zu entreißen.“

 

In den letzten Wochen war Italien in Sachen Libanon-Frage aktiv. Wie beurteilen Sie die Rolle, die die Regierung Prodi gespielt hat?

 

„Sie ist zweifellos besser als viele andere europäische Regierungen und natürlich als die der Vereinigten Staaten. Italien sucht nach einem Weg, der uns aus all dem herausführen kann, was wir derzeit erleben. Wir sind uns allerdings über den starken Einfluss der EU auf die Regierung in Rom im Klaren. Daher kann ich nicht sagen, wie viel Spielraum die führenden Männer in Italien haben.“

 

Sie haben den Einsatz verbotener Waffen, wie den Phosphorbomben, beklagt. Haben Sie die Absicht Ihre Proteste fortzusetzen?

 

„Während einer Sitzung des Ministerrates vor einigen Tagen berichteten uns die militärischen Befehlshaber, dass verbotene Waffen gegen die libanesischen Zivilisten eingesetzt wurden. Wir fordern, dass die Vereinten Nationen über all das eine gründliche Untersuchung durchführen, ohne zu vergessen, dass die Israelis auch ‚intelligente Bomben’ gegen unsere Zivilisten eingesetzt haben, obwohl alle wissen, dass diese Sprengkörper nur eingesetzt werden dürfen, um militärische Ziele von strategischer Bedeutung anzugreifen.“

 

Am Montag hat die US-Außenministerin Condoleezza Rice überraschend Beirut besucht. Sie hat ihre „Besorgnis“ über das Schicksal der libanesischen Zivilisten zum Ausdruck gebracht, es aber in jeder Weise vermieden, von Israel den Stopp der Angriffe auf den Libanon zu fordern.

 

„Ich habe versucht einigen US-amerikanischen Journalisten, die kamen, um mich zu interviewen, zu erklären, dass die USA nur daran denken, wie sie die Interessen Israels schützen können. Das ist eine faktische Tatsache. Ohne den Druck zu vergessen, den die USA (vor einigen Tagen) ausgeübt haben, um im UNO-Sicherheitsrat die Proklamation einer sofortigen Waffenruhe zu verhindern. Der Außenministerin sage ich, dass es nicht viel bringt in der Region hin und herzureisen. Wir wollen das Ende der Feindseligkeiten, weil das die einzige Art ist, um Menschenleben zu retten.“

 

Die US-Außenministerin hat sich auch auf dauerhafte und nicht nur vorübergehende Lösungen für den Libanon bezogen. Sie deutete einen Plan an, der den Rückzug des Hisbollah-Widerstandes aus dem Südlibanon und seine Entwaffnung, die Stationierung einer internationalen Truppe und anschließend der regulären libanesischen Armee entlang der Grenze zu Israel und natürlich die sofortige und bedingungslose Freilassung der beiden israelischen Soldaten vorsah, die sich in den Händen der Guerilla befinden. Der Präsident des libanesischen Parlaments, Nabih Berri, hat bereits gesagt, dass diese Vorschläge nicht umsetzbar seien, es sei denn auf Kosten eines innerlibanesischen Bürgerkrieges.

 

„Ich teile die Ansicht des Präsidenten des libanesischen Parlaments, Berri, vollkommen. Man kann vom Libanon nicht fordern, Israels Bedingungen zu akzeptieren. Die Rice muss sich auch unsere Bedingungen anhören, muss die Positionen aller Parteien anhören, weil das die einzige Möglichkeit ist, um den Dialog offen zu halten, der zu einer gerechten Lösung der Probleme führen muss.“

 

Die Probleme reichen jedoch weiter zurück und wir wissen, dass nicht nur die Vereinigten Staaten und Israel, sondern auch einige europäische Länder und sogar politische Kräfte des Libanon die volle Umsetzung der UNO-Resolution 1559 möchten, die u.a. die Entwaffnung der Milizen vorsieht, diejenige der Hisbollah inbegriffen. Ist das eine für den Libanon umsetzbare Resolution?

 

„Was diese Parteien nicht begreifen ist, dass der Libanon eine Gesamtheit von Kulturen und Religionen ist und wenn man in unserem Land über Fragen von außerordentlicher Bedeutung diskutiert, muss es einen vollständigen, totalen Konsens aller Parteien geben. Wenn es Konsens gibt, gewinnen die Libanesen. Wenn es ihn nicht gibt, dann verlieren sie. Deshalb müssen die Libanesen einen Schritt zurück machen, wieder miteinander reden und – innerhalb eines Geistes wirklich nationalen Dialogs – Lösungen innerhalb des eigenen Landes finden.“

 

Verläuft die Lösung für den Libanon über die Klärung der Zukunft der Golan-Höhen, d.h. dem von Israel 1967 besetzten syrischen Territorium?

 

„Was ich sagen kann ist, dass, um einen gerechten und endgültigen Frieden im Mittleren Osten zu erreichen, alle von Israel 1967 besetzten arabischen Gebiete an die Araber zurückgegeben werden müssen und somit auch die Golan-Höhen. Gleichzeitig ist klar, dass diese <bislang> letzte Krise sofort gelöst werden muss, sonst wird die israelische Luftwaffe den gesamten Libanon am Boden zerstören.“

 

Ist, wie in Washington behauptet wird, der Libanon der Vorgarten, in dem andere Länder (Syrien und Iran) ihre Spiele zum Nutzen ihrer eigenen strategischen Interessen betreiben?

 

„Ich antworte darauf, indem ich einige Fragen stelle. Welche Verbindung gibt es zwischen unseren in Israel (in einigen Fällen seit 30 Jahren) inhaftierten Gefangenen und Syrien und dem Iran?  Welche Verbindung gibt es zwischen Damaskus und Teheran und den Karten der Anti-Personen-Minenfelder, die Israel uns nicht aushändigen will, wodurch es noch heute Tote und Verletzte in unseren südlichen Regionen verursacht?  Welche Verbindung gibt es zwischen der israelischen Besetzung der Shebaa-Höfe und den Iran und Syrien?  Welche Verbindung existiert zwischen der Palästinenserfrage im Libanon und Syrien und dem Iran?  Es ist sinnlos um die Probleme herumzureden. Die Libanesen fordern nur ihre legitimen Rechte, die Israel negiert. Wir wollen sie nicht nur kämpfend zurückbekommen. Uns würde es genügen, sie an einem echten Verhandlungstisch zu bekommen.“

 

Präsident Lahoud, welche Auswirkung wird diese äußerst gravierende Krise auf die zerbrechlichen Gleichgewichte <bzw. Kräfteverhältnisse> des Libanon haben? Werden die politischen Kräfte der so genannten anti-syrischen Front weiterhin Ihren Rücktritt fordern?

 

„Ich bin sicher, dass die Aggression, die wir gegenwärtig erleiden, uns alle stärker und geeinter macht. Was mich anbelangt, kann ich garantieren, dass ich nicht die Absicht habe, zurückzutreten und das umso mehr heute, wo der Libanon bedroht ist. Ich habe nichts Böses getan. Ich habe mich keines Verbrechens schuldig gemacht und werde daher bis zum letzten Tag meiner Amtszeit auf meinem Posten bleiben.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover