Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Im Fall der von der konservativen Volkspartei (PP) und ihrem Ministerpräsidenten José Maria Aznar geführten spanischen Regierung gehen Kriegstreiberei (gegen die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung des spanischen Staates betrieben) und repressive Unterdrückung im eigenen Land in aufsehenerregender Weise Hand in Hand. Die Polizeiübergriffe beim Generalstreik im April 2002 zeigen dies ebenso wie das Verbot der linken baskischen Partei Batasuna und diverser baskischer Zeitungen - als bisher letzter der Wochenzeitung Egunkaria. Auch wenn wir längst nicht alle ihre inhaltlichen Positionen teilen, sehen wir es als unsere Pflicht an, zur Öffentlichkeit und Kritik dieser Praxis beizutragen. Wir tun dies mit der Übersetzung des Interviews, das in der linken italienischen Tageszeitung il manifesto am 11.3.2003 mit dem Direktor / Chefredakteur der Egunkaria, Martxelo Otamendi, erschien und rufen insbesondere alle Gewerkschaftsuntergliederungen auf, entsprechende Protestschreiben an die spanische Botschaft bzw. die örtlichen Konsulate und den verantwortlichen Richter Juan Del Olmo von der Audencia Nacional im Madrider Justizpalast zu richten. Über Solidaritätsadressen freut sich sicherlich auch die Egunkaria-Redaktion, die über die Nachfolgepublikation Egunero (www.egunero.info/english/saila.cfm) zu erreichen ist. Dort finden sich - in englischer Sprache - auch die jeweils aktuellen Meldungen über den Stand der Dinge in dieser Sache.
Die Pressefreiheit spricht nicht mehr baskisch
Interview mit dem Direktor von Egunkaria, der von Madrid geschlossenen Zeitung.
Alberto DArgenzio - Brüssel
Martxelo Otamendi ist der Direktor <= Chefredakteur> einer Zeitung, die nicht <mehr> existiert. Sie existierte bis zur Nacht des 19. auf den 20.Februar 2003 und hieß Euskaldunon Egunkaria, gewöhnlich eher Egunkaria genannt - die einzige Zeitung, die vollständig in euzkera (baskisch) erschien. Die Guardia Civil schloß den zentralen Sitz von Egunkaria in Andoain sowie die Redaktionen in Pamplona und Bilbao auf Anordnung eines Richters der Audencia Nacional, Juan Del Olmo, und inhaftierte 10 Personen, darunter den Direktor. Das Ganze unter der Beschuldigung der Zugehörigkeit zur und Mitarbeit in der terroristischen Organisation ETA. Otamendi und 3 weitere Kollegen wurden in den vergangenen Tagen freigelassen, während der präventive Gefängnisaufenthalt für die anderen 6, die der <Mitgliedschaft in einer> bewaffneten Bande beschuldigt werden, fortdauert. Wir erreichen ihn telefonisch.
Angriff auf die Pressefreiheit, 150 Beschäftigte arbeitslos, Folterungen.
Das was man in anderen Ländern und in anderen Situationen durch den Dialog lösen kann, macht man hier auf sehr viel stärkere, sehr viel härtere Weise. Sie haben die Zeitung geschlossen. Die einzige Zeitung in baskischer Sprache. Sie haben Tausende von Lesern ohne die Möglichkeit des Zugangs zur Interpretation und der Vorstellung von der Welt gelassen, die Egunkaria gibt. Es ist nicht der erste Angriff, den eine Struktur oder ein Unternehmen zur Verbreitung des Baskischen erleidet. Dasselbe ist mit Aek passiert, das die Alphabetisierungsaktivität des Baskischen für Erwachsene koordinierte, und mit Savaltzen, das literarisches und schulisches Material in Baskisch produzierte. Und jetzt verschwindet auch die einzige in baskisch geschriebene Zeitung. Dies geschah am 20.Februar. Zwei Tage später gab es die größte Demonstration, die San Sebastian jemals erlebt hat. Die Leute sind sehr wütend. Ich glaube, daß es eine Strategie des Staates gibt, um die linguistischen, literarischen und kulturellen Produktionsstrukturen, die dieses Land geschaffen hat, zu zerstören oder unbenutzbar zu machen.
Darüberhinaus die Folterungen im Gefängnis.
5 Tage lang haben sie mich ohne Möglichkeit zur Kommunikation gehalten, zweimal haben sie mir eine Plastiktüte über den Kopf gestülpt und so getan als ob sie mich erstickten. Sie haben mich gezwungen einen Haufen körperlicher Übungen zu machen. Sie haben mich nackt ausgezogen und mich nackt auf allen Vieren herumkriechen lassen. Sie ließen mich nackt die Übungen machen und beleidigten mich und meine Familie. Sie zwangen mich viele Male zu wiederholen, daß Spanien von Irun bis Algeciras und von Finisterre bis Cabo des Rosas reicht. Wahrscheinlich bereitete es ihnen ein besonderes Vergnügen, den Direktor einer baskischen Zeitung die geographischen Grenzen des Königreiches Spanien wiederholen zu hören.
Deine Anklage <dieser Praktiken> wurde vom stellvertretenden Ministerpräsidenten nicht nur als ein Angriff auf die Guardia Civil aufgenommen, sondern auch als eine klare Argumentation: Es sei eine präzise Strategie der ETA-Gefangenen die Folterungen zu denunzieren. Du hast sie denunziert, daher ist dies ein Beweis mehr für die Verbindung zwischen Egunkaria und ETA...
Ja, das ist die Argumentation, die die Regierung von sich gibt. Sie sagt, daß ich die Folterungen denunziert habe, weil ETA ihren Mitgliedern befiehlt, dies zu tun, kaum daß sie aus den Polizeirevieren oder den Gefängnissen kommen. Ich erhielt weder Befehle noch Ratschläge von ETA. Sie haben mich gefoltert und ich habe das der persönlichen Würde und der Würde des Landes wegen angezeigt. Wir können es nicht billigen, daß die Basken noch gefoltert werden und die Folter eine übliche Praxis in diesem Land ist.
Die Geschichte der Anklage gegen Deine Zeitung ist ein bißchen sonderbar.
Wir haben keine gesicherten Beweise, aber es scheint, daß der Richter Balthazar Garzón (der Autor des Verbotes von Batasuna), dem sie diese Vorgehensweise vorgeschlagen hatten, sie verwarf. Der fiscal (Staatsanwalt) von Valencia hat sie dann an den Madrider Richter Juan Del Olmo weitergeleitet, der sie hingegen als wirkungsvoll betrachtete.
Das Anklagetheorem ist schwach und inexistent, aber früher oder später findet sich ein Richter...
Mit der Entschuldigung, daß alles in Verbindung mit ETA steht, alles von der ETA verunreinigt (kontaminiert) ist, kann man fast alles machen. Man kann Zeitungen und Fernsehsender schließen und eines Morgens wird man das baskische Parlament schließen können.
Diese Theorie vom diffusen Überall-Vorhanden-Sein der ETA scheint keine Grenzen zu haben.
Nach dem 11.September ist alles schlechter, ist alles einfacher geworden. Die Welt ist in den Kampf gegen das eingereiht, was man Terrorismus nennt und die These der Regierung ist klar: Alles ist von ETA verunreinigt, also machen wir alles dicht.
Jetzt scheint die Regierung jedoch mit Egunkaria den Strick ein bißchen zu fest zugezogen zu haben. Zum ersten Mal haben die spanischen Sozialisten <d.h. die Sozialdemokraten der PSOE> die Volkspartei (PP) mit ihrer repressiven Strategie allein gelassen und Euch verteidigt. Kann die Schließung Eurer Zeitung ein Nachdenken innerhalb der zweitstärksten politischen Kraft des Landes auslösen ?
Leider sind es nicht viele Sozialisten, die diese Frage behandelt haben. Die Partei hat sich offiziell zurückgehalten. Aber die Tatsache, daß Pascall Maragall (der ehemalige Bürgermeister von Barcelona und Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten von Katalonien) meinen Foltervorwürfen Glaubwürdigkeit bescheinigt hat, hat zumindest die Tür zur Diskussion über die Methoden der Polizei geöffnet.
Die Schließung der Zeitung bedeutet auch, daß 150 Leute arbeitslos werden.
Und zum größten Teil junge Leute, viele mit dem ersten Arbeitsvertrag. Es ist ein Drama der Arbeit, auch wenn ab dem auf die Schließung von Egunkaria folgenden Tag Egunero erschienen ist, der u.a. das Dreifache <an Auflage> verkauft als wir vorher verkauften. (Jetzt erreicht man 50 000 Exemplare; Anm.d.Redaktion) Es handelt sich <bisher> um wenige Seiten. Wir wollen sobald wie möglich eine Zeitung so wie vorher machen, nach Standard, mit 56-60 Seiten.
Tausende von Leuten demonstrieren für Euch, die Verkäufe verdreifachen sich und das baskische Parlament verpflichtet sich mit einem Beschluß, Euch - auch ökonomisch - zu helfen. Einmal mehr zeigt sich die Repression als der falsche Weg.
Sie haben uns die ganze Infrastruktur genommen, aber all das zeigt, daß wir über die Fähigkeiten verfügen, weiterzumachen. Die baskische Regierung fährt fort, uns mit Hilfen zu unterstützen, die 22-23% des Haushaltes decken. Das Wichtigste ist allerdings, daß sie zur Verteidigung der Kultur und der Information in Baskisch aktiv geworden sind.
Das vielleicht Beunruhigendste ist, daß Egunkaria gewiß nicht für den nach <staatlicher> Unabhängigkeit strebenden Radikalismus eintritt.
In der Woche, in der sie uns geschlossen haben, hatten wir ein Interview mit dem Philosophen Fernando Savater von der Plattform gegen den Terrorismus Basta Ya, eines mit dem baskischen Sänger Imanolo, der sich als von ETA bedroht betrachtet und fortgegangen ist, um in Madrid zu leben, und eines mit dem Sekretär der Sozialisten von Guipuzcoa (einer der 3 baskischen Provinzen). Es existiert keine einzige Zeitung mit demselben Spektrum an Positionen. Wir sind unabhängig und pluralistisch.
Die Anschuldigung des Richters Del Olmo besagt dagegen, daß Egunkaria von ETA geschaffen, finanziert und geleitet worden sei, daß sie die Verbreitung der terroristischen Idee vereinfache und daß die Personen, die diesem Unternehmen angehören, die terroristische Strategie von ETA favorisieren.
Diese Anschuldigungen haben keinerlei Grundlage. Wenn es zu einem Gerichtsverfahren kommt, werden unsere Rechtsanwälte sie auseinandernehmen. Zu behaupten, daß wir der ETA-Strategie folgen, ist eine echte Barbarei. Wir hängen von unseren Lesern ab, von denjenigen, die uns abonnieren oder uns finanzieren, von unseren Beschäftigten, von denjenigen, die für die Rückgewinnung der baskischen Sprache arbeiten. Und nichts anderes.
Wo hat die Pressefreiheit aufgehört ?
Im Baskenland ist sie liquidiert worden. Die Regierung hat nicht im Mindesten die Absicht, unser Recht zu garantieren, die Nachrichten zu veröffentlichen. Ebensowenig das Recht der Leser, sie zu erfahren und auch nicht das Recht der kulturell und sozial Tätigen, sich publiziert zu sehen. Es gibt drei Geschädigte: Diejenigen, die Informationen verbreiten, diejenigen, die sie erhalten und diejenigen, die ein Buch herausbringen oder ein Theaterstück in Szene setzen und kein Megaphon mehr haben, kein Schaufenster, in dem sie ihr Buch, ihr Werk ausstellen <können>.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover