Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Sowohl
bei den Europawahlen als auch bei den zeitgleich abgehaltenen Kommunalwahlen in
England und Wales verbuchte Tony Blairs New Labour Party schwere
Wahlniederlagen – zum Teil von historischem Ausmaß. Während sich die Verluste
bei den Europawahlen mit minus 5,4% noch in Grenzen hielten und die
Blair-Partei hinter den Konservativen (Tories), die dort sogar 9% verloren,
immerhin noch auf dem zweiten Platz landete, rutschte sie bei den Lokalwahlen
gar auf den dritten Platz ab. Hauptprofiteur bei den Europawahlen war
die neugegründete, den EU-Beitritt ablehnende und gemäßigt populistische UK
Independance Party (UKIP), die aus dem Stand 16,1% erreichte (unter
Berücksichtigung des Ergebnisses der ähnlich gelagerten Referendumspartei vor 5
Jahren immer noch ein Plus von 9,2%). Darüberhinaus gewannen die
Liberaldemokraten 2,3% (jetzt 14,9%), die Grünen (aus dem Stand 6,3%), die
Neofaschisten der BNP + 3,9% (jetzt 4,9%) und die von der Socialist Workers Party
(SWP) initiierte und hauptsächlich getragene, linke Wahlkoalition „Respect –
The Unity Coalition“ (aus dem Stand 1,5% = 250.000 Wähler). Wobei dieses
Resultat sicherlich deutlich hinter den Erwartungen zurückblieb. Die nur in
Schottland kandidierende, linksradikale Scottish Socialist Party (SSP) gewann
dort 1,2% hinzu und liegt nun in Schottland bei 5,2% (= 61.356 Wähler).
Bei den Kommunalwahlen
verlor die New Labour Party nach Auszählung von 134 der 166 Kommunen
(vollständigere Ergebnisse liegen uns leider nicht vor) 375 Sitze in den
Gemeinderäten. Eine Hochrechnung der BBC sah sie mit nur noch 26% der Stimmen
hinter den Konservativen mit 38% und den (mittlerweile zum Teil links von New
Labour angesiedelten) Liberaldemokraten mit 30% nur noch auf dem dritten Rang.
Hauptgewinner waren hier – sicherlich auch bedingt durch das Mehrheitswahlrecht
– die Tories und die Liberaldemokraten. Das Labour-Ergebnis wurde von diversen
Wahlanalytikern als „beispiellos“ und „von historischen Ausmaßen“ bezeichnet.
Zumal eine ganze Reihe wichtiger Städte, wie Newcastle, Swansea etc. an die
Tories und die LibDems verloren wurden.
Die
unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ befragte zu
den Hintergründen der New Labour-Schlappe zwei führende Labour-Linke. Als
erstes brachte sie am 9.6.2004 ein Interview mit dem linken
Labour-Abgeordneten und Koordinator der parteiinternen „Socialist Campaign
Group“, Joe My Donnell:
„Eine politische Enttäuschung,
genannt Blair“
Es spricht Mc Donnell, „rebellischer“ Abgeordneter:
Um die Labour Party wieder nach vorn zu bringen, raus aus dem Irak und Kampf
gegen die Armut.
Im Bunker: Zu isoliert zu sein und sich in der
Downing Street zu verschanzen, ist eine der vielen Vorwürfe einer enttäuschten
Wählerschaft und der parteiinternen Rebellen gegen Tony Blair. Es sei gerade
diese Bunkermentalität gewesen, sagen die Kritiker, die ihn daran gehindert
habe, die Probleme und den dramatischen Rückgang der Zustimmung zu sehen.
Orsola Casagrande – London
Joe Mc Donnell ist einer der
Führer der Socialist Campaign Group, der Gruppe von Labour-Abgeordneten,
die (innerhalb der Partei) darum kämpft, dass Labour fest an seinen
sozialistischen Prinzipien verankert bleibt. Zusammen mit Mc Donnell finden
sich dort historische Abgeordnete der Partei von Jeremy Corbyn über Alice Mahon
bis Alan Simpson. Sie waren es, die die härteste Opposition gegen den
Irak-Krieg ins Leben riefen. Und wiederum sie waren die Protagonisten der
„Rebellionen“, die das Jahr 2003 in Westminster kennzeichneten: von der Revolte
gegen die Erhöhung der Universitätsgebühren über diejenige gegen die
Privatisierung der Schulen und der Krankenhäuser bis hin zu dem (noch
stattfindenden) Kampf gegen das neue Einwanderungs- und Asylgesetz.
Die Umfragen besagen,
dass die morgigen Wahlen für New Labour nicht sehr angenehm werden. Sowohl auf
lokaler wie auf europäischer Ebene.
„Leider ist das so. Der Tür-zu-Tür-Wahlkampf,
den wir zu führen versuchen, zeigt uns, dass die Partei Gefahr läuft, einen
großen Teil ihrer Stimmen zu verlieren. Es hat in Sachen Tony Blair eine Art
von kollektivem Vertrauensverlust gegeben. Und es gibt auch eine wachsende Wut
aufgrund der Tatsache, dass der Premierminister dieses Land in den Krieg
geführt und dies auf arrogante Weise getan hat. Und vor allem, dass er
bezüglich der wahren Gründe des Konfliktes gelogen hat. Dieses Gefühl der
Enttäuschung ist vor allem bei den Mitgliedern vorhanden, die gesehen haben wie
eines der Charaktermerkmale von Labour zunehmend verloren ging, nämlich immer
in engem Kontakt zu den Leuten zu stehen.“
Die Zeiten als Blair
verkündete ‚Diener des Volkes’ zu sein, scheinen sehr weit entfernt. Und doch
war das erst im Mai 1997.
„Seit damals ist allerdings
viel passiert. Heute ist Labour, was die Mitgliederzahlen anbelangt, auf dem
historischen Tiefststand angelangt. Die Aktivisten und die
Gewerkschaftsmitglieder sind demotiviert. Es handelt sich um eine Enttäuschung,
die durch die Politik genährt wird, die diese Regierung in punkto Krieg,
Privatisierungen, Universitätsgebühren, regelrechter Angriffe auf die Arbeiter
(wie bei den Feuerwehrleuten), gegen die im öffentlichen Dienst Beschäftigten
sowie beim Angriff auf die Rechte der Flüchtlinge und ausländischen Bürger
betreibt. Die Bunkermentalität, die in der Downing Street vorzuherrschen
scheint, hat allerdings verhindert, dass die Probleme anerkannt werden und zur
Verleugnung eines dramatischen Rückgangs der Unterstützung für diese Regierung
und die Partei geführt.“
Eine Mentalität, die die
Blairianer scheinbar nicht verlassen hat, wenn man sieht, dass sie die
parteiinterne Linke gewarnt haben, keinen Putsch gegen Blair zu versuchen, weil
das eine unheilbare Krise hervorrufen würde. Was meinen Sie dazu ?
„Dass Elemente innerhalb der
Führung, anstatt die Krise von Labour anzugehen, nur daran gedacht haben, sich
neu zu positionieren, um im Falle eines Kommandowechsels auf dem Schiff bereit
zu stehen. Diese Partei erscheint immer mehr wie ein feudaler Hof, wo die
Höflinge untereinander um die Eroberung des Throns kämpfen, während die
Parteimitglieder still sein und diesem – offen gesagt tristen – Schauspiel
beiwohnen sollen. Ich glaube, dass dies nicht der Moment ist, um an die eigene
Karriere zu denken, weil wir Gefahr laufen diese Wahlen zugunsten der
reaktionärsten konservativen Regierung seit den Jahren von Thatcher zu
verlieren. Und noch schlimmer ist, dass diese Wahlen eine Renaissance der
faschistischen British National Party (BNP) bringen könnten.“
Wie also die Verbindung
zu den Wählern und den Bürgern wiederherstellen ?
„Vor allem ist es wichtig,
dass unsere Basis sich mobilisiert, um den Schaden bei den Kommunal- und
Europawahlen, die morgen stattfinden, zu begrenzen. Es ist hart, aber wir
müssen zumindest versuchen dem Vormarsch der Rechten entgegenzuwirken – egal ob
sie von den Konservativen oder von den Faschisten der BNP repräsentiert wird.
Dann muss man anfangen am Programm für die nächsten Parlamentswahlen im
kommenden Jahr zu arbeiten. Nicht zufällig haben die Parteibasis und die Gewerkschaften
am 3.Juli eine Versammlung organisiert, um das sogenannte Labour
Representation Committee zu gründen, das die Stimme der Parteibasis bilden
soll. Dieses Komitee soll den Sozialisten, die es innerhalb von Labour gibt und
die zu lange erlebt haben, dass man ihnen den Mund gestopft hat, wieder
Hoffnung geben. Unser Programm wird klar sein: die Truppen raus aus dem Irak;
weg mit den Universitätsgebühren, die durch Stipendien ersetzt werden müssen:
Kampf der Armut; Schluss mit dem Angriff auf die Rechte der ausländischen
Bürger und der Flüchtlinge; ernsthafte Rentenreform. Nur durch einen Neuanfang
kann Labour wirklich darauf hoffen, bei den Parlamentswahlen zum dritten Mal <an die Regierung> gewählt zu werden.“
Das
zweite Interview führte „il manifesto“ mit Graham Bash, dem
Chefredakteur der Zeitschrift „Labour Left Briefing“, die seit langem das wohl
wichtigste Organ der Gewerkschafts- und der Labour-Linken in Großbritannien
ist. Es erschien am 12.6.2004.
Interview:
Eine Niederlage auf der ganzen Linie
Graham Bash (Direktor der
Zeitschrift „Labour Left Briefing“) erklärt den Einbruch von Labour:
„Eine volksfeindliche Politik ist durchgefallen.“
Orsola Casagrande
Graham Bash ist Anwalt und
Direktor des historischen „Stachels im Fleisch“ der Labour Party: der
Zeitschrift „Labour Left Briefing“, die viele Teile der parteiinternen
Linken vereint. In den letzten Jahren waren es die Kampagnen des „Briefing“,
die der Unzufriedenheit und dem Dissens der Labour-Basis, aber auch von
Abgeordneten, wie denjenigen, die in der Socialist Campaign Group
zusammengeschlossen sind, Ausdruck verliehen. Im „Briefing“ schreiben
Parlamentarier wie Jeremy Corbyn, Alan Simpson, Joe Mc Donnell und Alice Mahon,
d.h. die Labour-Linke. Die schmerzlichen Vorahnungen waren so klar wie die
Sonne. „Diese Führung“ – sagt er, während er die endlose Liste der verlorenen
Sitze überfliegt – „ist mittlerweile vollkommen diskreditiert. Die Leute haben
kein Vertrauen mehr in Blair und die Regierung muss das kapieren.“ In der Tat
hat „Briefing“, bereits bevor die Regierung dem Irak den krieg erklärte,
lautstark den Rücktritt des Premierministers gefordert.
Und nun ?
„Diese Ergebnisse müssen
dazu dienen der Regierung, aber auch der Partei eine Warnung zu sein. Diese
Führung muss eine Sache zur Kenntnis nehmen: Sie verfügt im Lande über
keinerlei Glaubwürdigkeit mehr. Weil sie nicht die Interessen der Leute
vertritt. Das ist die Realität. Diese Niederlage ist eine gigantische Anklage
gegen die Regierung. Es ist aber auch die Demonstration der großen Enttäuschung
der Menschen in diesem Land über Tony Blair. Diejenigen, die `97 und nocheinmal
2001 New Labour gewählt hat, hat sehr konkrete Wünsche und Erwartungen mit
Blair verbunden. Sie forderten eine radikale Wende, das Ende der dunklen Zeiten
der Thatcher. Stattdessen hat sich die Kluft zwischen den Erwartungen und dem,
was die Regierung Blair faktisch getan hat, immer weiter vertieft. Bis dahin,
dass wir eine Regierung bekommen haben, die es vorzieht die Interessen der
Konzerne zu vertreten und die Forderungen und Notwendigkeiten derjenigen, die
sie gewählt haben, hinten anzustellen oder <ganz> zu
ignorieren.“
Das Votum war mit
Sicherheit eines gegen den Krieg, aber nicht nur, wenn man sieht, dass auch die
Konservativen zulegen, die den Konflikt nachhaltig gewollt haben.
„Der Krieg, den dieses Land
nicht wollte, ist bei diesen Wahlen sicherlich ein wichtiger Faktor gewesen. Im
Allgemeinen ging es darum Blair für seine Entscheidungen in der Innen- und
Außenpolitik abzustrafen. Aber es stimmt, da ist noch mehr. Diese Regierung hat
sich als unfähig erwiesen die Probleme der Leute anzugehen und zu lösen. Vor
allem die Probleme derjenigen, die in den ärmsten und heruntergekommensten Gegenden
des Landes leben. Wir können hinschauen, wo wir wollen. Die Regierung hat einen
beträchtlichen Teil dieses Landes im Stich gelassen. Um es deutlich zu sagen:
Sie hat beschlossen, den Reichen zu dienen und die Armen im Stich zu lassen.
Deshalb sagen wir, dass diese Führung wirklich nichts mit der Basis von Labour
zu tun hat.“
Jetzt geht es voll
bergab. Auch weil die Europawahlen denselben Trend aufweisen werden <wie die Kommunalwahlen, deren
Auszählung früher begann>.
„Ja, es wird schwierig
werden, das Vertrauen der Leute zurück zu gewinnen. Ich glaube, dass auch die
Gewerkschaftsführungen eine große Verantwortung haben werden, die aufhören
müssen der Regierung gegenüber so furchtsam und ehrerbietig zu sein und
anfangen müssen Stellung gegen eine Politik zu beziehen, die die öffentlichen
Dienste dieses Landes zerstört. Sicher, das bedeutet, sich in einen Konflikt
mit der Regierung zu begeben. Aber die Tatsache, dass man eine Labour-Regierung
vor sich hat, bedeutet nicht, dass man den Kopf immer gesenkt halten muss.“
In London wird Ken
Livingstone <im Amt des Bürgermeisters> bestätigt, aber Labour verliert die Mehrheit im
Stadtrat.
„Der von Livingstone gerade
so eben errungene Sieg hängt auch mit seinem Wiedereintritt in die Labour Party
zusammen. Fälschlicherweise – glaube ich – wurde Ken mit der Regierung Blair
identifiziert. Das hat ihn Stimmen gekostet. Leider wird die London Assembly
nicht mehr von Labour kontrolliert und das macht die Dinge für Ken zweifellos
schwieriger. Auch weil wir nicht vergessen dürfen, dass die Assembly den
Haushalt ablehnen kann. Die andere Tatsache, die ich hervorheben würde, ist
dass Labour nicht zugunsten der Linken verloren hat, sondern zugunsten der
Rechten. Es waren die Tories, die zugelegt haben. Das sollte man nicht
unterschätzen, weil es im kommenden Jahr die Parlamentswahlen gibt und Labour
Gefahr läuft diese zu verlieren. Ich glaube, das es uns gelingen wird, die
Bedingungen zu schaffen, um wieder die Linkspartei zu werden, die wir gewesen
sind. Ich verhehle allerdings nicht, dass das sehr schwierig wird. Wir werden,
zusammen mit der Socialist Campaign Group und den Gewerkschaften, die
sich am stärksten für die Reform der Partei engagieren, unseren Teil dazu
beitragen.“
Vorbemerkungen,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover