Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Claude
Debons war bis zum kollektiven Austritt des verbliebenen linken CFDT-Flügels
als Reaktion auf die Unterstützung von Raffarins Rentenreform durch die
CFDT-Spitze der Kopf der Linken in diesem ehemals der Sozialistischen Partei
(PS) nahe stehenden Gewerkschaftsbund. Heute ist er, wie die meisten anderen
Ende 2003 ausgetretenen CFDT-Linken, Mitglied der CGT, darüberhinaus Funktionär
der internationalen Abteilung und kandidierte als Unabhängiger auf der Liste
der französischen KP (PCF) zum Europaparlament. Die links-unabhängige
italienische Tageszeitung „il manifesto“ befragte ihn zu seiner
Einschätzung des Europawahlergebnisses. Das Interview erschien am 15.6.2004.
„Der Wirtschaftsliberalismus nährt
Wahlenthaltung und Populismus“
Claude Debons, von der
internationalen Abteilung der CGT, analysiert das Votum, das von Ost bis West
die „anti-demokratische“ EU bestätigt hat.
Anna Maria Merlo – Paris
Frankreich schickt 31
sozialistische Abgeordnete nach Straßburg, die die bedeutendste Gruppe
innerhalb der Sozialistischen Partei Europas (SPE) bilden und sehr
wahrscheinlich den Vorsitz übernehmen werden. Desweiteren 17 von Chiracs Union
der Präsidenten-Mehrheit (UMP), 11 Zentristen der UDF, 7 Abgeordnete des Front
National (FN), 6 Grüne, 2 PCF’ler (zu denen ein unabhängiger Linker aus den
Überseegebieten hinzukommt) sowie 3 Anhänger der französischen Souveränität <d.h. rechtspopulistische
EU-Gegner>.
Claude Debons gehörte zu den
Persönlichkeiten, die am 8.Mai in Paris eingeladen waren, auf dem, aus Anlaß
des 50jährigen Bestehens von „Le Monde Diplomatique“ organisierten, Tages zu
sprechen. Der ehemalige Sekretär der CFDT-Transportgewerkschaft und Anführer
der Opposition gegen die Linie der Reformer hat diese Gewerkschaft auf der
Welle des durch die Stellungnahme dieses Gewerkschaftsbundes für die
Rentenreform der Regierung Raffarin ausgelösten Schocks verlassen. Jetzt gehört
er der internationalen Sektion der CGT an und war unter den Persönlichkeiten
der Zivilgesellschaft, die auf der Liste des PCF bei den Europawahlen
kandidierten.
Wie analysieren Sie,
angefangen bei der hohen Wahlenthaltung, bei der nur Italien und Malta eine
Ausnahme bildeten, dieses Votum ?
„Ich sehe es als eine
Bestätigung des real-existierenden Europas. Es stellt die großen Parteien, die
für die Mitgestaltung des Aufbaus Europas verantwortlich sind, an den Pranger.
Das heißt die Christdemokraten und die Sozialdemokraten, die auf europäischer
Ebene keine Lehre aus dem Phänomen ziehen, das z.B. in Frankreich seit `79
zunimmt. Es ist eine Bestätigung des wirtschaftsliberalen Europas. Die Wähler
sind vom Defizit des sozialen Europas enttäuscht und auch ein bisschen
fatalistisch, weil sie den Eindruck haben, dass sie über keinen großen Einfluss
auf die Entscheidungen verfügen. Das Problem ist die anti-demokratische
Funktionsweise Europas. Aber hier liegt eine reale Gefahr. Es gibt eine Zunahme
des Euroskeptizismus und einen hochgradig gefährlichen populistischen Schub,
sowohl im Westen wie im Osten. Im Westen ist es eine Reaktion, die der
Erfahrung der Mängel des europäischen Aufbaus geschuldet ist. Im Osten ist es
fast so etwas wie eine präventive Reaktion. Die erste Lehre, die daraus zu
ziehen ist, lautet, dass das wirtschaftsliberale / Freihandels-Europa den
nationalistischen und populistischen Notbehelf und die Wahlenthaltung nährt.“
Hat die Europawahl dazu
gedient, die amtierenden Regierungen abzustrafen ?
„Das ist das zweite
Phänomen: Eine Sanktion gegen die rechten wie linken Regierungen, die einen
Sozialabbau praktiziert haben. Das ist bei Schröder der Fall, während bei Blair
diesen Aspekt eher der Krieg bildet. In Frankreich ist die Sozialistische
Partei (PS) zum Hauptträger der Wahlsanktion gegen die Regierung geworden.
Trotz der Zunahme der Wahlenthaltung erhöht der PS seine Stimmen – verglichen
mit `99 – sowohl prozentual als auch in absoluten Zahlen <1999: 22% - 2004: 28,9%>. Bei der Revolutionär-Kommunistischen Liga (LCR) <= frz.Sektion der offiziellen
4.Internationale, die wiederum zusammen mit Lutte Ouvrière (LO) kandidierte,
aber statt 1999 5,2% nur noch 2,6% erhielt>, dem PCF <von
6,8% auf 5,2% abgesackt> und den
Grünen <von 9,7% auf
7,4%> registriert man sowohl
prozentual als auch in Stimmen einen Rückgang. Das bedeutet meines Erachtens,
dass die Periode, die mit den letzten Präsidentschaftswahlen begann und die
Debatte darüber, welche Politik die Alternative zum Wirtschaftsliberalismus /
Freihandel darstellt, beendet ist.“
Warum fehlt ein Ausweg ?
„Es gibt keinen politischen
Ausweg und deshalb findet ein Großteil <der Wähler>
Zuflucht in der Wahlenthaltung. Was die Erhöhung der Stimmen für den PS
anbelangt, so ist das ein Phänomen, das man bereits in der
Gewerkschaftsbewegung erlebt hat: Wenn die Politik aggressiv anti-sozial ist,
sucht man – bevor man nach einer Alternative sucht – erstmal einen
Schutzschild. Deshalb flüchtet man sich, um sich zu schützen, zu den großen
Organisationen, wie der CGT bei den Gewerkschaften oder dem PS bei den
Parteien. Da stellt man sich weniger die Frage nach der Alternative.“
Aber wie kann das in
einer Periode starker sozialer Bewegungen geschehen ?
„Das Problem ist, dass
niemand die Alternative verkörpert. Die Grünen nicht, der PCF nicht und auch
die extreme Linke nicht. Am Tag nach den Präsidentschaftswahlen ist jeder
seinen eigenen Weg gegangen. Sie haben es nicht verstanden, eine
Grundsatzdebatte darüber zu eröffnen wie die Alternative zu schaffen ist. Jeder
hat individuell versucht von der Situation zu profitieren. Die Grünen mit der
Illusion die zweitstärkste Kraft der Linken zu sein. Und der PCF mit der
Wiederbelebung einer gewissen Unabhängigkeit vom PS. Aber die Bürgerforen haben
es nicht erlaubt die politische Landschaft neu zusammenzusetzen. Auch die LCR
hat eine Debatte begonnen, aber niemand hat das ermessen, was bei den
Präsidentschaftswahlen passiert war. Und das macht sich bemerkbar. Der
Spielraum wird enger. Ein Teil der sozialen Bewegungen drückt sich in den
politischen Bewegungen nicht aus. Einige behaupten, dass sich die soziale
Bewegung von allein rechtfertigt. Andere meinen, dass es im Augenblick keine
mögliche Alternative gibt. Die Stärke des PS lässt nun eine hegemoniale
Versuchung befürchten, dass der PS sich mit dem Machtwechsel zufrieden gibt,
ohne eine Alternative zu besitzen.“
Vorbemerkung, Übersetzung
und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover