Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Laut Zählungen der französischen Polizei demonstrierten am 5.Februar 2005 in ganz Frankreich, 321.000 Menschen auf insgesamt 118 Demos und Kundgebungen
für den Erhalt der 35 Stunden-Woche, so wie sie 1999 von der Jospin-Regierung aus
PS, PCF, MDC und Grünen durch das „Aubry-Gesetz“ festgelegt wurde. Allein in
Paris sollen 90.000 Leute an der von den großen Gewerkschaftsbünden CGT, CFDT
und FO sowie der Sozialistischen Partei (PS) organisierten Demonstration
teilgenommen haben. Der Protest richtet sich gegen die Aushöhlung des Gesetzes
durch die rechte Raffarin-Regierung. Die von seinem Kabinett geplanten
Änderungen sehen eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf bis zu 48 Stunden oder
die Möglichkeit von 220 Überstunden jährlich (statt bisher 180) vor. Bemerkenswert war der Protest nicht nur
aufgrund des allgemeinen Rückzugs, auf dem sich die Gewerkschaftsbewegung
EU-weit befindet, sondern auch weil das Aubry-Gesetz, wegen der mit ihm
verbundenen Arbeitsverdichtung und massiven Flexibilisierung seinerzeit selbst
heftige Proteste besonders betroffener Belegschaften hervorgerufen hatte. Ob
die aktuelle Mobilisierung der Auftakt zu neuen Kämpfen war, ist allerdings
fraglich. Leider spricht mehr dafür, dass es sich um eine letztlich folgenlose
Unmutsäußerung bzw. die Begleitmusik zum weiteren Niedergang handelte.
Um zu
erfahren, wie die Einschätzung eines prominenten Vertreters der französischen
Gewerkschaftslinken zu diesem Thema aussieht, interviewte die linke
italienische Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 12.2.2005
Claude Debons. Er zählt nicht nur zu den Mitbegründern von Attac,
sondern stand auch lange Zeit an der Spitze der Transportarbeiterföderation der
CFDT und war Kopf des linken Flügels dieser mittlerweile sehr
sozialpartnerschaftlich gewordenen, größten französischen Gewerkschaftszentrale.
Als Reaktion auf die Unterstützung von Raffarins Rentenreform durch die
CFDT-Führung unter Francois Chérèque, kam es im November 2003 zum kollektiven
Austritt des verbliebenen linken CFDT-Flügels, der fast geschlossen zur CGT
überwechselte, wo Debons dann eine verantwortliche Funktion in der Abteilung
für Internationales übernahm. Mittlerweile ist Debons als Vorstandsmitglied der
Copernic-Stiftung eine der treibenden Kräfte der Kampagne für die Ablehnung der
EU-Verfassung beim kommenden Referendum in Frankreich und in dieser Funktion
u.a. einer der Mitinitiatoren des „Appells der 200“. (Siehe: http://www.appeldes200.net/)
Kritisch
muss man allerdings anmerken, dass sein Eintreten für die Überwindung des
nationalstaatlichen Denkens der Gewerkschaften bislang bei einem neuen
EU-Standortdenken stehen bleibt. Proletarischer Internationalismus geht für uns
noch etwas weiter.
„35 Stunden-Woche für die gesamte EU
!“
Debons (historischer französischer
Gewerkschafter) kehrt Raffarins Thesen um.
ANNA MARIA MERLO – PARIS
Die Regierung Raffarin hat
beschlossen, nicht auf die in Frankreich sehr starken Proteste zu hören und die
„Reform“ der 35 Stunden-Woche zwangsweise durchzusetzen. Eine „Reform“, die –
auch wenn sie die gesetzliche Arbeitszeit nicht antastet – die
Arbeitszeitverkürzung „verwässert“ und sie in eine „gewählte Arbeitszeit“
verwandelt, die sie faktisch annulliert, um – entsprechend dem Regierungsslogan
– „denjenigen, die mehr verdienen wollen“, zu erlauben, „länger zu arbeiten“.
Claude Debons, der ein Gewerkschaftsführer in der CFDT war, ist nun in der
Stiftung Copernic.
Ist die 35 Stunden-Woche
mittlerweile ein Erinnerungsstück ?
„Es gibt eine
Generaloffensive der Regierung Raffarin gegen die sozialen Rechte im
Allgemeinen. Das ist eine Bewegung, die im übrigen auch in Deutschland
stattgefunden hat. Das heißt in den beiden Ländern, die stärker als andere der
wirtschaftsliberalen Welle widerstanden und sich, aufgrund ihrer besonderen
Geschichte, der wirtschaftsliberalen Offensive gegenüber undurchlässiger
erwiesen haben. Es ist als ob es einen Ausgleichseffekt für die 15jährige
Verspätung gegeben hätte, die – bezogen auf Großbritannien – angehäuft wurde.
Außerdem gibt es eine Offensive der Unternehmerschaft in Sachen
Flexibilisierung der Arbeit, um sie zu erhöhen, um Entlassungen zu erleichtern,
um den Schutz der Werktätigen zu schwächen. Ausgelöst hat diese Offensive der
Fall Siemens mit der 40 Stunden-Woche, von der nur 35 bezahlt werden. In
Frankreich hat die Regierung die Arbeit übernommen, das Gesetz über die 35
Stunden-Woche auszuhöhlen, ohne die gesetzliche Arbeitszeit anzutasten, indem
sie die Zahl der Überstunden in einer Form erhöht, die dazu führen wird, dass man
mehr arbeitet, um – angesichts der geleisteten Arbeitszeit – weniger zu
verdienen.“
Geht man nicht, indem den
Beschäftigten erlaubt wird, länger zu arbeiten, die Gefahr einer Erhöhung der
bereits jetzt hohen Arbeitslosigkeit ein ?
„Das wird negative Auswirkungen
auf die Beschäftigung haben. Es wird weniger Einstellungen geben. Und obendrein
mit lächerlichen Auswirkungen auf die Löhne, also auf den Konsum. Dahinter
steht der Wille der Unternehmerschaft, zu einer Deregulierung der
Arbeitszeit zu gelangen. Das heißt die Frage der Arbeitszeitregelung zu
entkollektivieren. Mit anderen Worten: eine wachsende Individualisierung zu
erreichen. Das ist eine europäische Debatte. Es gab eine Richtlinie, die die
maximale Arbeitszeit <pro
Woche> auf 48 Stunden festlegte und nun
bewegt man sich in Richtung 65 Stunden <pro Woche>.
Das ist eine Rückkehr zum Beginn des 20.Jahrhunderts. Im Kampf gegen die
Arbeitslosigkeit macht das überhaupt keinen Sinn. Im Gegenteil, in Europa wäre
eine allgemeine Reduzierung der Arbeitszeit sinnvoll, die den Widerspruch der
35 Stunden-Woche in nur einem Land lösen würde. Die 35 Stunden-Woche – daran
muss erinnert werden – hatte positive Auswirkungen auf die Beschäftigung. Sie
hat in Frankreich zur Schaffung von 400.000 Arbeitsplätzen beigetragen. Die 35
Stunden-Woche in nur einem Land musste allerdings die Konkurrenzfähigkeit
berücksichtigen. Deshalb war sie von einer Dosis Flexibilisierung begleitet,
die die Unzufriedenheit der Werktätigen nährte. Heute stützt sich die rechte
Regierung auf diese Unzufriedenheit, um zu verkünden, dass die Werktätigen
bereit sein müssen, länger zu arbeiten, wenn sie mehr verdienen wollen. Das
Handicap der Konkurrenzfähigkeit würde allerdings wegfallen, wenn es die 35
Stunden-Woche in der gesamten Europäischen Union gäbe. Heute bezahlen wir
hingegen mit der Regression, die die Kräfteverhältnisse widerspiegelt, mit dem
Kapital, das stärker in der Offensive ist als die Arbeit. Auch wenn es eine
wachsende Mobilisierung gibt.“
Können die Proteste das
Ergebnis des Referendums über die EU-Verfassung beeinflussen – vor allem nach
der Bolkestein-Richtlinie über die Liberalisierung der Dienstleistungen ?
„Die Debatte über die
Verfassung kristallisiert diese Frage in Frankreich heraus. Die Linke befindet
sich im Widerspruch: Einerseits eine radikale Haltung, die dann fällt, wenn der
Wirtschaftsliberalismus der Verfassung akzeptiert wird, wie es die
Sozialistische Partei (PS) tut. Es gibt sowohl in den Linksparteien als auch in
der Gewerkschaft eine große Debatte darüber. Ein ‚Nein’ Frankreichs wäre ein
‚Nein’ zum Wirtschaftsliberalismus. Heute ist das, was vorgeschlagen wird, die
Reduzierung der Union auf eine Freihandelszone, die dem ähnelt, was die NAFTA
in Nordamerika ist. Mit einem Europa, das in alle vier Windrichtungen offen ist
und in dem das Sozialdumping gilt, werden wir keine breite Unterstützung für
das europäische Projekt schaffen. Wenn die Bevölkerungen der EU zueinander in
Konkurrenz gesetzt werden, schafft man keine Solidarität, sondern werden die
Grundlagen für eine Abwehrreaktion gelegt.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover