Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Immigrantenproteste, die in den letzten Wochen mit diversen
Massendemonstrationen und einem Streik am 1.Mai in den USA stattfanden und sich
gegen das neue Einwanderungsgesetz der Bush-Administration richteten,
übertreffen die Sans Papier-Proteste in Westeuropa
bei weitem. Sie sind ohne Frage die größte und massivste derartige Bewegung in
den letzten Jahrzehnten und bilden – trotz der „We are America“-Parolen – einen
bedeutenden Ansatzpunkt, um diesen Sektor der Lohnabhängigen aus ihrer Rolle
als allzeit erpressbare Arbeitskraftreserve des Kapitals herauszuholen. Gelänge
dies zumindest zum Teil und ließe sich ein Brückenschlag zum (überwiegend
weißen) Kernbereich der US-amerikanischen Arbeiterklasse herstellen, würde dies
die politischen und sozialen Kräfteverhältnisse für die Blue collars insgesamt (und damit auch für die schwache US-Linke
aller Couleur) deutlich verbessern. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter
Weg. Zur gegenwärtigen Situation interviewte die Korrespondentin der linken
italienischen Tageszeitung „il manifesto“
für die Ausgabe vom 30.4.2006 den heute 57jährigen Vorsitzenden
der Landarbeitergewerkschaft Farm Workers Union
(FWU), David Bacon.
Dass er
kein handelsüblicher Gewerkschaftsboss ist, geht auch aus dem kurzen Profil
hervor, das die linksliberale Tageszeitung „San Francisco Chronicle“
vor 5 Jahren von ihm entwarf und so zusammenfasste: „David Bacon wuchs in einer
Gewerkschafterfamilie auf und glaubte seit seiner frühesten Jugend daran, dass
Gewerkschaften die Welt verändern können. Mit 52 und nach Einsätzen als
Organisator für die United Farm Workers, die United Electrical Workers, die Molders Union und die Ladies Garment
Workers Union, Rausschmissen wegen gewerkschaftlicher
Tätigkeit und mehr Festnahmen als er sich erinnern kann, ist der Einwohner von
Berkeley, was den Gewerkschaftsaktivismus und die Rechte der Arbeiter
anbelangt, so idealistisch wie eh und je. ‚Gewerkschaften sind Schulen. Die
Leute lernen dort etwas über die Realitäten auf dieser Welt und äußern dort
ihre Erwartungen, wie ihre Welt aussehen soll’, sagte Bacon.“ (siehe: http://www.sfgate.com/cgi-bin/article.cgi?file=/chronicle/archive/2001/04/06/EB32572.DTL&type=printable)
Interview:
Es
spricht David Bacon, amerikanischer Gewerkschafter und Führer der Farm Workers Union.
Wenn das neue Gesetz
durchkommt, „werden sie zu Sklaven !“
Ohne Rechte und ohne Zukunft. Das
neue Gesetz über die zugewanderten Arbeitskräfte, über das im Kongress
debattiert wird, ist das schlimmste jemals in den Staaten konzipierte. Die Corporations,
die Ausländer ohne Papiere einstellen, werden nicht sanktioniert. Während den „Sans Papiers“ die Kriminalisierung droht.
PATRICIA LOMBROSO – NEW YORK
„Unsichtbarkeit und
Bedingungen wie unter der Sklaverei. Keine Zuerkennung des ‚legalen Status’
noch der Bürgerrechte. Das ist die Zukunft, die der von der Bush-Administration
vorgelegte und auf dem Weg zur Verabschiedung befindliche Gesetzentwurf zum
Thema Immigration vorsieht.“ So die
harte Anklage von David Bacon, dem amerikanischen Gewerkschafter, Führer der
Farm Workers Union (FWU) und Autor der Bücher „Children of NAFTA“ und „Community
without borders“ gegen
die amerikanische Regierung im Vorfeld des für morgen, den 1.Mai, vorgesehenen
Streiks der eingewanderten lateinamerikanischen, afroamerikanischen und
chinesischen Arbeiter.
Wer wird von dem neuen
Einwanderungsgesetz profitieren?
„Seit Jahren von den größten
Corporations geplant, wird es den amerikanischen und europäischen Multis
weitere Vorteile verschaffen – mit einem qualitativen Sprung, was in der Ära
der Globalisierung erzielte Vorteile und Profite anbelangt. Das neue Gesetz
erlaubt die Ausbeutung der importierten Arbeitskraft zu bis heute
unvorstellbaren Bedingungen.“
Warum?
„Bis heute gab die
gewerkschaftsfeindliche Politik in Amerika den Unternehmen das Recht zur
Kündigung und zur Vorbeugung eines Erwerbs der gewerkschaftlichen Rechte. Über
11 Millionen Immigranten, die als ‚ìllegal’
diskriminiert werden, kommen nicht in den Genuss von Gesundheitsversorgung und
Rentenleistungen. Sie werden als unsichtbare Bürger zweiter Klasse
betrachtet. Das neue Gesetz schafft eine weitere Bedrohung für diejenigen, die
ohne Papiere arbeiten, einem Vergehen, das einem ‚Verbrechen’
gleichgesetzt wird und die Abschiebung vorsieht.“
Welche Vorschläge hat der
amerikanische Kongress gemacht?
„Der Gesetzentwurf sieht die
Errichtung einer Mauer entlang der gesamten Grenzlinie zu Mexiko und die Möglichkeit
der Großunternehmen vor, pro Jahr 400.000 eingewanderte Arbeiter zu
rekrutieren. Während die Garantie und die Einhaltung des Mindestlohns nicht
vorgesehen ist. Diese Arbeitskraft wird viele amerikanische Arbeiter mit
bislang garantierten und <auch> ausgezahlten Löhnen ersetzen.“
Wo werden diese „guest workers“ (Gastarbeiter)
eingesetzt?
„Die Einwanderer in die USA
werden in Restaurants, Hotels, kleinen Fabriken und ‚Schwitzbunden’
praktisch unter Bedingungen der Sklaverei arbeiten. Während der Nachkriegsjahre
bis in die 60er Jahre hinein sah ‚das Arbeitskräfteprogramm’ für die
Ausbeutung der mexikanischen Saisonarbeiterschaft drei Monate gültige Visa vor.
Nun werden die von den Corporations
importierten Einwanderer schlechtere Bedingungen erleben: Über Jahre hinweg
keinerlei Zuerkennung des legalen Status, kein Bleiberecht und kein
Bürgerrecht.“
Welchen Teil des neuen
Gesetzes hältst Du für den skandalösesten?
„Den den
Arbeitgebern vorbehaltenen Anhang (employers
section). Das Gesetz sieht für den Arbeitgeber,
der einen Arbeiter ohne Papiere einstellt, in der Regel keinerlei
Disziplinarstrafe vor. Die aber riskieren, kriminalisiert zu werden. Das
legitimiert die Ausbeutung und die Erpressung vonseiten der Arbeitgeber mit
Löhnen, die weit unterhalb der vorgesehenen Mindestwerte für diejenigen liegen,
die das Recht einfordern, einer Gewerkschaft anzugehören.“
Nach dem Anschlag vom
11.September wurden Tausende Einwanderer aus dem Mittleren Osten verhaftet und „verschwanden“,
mit der Entschuldigung, ihr Visa sei nicht in Ordnung, in den verschiedenen
Gefangenenlagern ohne das Recht auf juristischen Beistand. Was wird bei dem
neuen Gesetz geschehen?
„Die Prison-Camps
für die als ‚unerwünscht’ deklarierten Einwanderer werden zunehmen. Es
existiert ein eigens dafür vorgesehener Anhang, der den ‚Inhaftierungen’
gewidmet ist. Im Namen der ‚nationalen Sicherheit’ liefert das neue
Gesetz der amerikanischen Regierung eine weitere Legitimation, um willkürliche
Festnahmen und Inhaftierungen vorzunehmen. Nach der Verabschiedung des Patriot
Act sind einige der inhaftierten Einwanderer in Guantanamo und andere im Netzwerk der ‚Geheimgefängnisse’
der CIA im Rest der Welt gelandet.“
Welche Auswirkungen wird
das für die künftige Legalisierung der Einwanderer in Europa haben?
„Von den Corporations
wurde bereits der Vorschlag gemacht, die Internationalisierung des ‚guest workers program’
zu betreiben. Die ungesicherte und unterbezahlte Beschäftigung wird der öffentlichen
Meinung als ‚neue Arbeitsplätze’ präsentiert. De facto ist das Ziel eine
generelle Absenkung der Obergrenze der Mindestlöhne für neue, aus der 3.Welt
kommende Arbeitskräfte, die bereits verarmt und gezwungen sind, in die
industrialisierten Länder zu emigrieren. Olivetti oder General Motors
beschäftigen eingewanderte Arbeiter, um die Produktionskosten weiter zu verringern
und für das so organisierte Kapital einen Extraprofit zu produzieren. Dieser
Gesetzentwurf steht bereits im Zentrum der Debatte um die Legalisierung der auf
öffentliche Sklaverei reduzierten Immigration.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover