Antifa-AG
der Uni Hannover:
Was bezweckt der Kolonialstaat Israel mit seinem aktuellen
Terrorfeldzug gegen den Libanon, der bislang (Stand Montagmorgen, den
17.7.2006) auf libanesischer Seite mindestens 165 zivile Todesopfer forderte.
Verteidigt sich da nur ein armes, angegriffenes Apartheidregime, läuft die
Große Koalition der Olmert (Kadima)
und Peretz (Arbeitspartei / Avoda)
Amok oder was ist der Zweck der Übung? Im Interview mit der ARD-Tagesschau gibt
der israelische Bomberpilot Neri (im Zivilberuf sinnigerweise
Rechtsanwalt!) einen kleinen Einblick in die Arroganz der israelischen
Kolonialherren. Zitat: "Ich glaube, alle unsere Nachbarn müssen
verstehen, dass der Hausherr manchmal durchdreht", sagt Nevi. "Wir sind nicht immer vernünftig und
gemäßigt. Wenn man uns nervt, dann zeigen wir, dass wir eine starke
Luftwaffe und eine starke Armee sind. Wenn unsere Nachbarn uns zu sehr
kitzeln, dann dreht dieser starke Löwe auch mal durch und wenn der Löwe
durchdreht, dann muss er die Arbeit zu Ende führen. Denn erst dann werden wir
hier Ruhe haben." Fazit der Tagesschau zu dieser angestrebten
Friedhofsruhe: „Die meisten Israelis denken wohl so wie
dieser Pilot.“ (siehe: http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5724194_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html)
Naheliegenderweise
denkt der bekannte israelische Schriftsteller, Journalist und führende
Friedensaktivist von Gush-Shalom, Uri Avnery etwas anders. Seine am 15.Juli 2006 verfasste Sicht
der Hintergründe entnahmen wir der deutsprachigen Homepage http://www.uri-avnery.de/
Das eigentliche Ziel
Von Uri Avnery
DAS EIGENTLICHE Ziel ist es, das Regime im Libanon zu stürzen und eine
Marionetten-Regierung einzusetzen.
Dies war schon Ariel Sharons Ziel bei der Invasion des Libanon 1982. Es ist ihm
nicht gelungen. Aber Sharon und seine militärischen und politischen
Elitezöglinge haben dies nie wirklich aufgegeben.
Genau wie 1982 wurde auch die jetzige Operation in vollständiger Koordination
mit der USA geplant und ausgeführt.
Wie damals geschieht dies auch jetzt in Übereinstimmung mit einem Teil der
libanesischen Elite.
Das ist die Hauptsache. Alles andere ist Lärm und Propaganda.
AM VORABEND der Invasion von 1982 sagte der Außenminister der USA Alexander Haig zu Ariel Sharon, bevor die Invasion anfange, sei eine "klare
Provokation" notwendig, um die nötige Akzeptanz in der
Weltöffentlichkeit zu schaffen.
Die Provokation fand tatsächlich statt – genau zum richtigen Zeitpunkt – als Abu-Nidals Terrorbande versuchte, den israelischen
Botschafter in London zu ermorden. Dies hatte zwar keine Verbindung mit dem
Libanon und noch weniger mit der PLO ( sie war ein Feind Abu Nidals), aber es genügte, als die Provokation zu dienen,
auf die man gewartet hatte.
Dieses Mal ist die nötige Provokation durch die Gefangennahme zweier
israelischer Soldaten durch die Hisbollah geliefert worden. Jeder weiß, dass
sie nicht anders als durch Gefangenenaustausch befreit werden können. Aber die
große Militärkampagne, die seit Monaten vorbereitet war, wurde der israelischen
und internationalen Öffentlichkeit als Rettungsmaßnahme verkauft.
(Seltsam genug geschah dasselbe zwei Wochen vorher im
Gazastreifen. Hamas und seine Partner nahmen einen Soldaten gefangen - dies war
dann die Rechtfertigung für eine massive Operation, die seit langem vorbereitet
war, und deren Ziel es ist, die palästinensische Regierung zu demolieren.)
Das erklärte Ziel der Libanon-Operation ist es, die Hisbollah von der Grenze zu
vertreiben, um es ihr zu verunmöglichen, weitere Soldaten gefangen zu nehmen
und Raketen auf israelische Städte abzufeuern. Die Invasion in den Gazastreifen
zielt offiziell auch darauf ab, Sderot und Ashkelon aus der Schussweite der Qassams
zu bringen.
Das erinnert an die "Operation Frieden für Galiläa", 1982.
Damals wurde der israelischen Öffentlichkeit und der Knesset erklärt, das
Kriegziel sei, die Katjuschas 40 km weg ins Landesinnere abzudrängen.
Das war eine bewusste Lüge; denn 11 Monate lang war vor dem Krieg keine einzige
Katjuscha-Rakete ( noch ein einziger Schuss) über die
Grenze geschossen worden. Von Anfang an war es das Ziel der Operation, Beirut
zu erreichen und dort einen Quisling-Diktator einzusetzen. Wie ich es mehr als
einmal erzählt habe, hat mir Sharon selbst dies so neun Monate vor dem Krieg
erzählt, und ich habe es damals entsprechend mit seinem Einverständnis
veröffentlicht (ohne ihn direkt zu zitieren )
Natürlich hat die jetzige Operation auch verschiedene sekundäre Ziele - und
diese schließen die Befreiung der Gefangnen nicht mit ein. Jeder normale Mensch
weiß, dass dies nicht mit militärischen Mitteln erreicht werden kann. Aber
wahrscheinlich ist es möglich, einige der Tausende von Raketen und Katjuschas,
die die Hisbollah während der letzten Jahre gehortet hat, zu zerstören. Für
dieses Ziel sind die Armeechefs bereit, die Bewohner von israelischen Städten
zu gefährden, die den Raketen ausgesetzt sind. Sie glauben, das lohne sich, wie
ein Austausch von Schachfiguren.
Ein anderes sekundäres Ziel ist es, die Abschreckungsmacht der Armee wieder
herzustellen Das ist ein Codewort, um auch den verletzten Stolz der Armee zu
rehabilitieren, der durch die gewagten Aktionen der Hamas im Süden und der
Hisbollah im Norden schwer gelitten hat.
OFFIZIELL VERLANGT die israelische Regierung, dass die Regierung des Libanon
die Hisbollah entwaffnet und sie aus dem Grenzgebiet entfernt.
Das ist unter der augenblicklichen Regierung - einem empfindlichen Gefüge ethno-religiöser Gemeinschaften - ziemlich unmöglich. Die
leichteste Erschütterung könnte das ganze Gebäude zum Einsturz bringen und den
Staat in vollkommene Anarchie stürzen - besonders nachdem es den Amerikanern
gelang, die syrische Armee zu vertreiben, mithin das einzige Element, dass
jahrelang für einige Stabilität gesorgt hatte.
Die Idee, im Libanon eine Quisling-Regierung zu installieren, ist nicht neu.
Schon 1955 schlug Ben Gurion vor, einen "christlichen
Offizier" zu nehmen und ihn als Diktator einzusetzen. Moshe Sharett zeigte auf, dass diese Idee sich auf völlige
Ignoranz der libanesischen Verhältnisse gründete und vereitelte dies. Aber 27
Jahre später versuchte Ariel Sharon dies trotzdem, in die Tat umzusetzen.
Bashir Gemayel wurde tatsächlich als Präsident ins Amt gehievt, um kurz darauf
ermordet zu werden. Sein Bruder Amin folgte ihm und unterzeichnete mit Israel
einen Friedensvertrag, wurde aber aus dem Amt vertrieben. (Genau dieser Bruder
unterstützt jetzt öffentlich die israelische Operation).
Nun kalkuliert man, dass wenn die israelische Luftwaffe genügend schwere
Schläge gegen die libanesische Bevölkerung austeilt und dabei die See- und
Flughäfen lahm legt, die Infrastruktur zerstört, die Wohnviertel bombardiert,
die Schnellstraße Beirut-Damaskus unterbricht etc., dann würde die
Öffentlichkeit auf die Hisbollah wütend werden und die libanesische Regierung
unter Druck setzen, dass sie Israels Forderungen erfüllt. Da die gegenwärtige
Regierung nicht einmal davon träumen kann, dies zu tun, würde dann die
Einsetzung eines Diktators durch Israel erfolgen.
Das ist militärische Logik. Ich habe meine Zweifel daran. Man kann eher
vermuten, dass der größte Teil der Libanesen wie jedes andere Volk auf der Welt
reagieren wird: mit Zorn und Hass gegen die Invasoren. So geschah es 1982 als
die Schiiten im Süden des Libanon - bis dahin so gefügig wie ein Fußabstreifer
- sich gegen die israelischen Besatzer erhoben und die Hisbollah gründeten, die
die stärkste Kraft des Landes wurde. Wenn die libanesische Elite sich nun als
Kollaborateure Israels erweisen sollte, wird sie von der Landkarte gefegt. (Übrigens:
haben denn die Qassams und Katjuschas die israelische
Bevölkerung dazu gebracht, auf ihre Regierung Druck auszuüben, damit sie
aufgibt? Im Gegenteil.)
Die amerikanische Politik ist voller Widersprüche. Präsident Bush wünscht im
ganzen Nahen Osten "Regimewechsel". Das gegenwärtige
libanesische Regime ist aber erst kürzlich von den Amerikanern eingesetzt
worden. Mittlerweile ist es Bush nur gelungen, den Irak zu zerbrechen und dort
einen Bürgerkrieg zu verursachen, (wie es von uns hier vorausgesagt wurde). Er
könnte dasselbe im Libanon veranlassen, wenn er nicht beizeiten die israelische
Armee stoppt. Außerdem könnte ein vernichtender Schlag gegen die Hisbollah
nicht nur die Wut des Iran anheizen, sondern auch unter den Schiiten im Irak,
auf deren Unterstützung sich Bushs Pläne eines pro-amerikanischen Regimes
gründen.
Wie sollte also die Antwort lauten? Nicht zufällig hat die Hisbollah den
Überfall mitsamt Soldatenentführung zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als die
Palästinenser um Beistand riefen. Die palästinensische Sache ist in der ganzen
arabischen Welt populär. Indem sie ihnen zeigt, dass sie ein Freund auch in der
Not sind, wenn alle anderen Araber so schmählich versagen, hofft die Hisbollah
ihre Popularität zu vergrößern. Wenn jetzt schon ein
israelisch-palästinensisches Abkommen erreicht worden wäre, dann wäre die
Hisbollah nur mehr ein lokales libanesisches Phänomen, ohne Einfluss auf unsere
Situation.
WENIGER ALS drei Monate nach der Bildung der Olmert-Peretz-Regierung
ist es ihr gelungen, Israel in einen Zwei-Frontenkrieg zu ziehen, dessen Ziele
unrealistisch und dessen Folgen nicht abzusehen sind.
Wenn Olmert hofft, als "Mister
Macho-Macho", als Sharon II., angesehen zu werden, dann wird er
enttäuscht werden. Dasselbe gilt für den verzweifelten Versuch von Peretz, als imponierender "Mister Sicherheit"
ernst genommen zu werden. Jeder hat begriffen, dass diese Operationen - im
Gazastreifen genau so wie die im Libanon - längst von der Armee geplant und
diktiert worden waren. Der Mann, der jetzt in Israel die Entscheidungen fällt,
ist Dan Halutz. Nicht zufällig wurde der "Job"
im Libanon der Luftwaffe zugeteilt.
Die israelische Öffentlichkeit ist vom Krieg gar nicht begeistert. Sie hat sich
mit stoischem Fatalismus damit abgefunden, weil man ihr erzählt hat, es gebe
keine Alternative: und, in der Tat, wer könnte gegen ihn sein? Wer möchte
nicht, dass die "entführten Soldaten" befreit werden? Wer möchte
nicht, dass die Katjuschas entfernt werden und die Abschreckung wieder
funktioniert? Kein Politiker wagt es, die Operation in Frage zu stellen, (außer
den arabischen Knessetmitgliedern, die von der jüdischen Öffentlichkeit
ignoriert werden). In den Medien herrschen die Generäle - und nicht nur die in
Uniform. Es gibt fast keinen früheren General, der nicht von den Medien
eingeladen wird, um zu kommentieren, zu erklären und zu rechtfertigen - und
alle sprechen mit einer Stimme.
(Als kleine Illustration: Israels bedeutendster Fernsehsender lud mich zu einem
Interview über den Krieg ein, nachdem bekannt geworden war, dass ich an einer
Anti-Kriegs-Demonstration teilgenommen hatte. Ich war ziemlich überrascht. Aber
nicht lange - eine Stunde vor der Sendung, rief ein sich entschuldigender
Talkshowmaster an und sagte, es hätte sich ein schrecklicher Fehler
eingeschlichen – in Wirklichkeit wollte man Professor Shlomo
Avinery, den früheren Generaldirektor des
Außenministeriums einladen. Auf ihn kann man zählen, wenn es darum geht, eine
Handlung der Regierung mit abgehobener akademischer Sprache zu rechtfertigen –
ganz gleich, um welche es sich handelt.)
"Inter arma silent musae" - "wenn die Waffen sprechen,
schweigen die Musen" heißt ein altes Sprichwort. Hier passt eher: Wenn
die Kanonen donnern, hört das Gehirn auf zu arbeiten.
NUR NOCH ein kleiner Gedanke: Als der Staat Israel in der Mitte eines grausamen
Krieges gegründet wurde, waren die Wände mit Plakaten zugepflastert, auf denen
folgendes zu lesen war: "Das ganze Land - eine Front, das ganze Volk -
eine Armee!"
Seitdem sind 58 Jahre vergangen, doch der Slogan ist noch genau so gültig wie
damals. Was sagt das über die Generationen von Staatsmännern und Generälen aus?
15.07.2006
(Aus dem Englischen übersetzt von: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz,
vom
Verfasser autorisiert)
Vorbemerkung:
Antifa-AG der Uni Hannover