Im Folgenden die Kritik von Dario Salvetti, Mitglied der Nationalen Koordination der Giovani Comunisti /e (Junge Kommunist/inn/en = Jugendorganisation von Rifondazione Comunista) und dort ein Vertreter des linken Flügels zum Konzept des “Sozialen Ungehorsams” aus der alle 6 Wochen erscheinenden Zeitschrift “FalceMartello” (Hammer & Sichel) Nr. 152 vom 18.November 2001.

Wie bereits an anderer Stelle angemerkt, existiert die relativ kleine “FalceMartello”-Gruppe, zu der Salvetti gehört, seit 1984, ist Teil des linken Flügels von Rifondazione Comunista und zählt (für die ideologisch-organisatorischen Stammbaumforscher !) zur trotzkistischen Strömung um Ted Grant & Co. (d.h. der ehemaligen Führung der Militant Tendancy in der Labour Party bzw. des CWI). Wir bringen ihre Einschätzung hier allerdings nicht deshalb, sondern weil der Autor, eine zwar an einigen Stellen etwas hölzerne, aber im wesentlichen richtige Kritik am Konzept des “Sozialen Ungehorsams” übt, auch wenn wir im Gegensatz zu ihm nicht der Meinung sind, daß dieser mit dem “zivilen Ungehorsam” identisch ist, mit dem die Tute Bianche bis inklusive Genua hausieren gingen (und dafür breit bejubelt wurden). Wir sehen darin eine relative Verbesserung - einen Schritt in die richtige Richtung. Doch einer genügt nicht und revolutionäre sozialistische Politik erschöpft sich so wenig im Ungehorsam-Sein wie künstliche, voluntaristische Aktionen einen realen (massenhaften) Klassenkampf und eine zielgerichtete revolutionäre Basisarbeit ersetzen können.



Giovani Comunisti:  “Ungehorsame” oder Revolutionäre ?

Der Schleier der Heuchelei über die Einheitlichkeit der Sozialforen ist zerrissen worden. Von der Demonstration <gegen den kurzfristig nach Brüssel verlegten NATO-Gipfel am 26.9.2001> in Neapel bis zur nationalen Versammlung <der italienischen Antiglobalisierungsbewegung bzw. der “Sozialforen” Ende Oktober 2001> in Florenz sind in den Sozialforen verschiedene politische Bereiche deutlich geworden. Das war ein unvermeidlicher Prozeß. Die Sozialforen präsentieren sich als die Organisation der “Zivilgesellschaft”. Die Zivilgesellschaft ist jedoch kein homogener Block. Sie ist in unterschiedliche, in einigen Fällen <sogar> ökonomisch feindliche Klassen gespalten. Für die Marxisten hat jede politische und organisatorische Auffassung in klarer oder verzerrter Weise eine Klassenbasis. Es war natürlich, daß sich die Sozialforen früher oder später über unterschiedliche Programme und Organisationsauffassungen spalten würden.

Das “Laboratorium für den sozialen Ungehorsam”

Unter den verschiedenen Bereichen, die sich formiert haben, gibt es, von den Tute Bianche, von <der italienischen Solidaritätsbewegung mit den Zapatisten in Mexiko> Ya Basta und von den gemäßigteren centri sociali vorgeschlagen, jenen Bereich der “Ungehorsamen” (Disobbedienti), auch “Laboratorium für den sozialen Ungehorsam” genannt. Es  gibt nichts Schlechtes an der Schaffung dieses Bereiches. Es handelt sich um eine notwendige politische Klärung. Die negative Sache ist, daß sich unter den Initiatoren / Betreibern des Laboratoriums auch die Giovani Comunisti befinden.

Seit dem Beginn der Antiglobalisierungsbewegung haben die Spitzen der Giovani Comunisti theoretisch verkündet, daß es nicht notwendig sei, in die Bewegung zu intervenieren, indem unabhängige Positionen eingebracht werden, sondern daß es notwendig sei, “sich mit den in der Bewegung vorhandenen Positionen zu kontaminieren”. Dabei handelt es sich um eine ebenso falsche wie heuchlerische Theorie. Falsch, weil eine Massenbewegung nicht chemisch rein ist. Die Aufgabe einer kommunistischen Organisation müßte es sein, die fortgeschrittensten Ideen innerhalb einer Bewegung zu fördern und politisch dazu beizutragen, die rückständigeren Ideen zu überwinden. Heuchlerisch, weil die Giovani Comunisti sich nicht von den allgemein in der Bewegung vorhandenen Positionen haben “kontaminieren” lassen. Sie haben eine sehr präzise Wahl des Lagers getroffen: Sie haben sich ins Schlepptau von Ya Basta und den Tute Bianche begeben. Dort, wo die Tute Bianche präsent waren, haben die Giovani Comunisti mit der Entschuldigung der “Kontamination” deren Vorstellungen übernommen. Wo die Tute Bianche nicht vorhanden waren, haben die Giovani Comunisti aktiv deren Auffassungen verbreitet. Das ist alles andere als Kontamination !  Die Nationale Exekutive der Giovani Comunisti hat beschlossen, daß die Hegemonie, wie Gramsci und Lenin sie verstanden, historisch überholt ist. Nicht überholt ist die Hegemonie wie sie von Casarini <dem bekanntesten Sprecher der Tute Bianche> verstanden wird.

 Am Samstag <den 17.November 2001> wird der nationale Aktionstag des Ungehorsams mit symbolischen Besetzungen von Mc Donald’s-Läden, von Büros von Zeitarbeitsfirmen, Schulen und Universitäten sein. Wir übergehen die Wunschvorstellung, am Samstag die Universitäten zu besetzen. Wir gehen über die Tatsache hinweg, daß die Besetzung einer Schule nicht ein eklatanter Akt, sondern der Zielpunkt eines Massenkampfes sein sollte, mit einer demokratischen Abstimmung unter den Schülern. Das, worüber wir nicht hinweggehen können, ist die Idee, die diesen Aktionen zugrunde liegt: Die Idee, eine eklatante und symbolische Geste wecke wieder das Bewußtsein der Massen. Die Arbeiter und Angestellten und die Schüler und Studenten haben keinen Bedarf an “Superhelden”, die sie im Handeln ersetzen, sondern daran, sich für den eigenen kollektiven Kampf zu organisieren. Unsere Aufgabe sollte es nicht sein, in Besetzungstourismus zu machen und einige Dutzend Jugendliche heute dazu zu bringen, McDonald’s und morgen Manpower zu besetzen. Unsere Aufgabe sollte es sein, die Beschäftigten dieser Betriebe in der Weise in unsere Organisation aufzunehmen, daß sie dort Streiks organisieren. Zweitens hat die symbolische Ebene vollständig die Oberhand über die reale übernommen. Die Macht der Bourgeoisie liegt nicht in den McDonald’s Läden und auch nicht in irgendeinem kleinen Uni-Hörsaal, sondern im Privateigentum an den Produktionsmitteln. Deshalb setzen sich die Kommunisten das Ziel, sich in den Betrieben zu verankern, das politische Niveau der Arbeiter zu erhöhen und reale gewerkschaftliche Kämpfe zu organisieren, um den Kampf der einzigen Klasse vorzubereiten, die in der Lage ist, die Produktionsverhältnisse zu ändern: die der Arbeiter.

Die Verschiebung der Nationalen Konferenz der GC

Der Block mit den “Ungehorsamen” stellt die Existenz der Giovani Comunisti zur Diskussion. Warum sollte ein Jugendlicher Mitglied der GC werden, wenn sie eine Kopie der “Ungehorsamen” sind ?  Unter anderem bedarf es, um eklatante Akte durchzuführen, keiner kommunistischen Organisation. Dazu genügt irgendeine Vereinigung.

Parallel dazu kam es zur x’ten Verschiebung der Nationalen Konferenz der Giovani Comunisti. Die Nationale Konferenz hat zum ersten Mal 1997 stattgefunden. Man hätte sie 1999 abhalten müssen. Nach einer Reihe von Verschiebungen wurde sie <dann> offiziell für den Dezember 2001 einberufen. Die Nationale Koordination hat am 30.September mit nur 2 Gegenstimmen (derjenigen des Autors dieses Artikels und des Genossen Gabriele Donato aus Udine) beschlossen, sie weiter auf den Mai 2002 zu verschieben. Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der dauernden Verschiebung der Konferenz und der Theorie der “Kontamination”. Wozu dient die interne Debatte innerhalb der Giovani Comunisti, wenn wir unsere Positionen einfach von der Bewegung übernehmen ?  Die Negation der Intervention der Kommunisten in die Bewegung endet bei der Negation der Notwendigkeit sich zu organisieren und die politische Linie zu diskutieren.

Skandalöserweise hat auch die von den Genossen des Progetto Comunista gebildete sogenannte interne <linke> “Opposition” in der Nationalen Koordination der Verschiebung der Konferenz zugestimmt. Sie haben nicht nur dafür gestimmt, weil sie den Zusammenhang zwischen dieser Verschiebung und der Intensivierung des Bündnisses mit den “Ungehorsamen” nicht begriffen haben, sondern haben für die Verschiebung auch einen “edlen” Vorwand geliefert: Die Leitung der Giovani Comunisti konnte die Konferenz mit der Billigung der eigenen internen Minderheit verschieben. Was gibt es da noch zu fragen ?

So hat sich 4 Jahre nach der letzten Nationalen Konferenz der Kreis geschlossen. Die bewegungs-orientierten Positionen der Mehrheit haben einen organischen Block mit den Tute Bianche ins Leben gerufen. (Wir haben allerdings keine Zweifel daran, daß dieses Abkommen nicht auf beiderseits geteilten Prinzipien basiert, sondern auf einem gegenseitigen Vorteil und daß es beendet sein wird, kaum daß dieser wegfällt.) Andererseits hat Progetto Comunista nichts getan, um den Aktivisten der Minderheit einen klaren Hinweis zu geben, damit sie die Überlegenheit der eigenen politischen Positionen über eine Aktivität der Verankerung in den Betrieben, den Schulen und den Universitäten demonstrieren. Nach Jahren, die damit vergangen sind, sterile Anträge in der Nationalen Koordination zu stellen, sind die Genossen von Progetto Comunista am 30.September aufgewacht, um zu sagen, daß “es nicht die Zeiten waren, um die Nationale Konferenz zu machen” und zusammen mit der Mehrheit für die Verschiebung zu stimmen.

Es bestätigen sich so unsere Kritiken über die Politik der GC in dem “Offenen Brief”, den wir seit Juli haben zirkulieren lassen (nachlesbar auf www.marxismo.net).

Innerhalb der Antiglobalisierungsbewegung haben wir Tausende von Jugendliche, die überzeugt und bereit sind gegen das kapitalistische System zu kämpfen. Wir haben die Partei und die Giovani Comunisti aufgefordert, sich innerhalb der Bewegung <von den anderen Kräften> zu unterscheiden, indem sie die eigenen unabhängigen Positionen einbringen und darauf abzielen, diesen Jugendlichen eine revolutionäre Alternative anzubieten, die ihre Energien in einem realen Kampf für den Umsturz dieser Gesellschaft organisiert. In Genua hat man uns geantwortet, daß “unsere unabhängigen Positionen einzubringen”, die Spaltung der Bewegung provoziert hätte. Heute sind die Sozialforen offenkundig gespalten. Diese Entschuldigung wird <also> entfallen. Die Spaltungen gibt es und wo wollen sich die Giovani Comunisti positionieren ?  Mit dem rückständigsten und gemäßigtesten Teil der centri sociali. Die Konferenz ist verschoben worden, aber deshalb werden wir unseren Kampf für die Verteidigung der marxistischen Ideen innerhalb unserer Jugendorganisation nicht weiter verschieben.

von Dario Salvetti



Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover