Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Mitte März 2005 wurden in den italienischen Banken Gewerkschaftsversammlungen über den neuen Branchentarifvertrag abgehalten, der zwar von den Einzelgewerkschaften der großen sozialpartnerschaftlichen Zentralen CGIL, CISL und UIL sowie einigen, eher gelben, korporativen Verbänden unterstützt, von der größten (und eigenständigen) Gewerkschaft der Bankangestellten – der FABI – allerdings abgelehnt wird. Laut einer Pressemitteilung der nationalen Sekretariate von FISAC-CGIL, FIBA-CISL, UILCA, FALCRI und DIRCREDITO vom 24.3.2005 hätten 85% der Teilnehmer ihrer Versammlungen den Tarifvertrag gebilligt. Eine ordentliche (wirklich aussagekräftige) Urabstimmung aller betroffenen Beschäftigten gab es jedoch nicht.

Die linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ befragte den für Tarifpolitik verantwortlichen Sekretär der CGIL-Branchengewerkschaft FISAC, Ezio Dardanelli, nach seiner Sicht und Rechtfertigung dieses Tarifvertrages, der erst nach 10monatigen Verhandlungen und insgesamt 3 Streiks zustande gekommen war und auch vom linken Flügel der CGIL (insbesondere aufgrund der Einfallstore für eine weitere Prekarisierung) heftig kritisiert wird. Das Interview erschien am 15.3.2005.

 

„Mehr Klarheit für die Bankkunden“

 

Bankangestellte beim Endspurt der Versammlungen in Sachen Tarifvertrag. Dardanelli (CGIL): Wir müssen neue Parmalats verhindern.

 

ANTONIO SCIOTTO

 

Diese Woche gehen die Versammlungen der Bankangestellten zu Ende. Nach zwei Generalstreiks für einen neuen Tarifvertrag war die Beteiligung sehr hoch. Man ist nicht zur Urabstimmung geschritten, auch wenn es in einzelnen Unternehmen Abstimmungen geben wird. Es waren CISL und UIL, die <hier> bremsten, während die CGIL (vor allem der linke Bereich) und die FABI, die nicht mit den anderen Organisationen zusammen unterschrieben hat, versuchten, eine Urabstimmung durchzuführen. Die Gewerkschaften haben beim Italienischen Bankenverband (ABI) eine Gehaltserhöhung um 5,9% erreicht, was durchschnittlich knapp 160 Euro entspricht. Die Auseinandersetzung um das <der weiteren Prekarisierung dienende> Gesetz Nr.30 /2003 war hart – mit einem Arbeitsminister Maroni <von der rechtspopulistischen Lega Nord>, der Druck auf die Bankiers ausübte, damit es im Höchstmaß angewandt wird. Der Damm hat allerdings gehalten und es wurden nur einige Arbeitsvertragstypen aufgenommen. Die prekarisierendsten wurden ausgeschlossen. Der FISAC-CGIL zufolge bleiben jedoch zwei Probleme: Die Lohnanreize und die Abtretung von Unternehmensteilen. Wir befragten dazu Ezio Dardanelli, der in der FISAC der verantwortliche Koordinator für die Tarifpolitik gegenüber der ABI ist.

 

Welche Kriterien habt Ihr bei den Lohnforderungen angelegt ?

 

„Wir haben de facto die Überwindung des Abkommens vom Juli 1993 <Anm.1> erreicht, da wir für 2005 nicht die von der Regierung veranschlagte, sondern die <allgemein> erwartete Inflation bekommen haben: 1,9%. Für 2002-2003 haben wir einen Lohnausgleich von <ebenfalls> 1,9% vereinbart und für 2004 die reale Inflation von 2%. Wir glauben, dass die Beschäftigten so die Kaufkraft zurückerlangt haben. Das war das zentrale Thema der Lohnforderungen. Im Unterschied zu den Metallarbeitern, die zu 50% nicht durch betriebliche Ergänzungsabkommen gedeckt sind, haben wir das Thema Produktivität im nationalen Tarifvertrag nicht berührt, weil 95-96% der Unternehmen über einen Tarifvertrag der zweiten Ebene verfügt. Außerdem haben wir die Neubemessung und die zusätzliche Altersversorgung erreicht.“

 

Was das Gesetz Nr. 30 anbelangt, habt Ihr einen Lehrlingsstatus (mit vergleichsweise unterdurchschnittlicher Einstufung) akzeptiert, der volle vier Jahre dauert. Ist das nicht exzessiv ?

 

„Das Gesetz Nr.30 sieht ein Maximum von 6 Jahren vor und wir glauben, dass aufgrund der 120 Stunden Ausbildung und Begleitung durch einen Tutor pro Jahr <bei einer 40 Stunden-Woche bedeutet das lächerliche 3 Wochen Ausbildung der „Lehrlinge“ im Jahr !!>, die wir für die Neueingestellten erreicht haben, sich <für sie> nach 4 Jahren noch größere Möglichkeiten für eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis ergeben. Anders ausgedrückt, bei einem Unternehmen, das soviel investiert, glaube ich nicht, dass es sich leichten Herzens von einer qualifizierten Arbeitskraft trennt. In jedem Fall wird es alle 6 Monate eine Überprüfung der Stabilisierungen <d.h. der Übernahmen in ein Normalarbeitsverhältnis> geben. Außerdem haben wir – und das ist keine kleine Errungenschaft – durchgesetzt, dass die Lehrlinge nicht ‚unsichtbar’ sind, wie es das Gesetz Nr. 30 vorsieht. Sie werden nämlich bei den Berechnungen für den Artikel 18 <Kündigungsschutz>, die <Wahl der> Betrieblichen Gewerkschaftsversammlungen (RSA) und das Versammlungsrecht berücksichtigt. In Sachen Teilzeit wird eine aus dem Unternehmen und den Gewerkschaften bestehende Kommission eingesetzt, um über die elastischen Klauseln zu entscheiden. Bezüglich der befristeten Beschäftigung bleibt der maximale Prozentsatz von 10%, bezüglich Leiharbeit von 5%. Der job on call <Arbeit auf Abruf>, das staff leasing <dauerhafte Zwangsversetzungen> und das job sharing <Teilen eines Arbeitsplatzes> wurden nicht geregelt und wir haben auch keine Co.co.prò’s (die neue Form der Co.co.co’s / Scheinselbständigen). Die ABI wäre bereit gewesen, die Formen, die wir abgelehnt haben, ausdrücklich auszuschließen, aber der Minister Maroni hat Druck ausgeübt, damit genau das nicht geschieht. Es wäre eine zu heftige Ohrfeige für ‚sein’ Gesetz Nr.30 gewesen. Jetzt werden wir mit der ABI ein internes Rundschreiben vereinbaren, das präzisiert, dass all jene Vertragsformen auf nationaler und betrieblicher Ebene nicht angewandt werden sollen.“

 

Bleiben offene Fragen ?

 

„Ja, und die werde ich sofort erklären, aber vorher will ich auf ein weiteres wichtiges Ergebnis hinweisen: Es ist uns gelungen, auch die Call Center und die Dienstleistungscenter innerhalb der Begrenzungslinie des nationalen Tarifvertrages zu halten – etwas, das heutzutage nicht wenig ist.

Was die offenen Punkte anbelangt, würde ich die Abtretung von Unternehmensteilen nennen. Wir werden – so wie es jüngst bei der Ausgliederung der Informatikabteilung von Capitalia geschah – im Fall von Outsourcing Garantien erreichen müssen. Ein anderer Punkt, an dem wir arbeiten werden, ist der Lohnanreiz, d.h. die Prämien, die die Banken den Beschäftigten zahlen, wenn diese die Finanzprodukte an die Kunden verkaufen. Heute werden sie einseitig beschlossen und das schafft Druck und kann die Exzesse hervorrufen, die dann zu Fällen wie Parmalat und Cirio werden <Anm.2>.

Wir fordern diese Mechanismen zusammen kontrollieren zu können und so eine Ethik des Verkaufs festzulegen. Schließlich wollen wir der FABI sagen, dass wir die Tatsache berücksichtigen, dass sie die größte Organisation der Bankangestellten ist.  Wir glauben allerdings, dass – wenn wir gemeinsam weiterkommen wollen – wir nachdenken und bezüglich der zuletzt bezogenen Positionen eine Selbstkritik üben müssen.“

 

 

Anmerkung 1:

Das Drei-Parteien-Abkommen vom 23.Juli 1993 ist das zentrale sozialpartnerschaftliche Abkommen der letzten 15 Jahre in Italien. Es legte die endgültige Abschaffung der automatischen Anpassung der Löhne und Gehälter an die Inflation (scala mobile) sowie eine langfristige Lohnzurückhaltung fest, da ein Verzicht auf Reallohnerhöhungen vereinbart wurde und die Tarifverträge nur noch maximal die von der Regierung (fast immer viel zu niedrig) veranschlagte Inflation ausgleichen sollten. Abgeschlossen wurde es von CGIL-CISL-UIL, der Confindustria sowie der sog. „Techniker-Regierung“ unter dem heutigen Staatspräsidenten und ehemaligen Zentralbankchef, dem Christdemokraten Carlo Azeglio Ciampi. Insbesondere in Norditalien löste es zum Teil militante Arbeiterproteste aus. Die verantwortlichen Gewerkschaftschefs wurden von Hunderten aufgebrachter Arbeiter auf Gewerkschaftskundgebungen mit Schrauben und Feuerzeugen beworfen.

Anmerkung 2:

Der mittelitalienische Nahrungsmittelkonzern Parmalat (Milchprodukte, Saft, Gebäck) musste im Dezember 2003 Insolvenz anmelden, da seine betrügerischen Finanzmanipulationen aufflogen. Er stand am Ende mit 13,2 Milliarden Euro Schulden da. Firmengründer und -chef Calisto Tanzi wurde zwar unter Hausarrest gestellt, doch bis wenige Stunden vor dem für Analysten längst absehbaren betrügerischen Bankrott wurden den Bankkunden die Parmalat-Aktien als absolut sichere und lohnende Geldanlage angepriesen. Ähnliches spielte sich bei der Pleite des Lebensmittelkonservenproduzenten Cirio im Januar 2003 ab. Wegen des Verdachts krimineller Machenschaften bei der Emission der Cirio-Aktien zwischen Mai 2000 und Sommer 2002 sind mehrere führende italienische Bankiers ins Visier der Ermittler geraten, so der Präsident der römischen Bank Capitalia, Cesare Geronzi, der Chef des Kreditinstitutes SanPaolo IMI, Rainer Masera, sowie der Chef der Volksbank von Lodi, Giovanni Benvenuto.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkungen und Einfügungen in eckigen Klammern:

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