Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Wie bereits bei anderer Gelegenheit angemerkt, findet in der Führung des größten italienischen Gewerkschaftsbundes – der CGIL – trotz zweier Generalstreiks Ende Oktober 2003 und Ende März 2004 eine Wende hin zur (noch schlechteren) Neuauflage der sozialpartnerschaftlichen „Einkommenspolitik“ (d.h. der Politik der schiedlich-friedlichen Lohnflexibilisierung und –zurückhaltung) statt. Der zwischen Herbst 2001 und Sommer 2003 stattgefundene zwischenzeitliche Linksrutsch wird Schritt für Schritt wieder rückgängig gemacht, was die Wiederannäherung an die kleineren und rechteren Gewerkschaftszentralen CISL und UIL ermöglicht, weil diese parallel dazu – bedingt durch Berlusconis harte Haltung in der Rentenfrage und ausbleibende Brosamen für die bisher gezeigte „Einsicht in das Unabwendbare“ – für einzelne Mobilisierungen offen sind. Der Großteil der CGIL-Linken steht dieser Situation unentschlossen gegenüber und enthielt sich auf der letzten Tagung des 100köpfigen CGIL-Leitungskomitees in Sachen Rückkehr zur „Einkommenspolitik“. Die beiden Gewerkschaftslinken Ferruccio Danini und Carlo Baldini stimmten dagegen. Zusammen mit der selbstorganisierten und basisorientierten Koordination der RSU-Delegierten (Coordinamento Nazionale RSU) bildet Daninis Strömung sicherlich den kritischsten Teil der CGIL-Linken. Sie weist allerdings zwei bedeutende Schwächen auf: Zum einen ist sie sehr auf den Apparat orientiert und zum anderen schwebt Danini (der zu den bekanntesten CGIL-Linken zählt und in der Vergangenheit u.a. Tagungspräsident / „Geschäftsführer“ des erweiterten CGIL-Vorstandes war) so etwas wie die Renaissance der Gewerkschaft als Transmissionsriemen der Kommunistischen Partei (Rifondazione Comunista) vor. Das führt im Einzelfall zu überraschenden taktischen Manövern und stand dem Wachstum dieser Strömung im Wege, auch wenn Rifondazione in der Regel alle gewerkschaftlichen Kämpfe vorbehaltlos unterstützt und für ihre Verschärfung eintritt.

Ihre Kritik am schleichenden Rechtsrutsch der von Epifani geführten CGIL-Mehrheit und der indifferenten Haltung des Großteils der Linken formulierten Danini und Baldini in einem Brief an die von Rifondazione herausgegebene Tageszeitung „Liberazione“ vom 21.2.2004.


Wieso schlägt Guglielmo Epifani, trotz der von den Werktätigen in den Arbeitsstätten verkündeten Ablehnung, erneut eine sozialpartnerschaftliche Politik vor ?


Lieber Direktor,


in den letzten Tagen sind in einigen Tageszeitungen Berichte über die letzte Tagung des nationalen Leitungskomitees der CGIL erschienen, die wir als Angehörige dieses Gremiums als nicht der Tragweite der diskutierten Themen entsprechend ansehen.


Der Punkt, über den nachgedacht werden muss, ist, warum nach zwei Jahren in einem Schlussdokument des Leitungskomitees, auf Vorschlag des Nationalen Sekretariats, die Formel „Einkommenspolitik“ wieder auftaucht ? Wieso der Generalsekretär Guglielmo Epifani in der Diskussion erneut die Möglichkeit einer Politik sozialpartnerschaftlichen Typs äußert ? Es handelt sich dabei um die erneute Lancierung eines Themas, das dem Projekt der Mehrheit des letzten CGIL-Kongresses zugrunde lag und dem wir mit einem alternativen Dokument entgegengetreten sind. Warum wird dieses Thema heute wieder in die Diskussion gebracht, nachdem es mehr als zwei Jahre lang einkassiert worden war ?


Weil – unserer Ansicht nach – die Vorstandsmehrheit der Nach-Cofferati (siehe Anmerkung 1)-Ära Schwierigkeiten bei der Führung der Organisation zeigt, geht die eigenständige Aktionsfähigkeit der CGIL zu Neige. Diese Schwierigkeiten sind die Folge einer Reihe von Fehlern, die von der Mehrheit des Gewerkschaftsbundes begangen wurden. Angefangen bei der Tatsache, dass sie auf dem Kongress der Linksdemokraten (DS) ein grundlegendes Subjekt und Förderer des correntone <d.h. der breiten Strömung der verschiedenen Teile der DS-Linken> war und die CGIL damit in die Minderheitsströmung der Reformpartei verwandelte – bis hin zum wiederholten Scheitern bei der Gründung einer politischen Partei. Wir befinden uns in der Endphase dieses Weges, vom ehrgeizigen Cofferati-Projekt der <Schaffung einer> „Partei der Arbeit“ bis zum marginaleren Vorhaben der Vereinigung „Lavoro e Libertà“ (Arbeit & Freiheit). Wir erleben – und das ist das Gravierendste – das Fehlen eines erneuerten gewerkschaftlichen Vorschlags der CGIL. Wir haben in den letzten Monaten mit Nachdruck auf die Notwendigkeit eines gewerkschaftlichen Projektes aufmerksam gemacht. Andernfalls droht der CGIL in der Sozialpolitik die Gefahr eines Abrutschens in die Unterordnung unter die moderate Position des <mitte-linken> Olivenbaum-Bündnisses.


Die Verteidigung der sozialen Bedingungen der Arbeitseinkommen und der Kaufkraft der Löhne erfordert eine neue gewerkschaftliche Projektfähigkeit, wie wir sie mit unserem programmatischen Dokument „Hier sind wir“ versucht haben vorzuschlagen. Ein Vorhaben, das ausgehend von den Globalisierungsprozessen und den sozialen Erfahrungen von Porto Alegre bis Mumbai in der Lage ist, sich zu einer multipolaren Welt, zur Dimension Europa, zur nationalen Tarifpolitik und den Systemsträngen auf territorialer Ebene auf innovative Weise zu verhalten – zum Zwecke der Entwicklung einer gerechten, solidarischen und nachhaltigen Politik.


Diese neue Projektfähigkeit, deren grundlegende Linien wir versucht haben zu definieren, erfordert für ihre Entwicklung Beiträge, Bereicherungen, Vertiefungen, Initiativen sowie die zunehmende Beteiligung und Demokratie. Kurz gesagt: die Fähigkeit, diese „neue Mehrheit der CGIL“, die den Vorschlag einer „erneuerten Einkommenspolitik“ macht (Nie wieder einen abgestaubten und als neu ausgegebenen alten Vorschlag !), mit erneuerten Inhalten zu beantworten.


Die Versammlung der Reformer <will heißen des dezidiert rechten CGIL-Flügels, dem Epifani immernoch zu links ist>, die am 19.Februar stattfand und an der die DS- und SDI- <siehe Anm.2> Sekretäre Fassino und Initini sowie die ehemaligen CGIL-Generalsekretäre Pizzinato und Trentin teilnahmen, d.h. diejenigen, die die Einkommenspolitik der 90er Jahre faktisch umgesetzt haben, hat erneut für die Unterordnung der Gewerkschaft unter das Lager der Mitte-Linken und der gemäßigten Linken plädiert. Das heißt unter ein politisches Lager, das heute unfähig ist, in Sachen Frieden, Arbeitsmarkt, Renten und Löhne solidarische Vorschläge zu machen. Wir glauben, dass wir eine positive Rolle gespielt haben als wir mit unserer Aktion den Beschlüssen des nationalen Leitungskomitees der CGIL entgegen traten. Wir haben damit das, im alternativen Leitantrag <des linken Flügels> enthaltene Kongressprojekt verteidigt.


Wir meinen, es wäre gut und notwendig, dass die Gewerkschaftslinke innehält, um nachzudenken und dass unsere eigene Partei, aufgrund ihres innovativen und antagonistischen Projektes, wenn nötig darüber entscheidet, eine allgemeine Reflektion einzuleiten, bevor es zu spät ist.


Mit Zufriedenheit nehmen wir zur Kenntnis, das 11 Mitglieder der Leitung in puncto Beginn einer „neuen Einkommenspolitik“ anders abgestimmt haben als die Mehrheit, wenn auch aus anderen Gründen als wir (wie wir denken). Das alles ist wichtig, ist eine bedeutende Tatsache und kann auf der für April vorgesehenen programmatischen Konferenz der CGIL zur Suche nach gemeinsamen Positionen ermuntern.


Eine Reflektion ist jedoch Pflicht. Wir sind Mitglieder des wichtigsten Gremiums der CGIL, weil uns der Kongress <im Februar 2002> als Vertreter des alternativen Kongressdokuments dorthinein gewählt hat. Wir repräsentieren den Willen jener Werktätigen. Wir befinden uns nicht im Senat der Italienischen Republik, wo es das Reglement vorsieht, dass Enthaltungen als Gegenstimmen gewertet werden.


In der Arbeiterbewegung bedeuten Ja-Stimmen Ja und Nein-Stimmen Nein. Und bezüglich des Vorschlages einer „neuen Einkommenspolitik“ sind wir der Auffassung, dass es aufgrund der strategischen Bedeutung derselben keine Enthaltungen geben kann. Gegen dieses Vorhaben haben wir einen Kongress abgehalten und das Mandat, das uns die Werktätigen, ausgehend von den Arbeitsstätten, gegeben haben, hieß dazu Nein zu sagen !


Carlo Baldini und Ferruccio Danini (aus der nationalen Leitung der CGIL)


Anmerkung 1: Sergio Cofferati trat Ende September 2003 aus Altersgründen als CGIL-Chef zurück. Er war 2002, aufgrund seiner kompromisslosen Verteidigung des Kündigungsschutzes und seines Anti-Kriegs-Kurses, ein Jahr lang der führende DS-Linke und fast ein Volksheld. Kurz nach seinem Rücktritt vollzog er allerdings eine massive Kehrtwende, sprach sich vehement gegen das von Rifondazione u.a. initiierte und am Ende auch von der CGIL unterstützte (allerdings gescheiterte) Referendum zur Ausweitung des Kündigungsschutzes auch auf die kleineren Betriebe aus und ist heute der weitgehend stromlinienförmige DS-Kandidat für den Bürgermeisterposten in Bologna.


Anmerkung 2: SDI = Italienische Demokratische Sozialisten = der größte Splitter des 1995 im Gefolge diverser Schmiergeldskandale („Tangentopoli“ / „Mani Pulite“) aufgelösten PSI. Der SDI-Wähleranteil beträgt landesweit 2,5 – 3%.


Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkungen und Einfügungen in eckigen Klammern:

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