Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Leider ist der alte Sponti-Spruch „Stell’ Dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin!“ eine Illusion. Von einer auf soziale Revolutionen bezogenen Variante kann man das gegenwärtig leider nicht behaupten. „Stell’ Dir vor, es gibt eine Revolution und (fast) die ganze Linke schaut weg!“ ist – bezogen auf die anti-feudale und „volksdemokratische“ Revolution in Nepal – derzeit sogar bittere Realität. Bestenfalls gab es noch ein bisschen Sympathie mit den Demos der nepalesischen Kongresspartei und den sozialdemokratischen Parteien, die sich in Katmandu und Umgebung aus alter Tradition noch „United Marxist-Leninists“ (UML) nennen, aber nicht radikaler sind als PDS und WASG hierzulande. Dass „auf dem Dach der Welt“ eine erfolgreiche kommunistische Guerilla existiert, die laut bürgerlichen Schätzungen 60% des Landes kontrolliert und den Sturz der monarchistischen Militärdiktatur des nepalesischen Königs Gyanendra im April 2006 überhaupt erst möglich machte, wird soweit wie möglich ignoriert, weil es sich ja um „Maoisten“ bzw. um „die RIM“ handelt, aber vielleicht auch nur aus allgemeiner Resignation und Lethargie. Die Kritik am Sektierertum, am hohlen Aktionismus und an der teilweisen Hysterie des Revolutionary International Movement (RIM) und ihrer Kreation eines „Marxismus-Leninismus-Maoismus“ (MLM) ist nur allzu berechtigt.

 

Es sollte allerdings auch klar sein, dass mit einer Politik wie sie die RIM in Deutschland oder der PCP-Sendero Luminoso in Peru praktiziert hat, ein Masseneinfluss und eine politische Stärke wie in Nepal nie zu erreichen gewesen wäre. Im Gegensatz zu Sendero, in dem Abimael Guzman quasi Gott-gleichen Status genoss und genießt, gibt es in der Kommunistischen Partei Nepals (Maoisten), trotz aller Berufung auf die RIM und den „MLM“, durchaus offene politische Auseinandersetzungen in Grundsatzfragen, die keineswegs mit der Liquidierung der kritischen Geister enden. So kritisierte Anfang 2005 die „Nummer 2“ der CPN(M), Baburam Bhattarai, den Versuch von Parteichef Prachanda den „Marxismus-Leninismus-Maoismus“ noch um den sog. Prachanda-Weg zu ergänzen und sich damit selbst zum „Klassiker“ zu erheben, offen und überaus deutlich als „Personenkult“ und Anflug von „Größenwahn“. Nachdem er daraufhin kurzzeitig kalt gestellt worden war, kam es Mitte 2005 (ohne die üblichen Riten falsch verstandener „Selbstkritik“) zur Beilegung der Differenzen und zur Rückkehr Bhattarais in die Parteispitze.

 

Ganz unabhängig davon verdient unseres Erachtens eine anti-feudale Revolution, die Beendigung einer reaktionären Diktatur samt Zerschlagung ihrer Strukturen, das Eintreten für eine Landreform, den Schutz ethnischer Minderheiten etc. allerdings auch so unsere (wie immer kritische) Solidarität. Anders als der Großteil der hiesigen Linken erwiesen sich die bürgerlichen Medien wieder einmal als weitaus offener und interessierter für die Ansichten der führenden „Linksextremisten“ in Nepal. Nachdem bereits die indische Tageszeitung The Hindu“ und die altehrwürdige BBC im Februar 2006 – sehr zum Verdruss des Königs – lange Interviews mit Parteichef Prachanda gebracht hatten, zog nun die „Deutsche Welle“ nach und verbreitete am 8.5.2006 das folgende Interview mit dem 52jährigen promovierten Architekten Baburam Bhattarai zur Lage in Nepal nach dem relativen Erfolg der 12tägigen Streiks und Demonstrationen in Katmandu.

 

Interview: "König Gyanendra kann nicht bleiben"

 

Baburam Bhattarai, Chefideologe und einer der beiden Anführer der maoistischen Rebellen in Nepal, spricht im DW-Interview über die Chancen eines dauerhaften Friedens und seine Vision eines Staates.

 

Deutsche Welle: Welche Strategie haben Sie festgelegt, wann werden Sie mit der Regierung reden?

 

Baburam Bhattarai:  In der Theorie sind wir einverstanden, dass wir verhandeln werden. Aber in der Praxis gibt es noch einige Haken. Nummer Eins: Wir haben mit der Sieben-Parteien-Allianz gegen die Monarchie gekämpft, aber die Monarchie ist noch nicht abgeschafft. Und die königliche Armee und die Bürokratie sind seit den letzten 200 Jahren loyal zum Königtum gestanden. Daher werden sie nicht so einfach in einen demokratischen Rahmen hineinpassen. Der Grundcharakter der königlichen Armee ist absolut anti-demokratisch. Da muss etwas geschehen, sie muss demokratisiert werden. Das ist unsere Position, das haben wir gesagt. Warten wir ab, was sie tun.“

 

Was muss sich Ihrer Meinung nach in der Armee ändern?

 

„Die Befehlshaber in der Armee sind alle Royalisten. Solange sie im Amt bleiben, können sie den Waffenstillstand, der jetzt in Kraft getreten ist, sabotieren. Wir hatten auch früher schon Gespräche und Waffenstillstände in der Vergangenheit, aber da gab es zum Beispiel den Durambha-Zwischenfall, bei dem während der Gespräche zwanzig unserer Kämpfer getötet wurden. Solche Dinge tun sie, um Verhandlungen zu torpedieren. Deswegen wollen wir, dass die Regierung der Sieben-Parteien-Allianz auf diese Dinge achtet.“

 

Also das heißt, erst muss sich der Charakter der Streitkräfte ändern, bevor Sie an den Verhandlungstisch kommen?

 

„Genau. Wie soll sonst die Sicherheit garantiert sein? Sie waren ja nicht nur gegen uns, sondern auch gegen sie (die Politiker der etablierten Parteien). Die Streitkräfte haben gegen die Sieben-Parteien-Allianz Schusswaffen und Stöcke eingesetzt, wie soll das funktionieren, wenn sie nicht in die Schranken gewiesen werden?“

 

Dass die sieben Parteien jetzt eine Regierung gebildet haben - halten Sie das für ein Täuschungsmanöver oder ist das die richtige Strategie?

 

„Sie haben uns schon ein wenig hintergangen. Im 12-Punkte-Abkommen (vom letzten Herbst) zwischen den Parteien und uns war nicht vorgesehen, dass das alte Parlament wieder eingesetzt würde, denn dieses Parlament ist voll von Royalisten und Feinden der Bevölkerung. Mit diesen Leuten wird die Demokratie nicht etabliert werden. Deswegen hatten wir vereinbart, dass wir eine Konferenz verschiedener gesellschaftlicher Gruppen einberufen sollten, an der die demokratischen Kräfte, auch Angehörige der Zivilgesellschaft teilnehmen sollten. Diese Konferenz sollte zunächst eine Interimsregierung bilden und dann sollten Wahlen folgen. Das ist die demokratische Vorgehensweise. Stattdessen haben sie nun eine Regierung gebildet - unter internationalem Druck, besonders aus Amerika. Das haben wir als Betrug bezeichnet. Trotzdem werden wir diese Dinge ignorieren und streben Gespräche an.“

 

Der stellvertretende US-Außenminister Richard Boucher hat gesagt, dass die USA die Beschlüsse einer verfassungsgebenden Versammlung akzeptieren werden. Was sagen Sie dazu?

 

„Wenn Sie die Geschichte Nepals anschauen, dann hat die US-Regierung eine große Rolle darin gespielt, diesen Konflikt in Nepal am Leben zu halten. Sie wollen, dass Nepal, das zwischen Indien und China liegt, in ständigem Unfrieden bleibt, damit die USA dort intervenieren können. Boucher kam wie ein nicht geladener Gast, redete mit dem Armeechef und reiste wieder ab, das ist doch eine offensichtliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten Nepals! Warum sollte der stellvertretende US-Außenminister den nepalischen Armeechef treffen? Das heißt doch nur, dass die USA wieder Probleme kreieren wollen. Wir müssen da auf der Hut sein, finden wir.“

 

Inzwischen sind einige führende indische Politiker auf Vermittlungsmissionen in Nepal gewesen, wie Sitaram Yechury von der Kommunistischen Partei. Was halten Sie davon?

 

„Wir brauchen die moralische Unterstützung der Demokraten aus Indien. Aber über die internen Angelegenheiten Nepals muss die Bevölkerung Nepals befinden. Von außen kann es nur moralische Unterstützung geben. Und wir begrüßen es natürlich, dass die Demokratiebewegung unterstützt worden ist. In der Geschichte hatten wir eine Reihe von Problemen mit Indien, aus der Zeit der Maharajas und der Briten. Das muss gelöst werden, wir müssen gemeinsam darüber sprechen. Aber die Rolle Indiens bei dieser Demokratiebewegung halten wir alles in allem für positiv. Darauf müssen wir jetzt aufbauen. Am Schluss haben sie allerdings einen kleinen Fehler gemacht, indem sie den Maharaja Karan Singh (er ist der Erbe der Maharajas von Jammu und Kaschmir) als Vermittler schickten. Das war nicht gut für ihr Image. Sie haben es nachher versucht zu korrigieren, indem sie andere Vermittler schickten. Das fanden wir positiv.“

 

Sie wurden also nicht nach Ihrer Meinung gefragt, bevor die Inder Karan Singh schickten?

 

„Nein, uns hat keiner gefragt. Aber als Karan Singh in Nepal ankam, waren die Leute so aufgebracht gegen den König, dass es noch ein, zwei Tage der Agitation gebraucht hätte, und der König hätte aus dem Land fliehen müssen - es hätte keine andere Wahl gegeben. Karan Singhs Beitrag zur Stabilisierung der Monarchie sehen wir kritisch.“

 

Welche Rolle sehen Sie, nachdem jetzt die Verfassungsgebende Versammlung einberufen werden soll, für den König in der Zukunft?

 

„Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass der König bleibt. Warum sollte er? Die ganzen Probleme der letzten zweieinhalb Jahre sind ihm zuzuschreiben. Mit dem König wäre das keine Demokratie. Er muss also weg. Wenn es freie und faire Wahlen gibt, werden sich unserer Meinung nach 90 Prozent der Bevölkerung gegen den König stellen.“

 

Wenn Sie durch die verfassungsgebende Versammlung eine "demokratische Republik" anstreben, wie meinen Sie das?

 

„Wir verstehen darunter ein traditionelles System. Manche Leute sagen, dass wir als Kommunisten eine kommunistische Republik wollten. Aber das haben wir nie gesagt. Wir wollen eine Mehrparteien-Demokratie. Und darin wollen wir einen Umbau des Staates. Für die unterdrückten Bevölkerungsgruppen, die Frauen, die Dalits (die untersten Kasten), Minderheiten, die Menschen im Terai, der Ebene an der Grenze zu Indien, wollen wir regionale Autonomie durchsetzen. Das verstehen wir unter einer demokratischen Republik. Es gibt viele arme Bauern, für die es eine Umverteilung des Bodens und Landreformen geben muss in der Wirtschaftspolitik, damit das Problem der Armut und der Arbeitslosigkeit überwunden wird.“

 

Was erwarten Sie von Deutschland und Europa?

 

„Diese demokratischen Gesellschaften sollten sich aktiv zeigen bei der Bewegung für ein demokratisches Nepal und gegen die Monarchie. Sie sollten an der Seite der Menschen in Nepal stehen, wenn sie die Demokratie schaffen. Wir wollen gute und freundliche Beziehungen zwischen Nepal und dem Rest der Welt.“

 

 

Das Interview führte Pushp Ranjan

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