Antifa-AG der Uni
Hannover:
Bei der
Wahl eines neuen Präsidenten der palästinensischen Autonomiebhörde am 9.Januar
2005 traten am Ende noch sieben Kandidaten an. Neben dem Sieger Mahmud Abbas
/ „Abu Mazen“ von Al-Fatah (501.448 Stimmen / 62,5%) und dem
Zweitplazierten Mustafa Barghuti (Mubadara; 156.227 Stimmen / 19,5%)
u.a. auch Taysir Khaled von der linken DFLP (26.848 Stimmen = 3,35%) und
Bassam Al Salhi von der Palästinenischen Volkspartei PPP, der ehemaligen
KP (21.429 Stimmen = 2,67%) auf Platz 3 und 5. Wahlbeteiligung: 62%. (Bezogen
auf die 1,12 Millionen registrierten Wähler. Geschätzt wird, dass 1,5 Millionen
Palästinenser wahlberechtigt gewesen wären.) Die Anfang 1969 als Abspaltung der
PFLP entstandene Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP)
ist nach der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die zur Wahl
Barghutis aufgerufen hatte und noch weit vor dessen eigener Gruppe Mubadara (Demokratische
Initiative) die zweitstärkste Organisation der palästinensischen Linken und
Mitglied der PLO. Den Vorsitz hat noch immer ihr Gründer Nayef Hawatmeh (68)
inne. Offiziell beteiligt sich die DFLP (Homepage ihrer Wochenzeitung: http://www.alhourriah.org/) weiter am bewaffneten Kampf
gegen Israel. Konkrete Aktionen sind seit fast zwei Jahren allerdings nicht
mehr bekannt. Die DFLP lehnte Selbstmordattentate jedoch stets ab. Eine ihrer
bekannteren Aktionen war 1988 der Brandanschlag auf das Auto des damaligen
Industrie- und Handelsministers Ariel Sharon. Bis Ende der 80er Jahre war die
DFLP die palästinensische Organisation mit den engsten Verbindungen zur
israelischen radikalen Linken (z.B. zur Mazpam und den Herausgebern der
Zeitschrift „Challenge“/ODA). Eine Reihe israelischer Genoss(inn)en wurden
wegen DFLP-Unterstützung zu Haftstrafen verurteilt. Aus einer Rechtsabspaltung
der DFLP unter Führung von Yassir Abdel-Rabbo ging 1991 die Palästinensische
Demokratische Union (FIDA) hervor, die sich seit dem Osloer Abkommen
1993 kontinuierlich und recht opportunistisch an der palästinensischen
Regierung beteiligt.(Mit ihrem Chef Rabbo als Informations- bzw.
Kabinettsminister.)
Der CIA
schätzte die Mitgliederzahl der DFLP Ende der 90er Jahre auf 500 und die
der PFLP auf 800. Der FAZ vom 12.11.2004 zufolge verfügt die PFLP
mittlerweile über „wohl 3.000 Mitglieder“ (Al-Fatah: “11.000“). Das erscheint
uns etwas zu optimistisch, dennoch sprechen auch andere Quellen (linke wie
bürgerliche) davon, dass sich das Kräfteverhältnis weiter zugunsten der PFLP
verschoben hat. Beide Organisationen bestehen sowohl aus Moslems als auch aus
koptischen Christen und sind strikt laizistisch. Nachdem die DFLP als
marxistisch-leninistische Organisation gegründet wurde, versteht sie sich heute
eher als linkssozialdemokratisch. Im Unterschied zur PFLP, die für die
Schaffung eines einzigen arabischen, demokratischen und laizistischen Staat für
alle heutigen Bewohner Palästinas und die Flüchtlinge (als Etappe auf dem Weg
zu einer sozialistischen Republik) eintritt, ist die DFLP seit langem für die
Zwei-Staaten-Lösung.
Da die
Informationen gerade auch über die DFLP für nicht Arabisch-Sprechende eher
spärlich sind, hier die Übersetzung des Interviews, das die italienische
Tageszeitung „l’Unità“ (das ehemalige PCI-Organ, heute im Besitz der
Linksdemokraten – DS) am 7.1.2005 mit dem
DFLP-Präsidentschaftskandidaten Taysir Khaled führte.
„Ich bin ein Kandidat, der nicht zur
alten Nomenklatura gehört“
„In der palästinensischen
Gesellschaft gibt es laizistische und fortschrittliche Kräfte, die sich weder
durch die alten Apparate der Fatah noch durch den Integralismus der Hamas und
des Islamischen Jihad vertreten fühlen. Meine Kandidatur beantwortet ein
Bedürfnis nach Identität und Vertretung, das nicht verloren gehen darf.“ Der
das sagt, ist Taysir Khaled (63 Jahre), Mitglied der Exekutive der PLO und
historisches Führungsmitglied der Demokratischen Front für die Befreiung
Palästinas (DFLP), einer der 7 Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen am
kommenden Sonntag. 2003 war er mehrere Monate in Israel inhaftiert. „Ich
respektiere Abu Mazen“ – unterstreicht Khaled – „aber ich fürchte, dass er ein
Gefangener der alten Nomenklatura sowie einem – gegensätzlichen – internen und
internationalen Druck ausgesetzt bleibt, der Gefahr läuft, seine wahrscheinliche
Präsidentschaft zu lähmen.“
Wie fühlt man sich als
Kandidat, der nur „Flagge“ zeigen soll ?
„Danke gut. Weil diese
Flagge die des ruhmreichen palästinensischen Widerstandes ist, die niemals in
den Dienst dieses oder jenes arabischen Rais <arabisch: Vorsitzender /
Präsident> gestellt wurde noch meint,
dass sie durch Israel oder die Amerikaner legitimiert werden müsse.“
Abu Mazen hat mehrmals
von der Notwendigkeit gesprochen, die Intifada zu entmilitarisieren. Wie ist
Ihre Meinung dazu ?
„Man muss zwischen
terroristischer Praxis unterscheiden, die Zivilisten einbezieht (und das
betrifft die Selbstmordanschläge wie auch den israelischen Staatsterrorismus)
und dem bewaffneten Widerstand gegen die Besatzungskräfte. Der Terrorismus
gegen die Zivilisten muss verurteilt werden, aber der bewaffnete Widerstand ist
ein Recht, das auch von der Genfer Konvention bestätigt wird. Heute darauf zu
verzichten, wäre ein sehr schwerwiegendes Nachgeben ohne irgendeine bedeutende
Gegenleistung.“
Erscheint Ihnen der von
Ariel Sharon vorbereitete Plan eines Rückzuges aus Gaza nicht als eine
bedeutende Gegenleistung ?
„Machen wir keine Scherze!
Dieser Rückzug ist nur eine Art, um der internationalen Gemeinschaft Sand in
die Augen zu streuen. Gaza wird unter totaler israelischer Kontrolle bleiben.
Das wird für die Grenzen, den Luftraum, das Meer und die Wasservorkommen
gelten. Gaza wird ein riesiges, von der Außenwelt abgeschnittenes
Open-Air-Gefängnis bleiben. Und das halten Sie für eine bedeutende Öffnung ?
Sharon macht viel Lärm um die Evakuierung von 8.000 Siedlern, während in
Cisjordanien seine Besiedlungspolitik und der Bau des Apartheidwalls mit
Unterstützung der USA weitergeht.“
Die Vereinigten Staaten
setzen sehr stark auf Abu Mazen, in der Hoffnung, dass er von der Linie
abrücken kann, die Yasser Arafat verfolgt hat.
„Um die Wahrheit zu sagen, schwört
Abu Mazen auf jeder seiner Kundgebungen und in jeder seiner Erklärungen,
Arafats Lehre treu bleiben zu wollen. Ich wünsche mir, dass das nicht nur
Wahltaktik ist. Weil, wenn es so wäre, dieses Spielchen sofort auffliegen und
Abu Mazens Präsidentschaft auf die schlechteste aller Arten beginnen würde und
er kein leichtes Leben hätte.“
Wie sieht für Taysir
Khaled der gerechte Frieden aus ?
„Das ist der Frieden, der
auf die vollständige Umsetzung der Resolutionen 242 und 338 der Vereinten
Nationen setzt. Das ist der Frieden, der das Rückkehrrecht der Flüchtlinge
anerkennt. Das ist der Frieden, der es den Palästinensern erlaubt als freie
Frauen und Männer in einem unabhängigen Staat mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt
zu leben. Für diesen Frieden, der auf der Gerechtigkeit und dem internationalen
Recht basiert, werde ich weiterhin kämpfen – bis zum Sieg.“
Und wie sieht für Tysir
Khaled der ideale palästinensische Staat aus ?
„Das ist ein laizistischer
Staat, mit einer fortschrittlichen sozialen Gesetzgebung, in dem die Trennung
von Politik und Religion klar und deutlich ist. Damit wir uns richtig
verstehen: Ich will nicht, dass der palästinensische Staat auf einem
theokratischen Regime beruht.“
Deshalb lehnen Sie jede
Beziehung zur Hamas ab ?
„Zusammen mit der Hamas
befinden wir uns in den Volkskomitees der Intifada. Wir sind Teil desselben
Widerstandes gegen die zionistische Besatzung, aber in Bezug auf die Politik, den
Staat, die individuellen und kollektiven Rechte, die Rolle der Frau in der
Gesellschaft und in der Politik sind unsere Positionen einander diametral
entgegengesetzt.“
Welche interne Plage
würden Sie sofort beseitigen ?
„Das ist die Plage der
Korruption. Ein Übel, das sich auf allen Ebenen der öffentlichen Verwaltung
Palästinas einnistet. Dazu hätte ich von Abu Mazen klare Worte und präzise
Verpflichtungen hören wollen. Dem war nicht so und das beunruhigt mich etwas.“
Vorbemerkung und
Übersetzung: Antifa-AG der Uni Hannover